Wikileaks – maßlos überschätzt

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Es gab eine Zeit, da sahen sich Zeitgenossen als kritisch fast subversiv an, weil sie wöchentlich den Spiegel lasen. Waren sie doch tatsächlich der Meinung, dass sie dort Dinge zu lesen bekamen, die sonst nirgendwo abgedruckt wurden. Dass der Spiegel mit seinem kritischen Image eigentlich eine Ventilfunktion hatte und grundsätzlichen Protest eher behinderte, kam diesen kritischen Zeitgenossen nicht in den Sinn.

Der Spiegel hat sein Image als kritisches Blatt weitgehend verloren, aber die Vorstellung, dass die Mächtigen der Welt manipulieren und lügen, ist noch immer weitverbreitet. So wird noch immer in der Veröffentlichung von mehr oder weniger geheimen Dokumenten ein fast schon subversiver Akt gesehen. Was einst der Spiegel war, ist nun im Internetzeitalter Wikileaks, das sich darauf spezialisiert hat, genau die geheimen Dokumente zugänglich zu machen. Aktuell sind es Richtlinien aus dem Afghanistankrieg, die Wikileaks veröffentlicht hat und scheinbar ins Schwarze getroffen, zumindest den Reaktionen aus den ideologischen Staatsapparaten der USA nach zu urteilen. So hat Washington Post-Kolumnist Marc A. Thiessen die Schließung von Wikileaks und die Verfolgung von dessen Gründer Julian Assange gefordert. Die Drohung, dass Assange auch außerhalb der USA nicht sicher ist, lässt schon befürchten, dass er von den USA ihn zum Staatsfeind Nr. 1 erklären werden könnte. Assange wird darauf nur gewartet haben, schließlich hat er ja im Freitag-Interview bemängelt, dass sich in den westlichen Ländern zu wenige Journalisten für die Meinungsfreiheit opfern. Ja, er bemängelte sogar, dass viel zu wenige Journalisten für ihren Beruf in den Tod gehen. Da muss Assange, der sich schon seit langen vom den USA-Behörden verfolgt wähnte, die Kampfansage der Washington-Post natürlich Labsal sein. Was Besseres können ihm die US-Staatsapparate gar nicht liefern. So wie Franz-Josef Strauß mit seiner Nacht-Nebel-Aktion gegen Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein dem Wochenmagazin erst das richtige Renommee besorgt hat, kann die drohende Repression Wikileaks genau den Märtyrer-Status verschaffen, den Assange bei dem Interview so vermisste.

Falsches Staatsverständnis

Inhaltlich ist die Bedeutung des Projektes hingegen äußerst fraglich. Denn, die Vorstellung, dass die Welt von Mächten gelenkt werden, die im Geheimen agieren und die immer wieder entlarvt müssen, ist ein Kennzeichen all derer, die von der Funktionsweise von Staat und Kapital nichts wissen wollen.

Die Truth-Bewegung, die nach den Anschlägen vom 11.9.2001 mit den unterschiedlichsten Verschwörungstheorien aufgewartet ist und den Anspruch hat, die ganze Wahrheit zu enthüllen, ist das Umfeld, in dem Wikileads entstanden ist. Es wird dem Projekt wohl gelingen, noch manche Politiker zur Weißglut zu treiben und trotzdem wird es maßlos überschätzt. Denn er die Funktionsweise von Staat und Nation erkunden will, der dürfte nicht irgendwelche Strategiepapiere aus nichtöffentlichen Sitzungen oder irgendwelche Militärrchtlinien für den Nabel der Welt erklären. Der müsste die Kapitalgesetze studieren, die Gesetzmäßigkeiten von tendenziellen Fall der Profitrate und ähnliches. Doch diese Mechanismen, die für das Weltverständnis grundlegend sind, werden nicht bei Wikileaks veröffentlicht, zumindest nicht solange ein Assange dort etwas zu sagen hat. Deshalb werde ich es mit Wikileaks so halten, wie mit dem Spiegel, beide ignorieren und lieber im Kapital lesen, das ist ein besserer Beitrag, um was über die Wirkungsweise von Staat und Nation erfahren.


Peter Nowak

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Geschrieben von

Peter Nowak

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