Der Fall des Imperiums der ägyptischen Stasi

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Mohammad sitzt richtig auf heißen Kohlen, während er auf mich vor dem Hostel wartet. Er holt die Bücher ab, die ich ihm aus Berlin mitgebracht habe. Das zu Gouvernemental Studies habe ich bekommen, den Marx-Engels-Reader leider nicht. „Ich muss los, wir attackieren die Staatspolizei“, ich will unbedingt mit. „Nein lieber nicht, auf Ausländer reagieren sie komisch“. Ich frage nochmal, er wird weich und sagt ok. Kurz danach rät er mir wieder ab. So ein Mist, ich muss mich auf seinen Rat verlassen, und direkt am ersten Tag nach der Ankunft verprügelt zu werden oder in Knast zu kommen, ist nicht gut. Er düst schnell ab, und ich nehme nach einer Weile ein Taxi zu einigen Sehenswürdigkeiten in die islamischen Altstadt. Mein Taxifahrer heißt Malik und hat zwei ägyptischen Fahnen vorne dran, war oft auf dem Tahrir-Platz. Im Radio kommt die Nachricht von der Erstürmung der Madinet-Nasr, Hauptquartier der Staatsschutz in Kairo. Malik macht ein besorgtes Gesicht. Ich frage, was los sei. „Protesters“ und schlägt mit der Faust auf die Hand, „Police“. Natürlich stecken wir im Stau, und beim Durchschlingen zwischen den Autos erzählt Mailk allen anderen Taxifahrern aus dem Fenster die Nachricht von der Erstürmung.

Die Sache hatte in Alexandria begonnen. Am Freitag Nachmittag sahen Aktivisten zufällig, wie mehrere Laster voll mit geschreddertem Papier aus dem dortigen Hauptquartier des Staatsschutz raus fuhren. Sie waren dabei, die Akten zu vernichten. Ganz schnell verbreitet sich die Nachricht, Aktivisten und viele Ex-Gefangene versammeln sich dort und wollen rein. Von den Dächern schießen Scharfschützer in die Menge. Es gibt Schwerverletzte, die Menge gerät in Rage und stürmt hinein. Ähnliche Szenen spielen sich in der Stadt am 6. Oktober ab. Am Freitagabend wird überall via Facebook und Twitter für den nächsten Tag zum Angriff auf den Staatsschutz aufgerufen. „Madinet-Nasr, 4 Uhr Nachmittag“. Es sind zu Beginn einige Hundert Leute, später mehr. Viele sind von der islamistischen Bewegung der Salafisten. Sie wurden am schlimmsten verfolgt und gefoltert, erzählt mir Mohammad am nächsten Morgen. Während der Aktion hätten ihre Führer angerufen und versucht, die Leute nach Hause zu schicken, die Aktion sei „unislamisch“. Doch die jungen Leute hätten in die Handys geschrien, sie waren hier Jahre lang gemartert worden und wollten nun rein. Sie sagen den „Shahada“ auf, eine rituelle Ansage in dem Moment, wo man den Tod erwartet, um sicher in das Paradies zu kommen. „Es war gruselig“, erzählt Mohammad. Aber es ist nur ein Panzer der Armee dort und einige Offiziere. Das Gebäude ist ein riesiger Hochsicherheitskomplex, niemand wusste wie es drinnen aussieht. Gefangene wurden immer mit verbundenen Augen und auf Laster hineingefahren. Man schätzt, dass es dort riesige Katakomben gibt, in denen die Folterkammern sind. Der Haupteingang ist nicht passierbar, aber kurz danach kommen auch hier aus einem Seiteneingang Laster mit Schredder raus. „Dann ist die Menge ausrastet“, schildert Mohammad. Sie sind auf die Laster gestürzt und über den Seiteneingang hinein gekommen. Das Gebäude ist verlassen. Einen Typen erwischen die Demonstranten. Er wäre totgeprügelt worden, wären nicht die Armeeoffiziere dazwischen gegangen. „Das Imperium des Staatsschutzes ist gefallen“, titelt die Tageszeitung Al Shrouq am Sonntag, „Tausende Bürger nehmen eine Tour durch die Folterkammer“. Die Computer und Akten werden durchforstet und Unglaubliches Material sichergestellt: die Transkription eines Telefonats von El Baradai mit seinem Bruder, die Anordnung an das Gericht, den ehemaligen oppositionellen Präsidentschaftskandidaten zu 5 Jahren Gefängnis zu verurteilen, genaue Pläne zur Fälschung der Wahlen, ökonomische Konzeptpapiere, ein ganzer Raum mit Sex-Aufnahmen von Geschäftsleuten und Prominenten. „Mubarak war nur ein Gesicht, es war ein Polizeistaat, sie waren die Macht und wussten Alles“. Bis zu 500.000 Mitarbeiter waren für den Staatsschutz tätig. Die Demonstranten bleiben bis Mitternacht im Madinet-Nasr, bevor sie es an das Militär und einen öffentlichen Verwalter übergeben. Sie kontaktieren Anwälte, sichern alles ab und stellen soviel wie möglich online. Wikileaks twittert zwischendurch an das ägyptische Volk, das geschredderte Material nicht wegzuwerfen, sie hätten Instrumente es zu rekonstruieren. Am späten Abend ist die Stimmung auf dem Tahir etwas angespannt. Es werden Racheakte der Staatsschutz befürchtet. An einigen Zugängen sind kleine Barrikaden aufgebaut, viele Leute auf dem Platz haben Schlagstöcke in der Hand.

Ich frage Mohammad, wie es möglich war, mit sowenig Leute ein so wichtiges Gebäude einzunehmen. „Wir hatten ein unausgesprochenes Deal mit der Armee. Und der neue Premier Sharaf hatte uns am Freitag auf dem Tahrir grünes Licht gegeben. Er kann die Macht des Staatsschutzes nur mit der Volksbewegung brechen.“ Sein Handy klingelt. „Freunde haben das Material weiter bearbeitet. Ein recht bekannter Aktivist, den wir gut kannten, war ein Spitzel“. Sein Gesicht versteinert und ist für einige Sekunden regungslos.

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Geschrieben von

Pedram Shahyar

Blog aus den Metropolen des globalen Aufstandes

Pedram Shahyar

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