Wenn Milchbauern und Erwerbslose zusammen auf die Straße gehen

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Morgen werden sich Erwerbslose mit einen eigenen Block an einer Demonstration für gesunde Ernährung teilnehmen und wollen damit das im Zuge des Dioxin-Skandals medial vermittelteBild des „geizigenVerbrauchers" die Realität entgegensetzen. Sie stoßen auf eine Mauer des Schweigens auch in durchaus kritischen Medien. Die Angst scheint so groß vor diesen kleinen Ernährungskampf, dass er aus dem Medien herausgehalten werden muss. Denn hier rufen nicht einige romantische Gymnasiasten "Bioprodukte für Alle" und gehen Containern. Hier kommen klamme Michhändler und klamme Verbraucher zusammen und durchkreuzen den Diskurs von den unterschiedlichen Statusgruppen mit den so unterschiedlichen Interessen, die gar nicht zusammen kommen können.

Zu Beginn der Grünen Woche in Berlin rufen am kommenden Samstagzahlreiche Organisationen zu einer Demonstration für gesunde Ernährung und gegen Gentechnik, Tierfabriken und Dumpingexporte auf.Unter dem Motto „Krach schlagen statt Kohldampf schieben“ (www.krach-statt-kohldampf.de/sites/index.html ) werden sich Erwerbslose mit einen eigenen Block an der Demonstration beteiligen.

Milch, Macht, Mindesteinkommen

Wie kommen Erwerbslose auf die Idee, Krach zu schlagen auf einer Demo von Umwelt-, Landbau- und Bioaktivisten?

Die Antwort ist einfach.„Höhere Regelleistungen und Einkommen sind nötig,damit sich Millionen Menschen faire, gentechnikfreie Produkte aus regionaler Landwirtschaft wieder leisten können.“

Das Engagement von Erwerbslosen für ausreichende und gesunde Ernährung hat eine Vorgeschichte. Am 29.Mai 2010 hatten Aktivisten derArbeitslosenselbsthilfe Oldenburg (www.also-zentrum.de/schwupp.htm), des Bundes Deutscher Milchvielhalter (bdm-verband.org/html/) und der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di (www.verdi.de/ )erstmals zu einer gemeinsamen Kundgebung in die Oldenburger Innenstadt aufgerufen. Die Zahl der Teilnehmenden hielt sich mit knapp 150 Menschen in Grenzen. Doch die Organisatoren waren sehr zufrieden. Noch lange nach Abschluss der eigentlichen Kundgebung diskutierten Menschen zusammen, die sichsonst wohl kaum getroffen hätten“, berichteten Beteiligte im Internet. Schließlich diskutierten Gruppen zusammen, die in der öffentlichen Diskussion als Kontrahenten mit gegensätzlichen Interessen betrachtet werden.Nach dieser Logik müssten die Bauernfür höhere Verkaufspreise, die Erwerbslose und Niedrigverdiener für möglichst günstige Preise auf die Straße gehen und diese beiden Forderungen schließen sich aus.Doch in Oldenburg benannten dieAktivisten der unterschiedlichen Gruppen die Profitlogik des Kapitals als gemeinsame Ursache fürdie Verarmung von landwirtschaftlichen Produzenten, Erwerbslosen und prekär Beschäftigten. So hätten die Discounter in den vergangenen Jahrzehnten eine Marktmacht entwickelt, die ihnenerlaubt, den Zugang der Waren zum Käufer zu kontrollieren. Doch sie setzen nicht allein die Ladenpreise und Hungerlöhne der bei ihnen Beschäftigten fest. Zugleich bestimmen sie den Preis, den die Erzeuger für ihre Produkte erhalten, die immer mehr und billiger produzieren müssen, um überhaupt noch über die Runden zu kommen. Die Beteiligten verabredeten, sich künftig gegenseitig zu unterstützen. Wie Erwerbslose undDiscounterbeschäftigte die Forderungen der Milchbauern vertraten, so beteiligten diese sich an einer bundesweiten Erwerbslosendemonstration von knapp 3000 Menschen am 10. Oktober (www.krach-statt-kohldampf.de/sites/index.html) letzten Jahres in Oldenburg. Ähnlich wie bei der Kundgebung am 29 Mai war das Fazit der Organisatoren überwiegend positiv. Dabei ging es nicht in erster Linie um die Teilnehmerzahl sondern um das Kreiereneines Protestsymbols: den Kochtopf und den Löffel, um damit Krach zu schlagen. Diese leicht kopierbare Protestformwurde mittlerweile öfter angewandt, wo sich Hartz IV-Politiker in der Öffentlichkeit zeigten. Auch am kommenden Samstagdürfte der Krach-schlagen-Block nicht zu überhören sein.

Klammer statt geiziger Verbraucher

Damit können sie ein wichtiges Signal auch an Teile des Demonstrationsspektrums senden. Denn längst nicht alle, die für gesunde Ernährung auf die Straße gehen, haben dabei die Situation von Hartz IV-Beziehern und Menschen mit geringen Einkommen mit im Blick. Dass zeigt sichan den Debatten nach der Aufdeckung des aktuellen Lebensmittelskandals. Dort taucht immer wieder die Figur des geizigen Verbrauches auf, der nicht viel Geld für Lebensmittel aufbringen will und deshalb Verantwortung für den Lebensmittelskandal trägt. In derTazvom 15.01.2011 wurde unter der Überschrift „Sind die Verbraucher schuld?“ (www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=me&dig=2011%2F01%2F15%2Fa0017&cHash=140c590d89 ) über die Verantwortung für das Dioxin in den Futtermitteln diskutiert. Für die Köchin in einem Nobelrestaurant Carmen Krüger war die Schuldfrage klar:„Der Kunde von heute ist ein Geizhals. Und dem wollen die Immer-noch-billiger-Anbieter gefallen. Ohne Rücksicht auf Verluste.“ Menschen mit wenig Einkommen kommenin ihrem Weltbild sowenig vor wie in ihrem Restaurant. Der Stuttgarter Physiker Thorsten Schober schreibt spöttisch: „Wer immer sofort mit dem Argument des mangelnden Einkommens wedelt, der hat sich in den meisten Fällen noch keine Gedanken über die eigene Ernährung und den Anteil am Einkommen gemacht. Es wird in diesen Tagen oft das Szenario der vor dem teuren Bioladen verhungernden Armen gezeichnet. Sehr realistisch!“ Man sich wünschen, die Schreiber solcher Zeilen würden vier Wochen ihren Speiseplan nach den finanziellen Möglichkeiteneines Hartz IV-Empfängers ausrichten. Die waren in der Taz-Umfrage gar nicht gefragt worden. Eine solche Debatte über Verbrauchermacht – und verantwortung blendet Menschen mit geringen Einkommen systematisch aus. Darauf werden die klammen Verbraucher am Samstag im Erwerbslosenblock hinweisen.


Peter Nowak








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Geschrieben von

Peter Nowak

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