Hurzpiepegal

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Unser Kolumnist setzt sich dafür ein, dass das Nobelpreiskomitee mehr Rücksicht auf den Buchhandel nimmt. Außerdem weiß er, was bei Elke Heidenreich unter dem Bett liegt.

Gestern haben sich zwei wichtige Ereignisse zugetragen, die nichts mit meinem Leben zu tun haben: Steve Jobs verstarb im Alter von 56 Jahren und der schwedische Lyriker Tomas Tranströmer wurde mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Zu Steve Jobs‘ Tod habe ich nichts zu sagen, was nicht schon gesagt worden wäre. Nur, dass ich mich frage, was die Zeitungen nun noch schreiben wollen, nachdem sich die Berichterstattung nach seinem Rücktritt vor sechs Wochen bereits las wie ein Nachruf. Zu Tomas Tranströmer habe ich auch nichts zu sagen. Aber über Lebende kann ich heiterer schreiben als über Tote.

Also Tomas Tranströmer.

Tomas Tranströmer ohne h hinter dem T von Tomas, und Tranströmer, nicht Tranström. Viel mehr braucht man nicht, um Tomas-Tranströmer-Experte zu werden. Okay, er ist einer der wichtigsten Lyriker der Welt. Das klingt für mich aber so wie „der bedeutendste Korbflechter aller Zeiten“. Jedes Jahr macht sich das Nobelpreiskomitee einen Spaß daraus, den Preis jemandem zuzusprechen, den auf keinen Fall irgendjemand kennt. Ich sage das auch mit Blick auf den Buchhandel. Ich kenne einige Menschen aus dieser Branche. Die Lyrik-Abteilung selbst großer Buchhandlungen umfasst nur ein Regal, dort stehen dann meistens Anthologien zum Thema Weihnachten, Liebe, Robert Gernhardt und Heinz Erhardt. Es ist so, dass keine einzige Buchhandlung in Deutschland auch nur ein einziges Buch von Tomas Tranströmer vorrätig hat. Aber das Nobelpreiskomitee befindet, er ermögliche durch seine „verdichteten und lichtdurchlässigen Sprachbilder einen neuen Zugang zur Realität“. Bei Gedichten denke ich immer an Hurz.

Jedes Jahr zittern die Buchhändler vor der Bekanntgabe des Preisträgers, weil dann wieder Leute in den Laden stürzen, um das Werk eines Autoren verlangen, den die Buchhandlungen garantiert nicht vorrätig haben. Wer sich „Sämtliche Gedichte“ von Tomas Tranströmer bei Amazon bestellt, muss sechs bis elf Tage warten. Es ist 1997 veröffentlicht worden, kurz nach der Erfindung des Buchdrucks.

Meine Buchhändler-Freunde erzählen auch, dass sie immer Angst hatten, als Elke Heidenreich noch eine eigene Sendung hatte. Sie stellte häufiger Bücher vor, die sie unter dem Bett gefunden hatte, die aber 1712 zuletzt aufgelegt worden waren.
„Ja, aber Elke Heidenreich hat das Buch doch in ihrer Sendung vorgestellt.“
„Ja, dann kaufen Sie das verdammte Buch doch bei Elke Heidenreich.“
Der Hass des Buchhandels auf Elke Heidenreich und das Nobelpreiskomitee ist in Kilogramm gar nicht mehr auszudrücken. Christine Westermann ist bei den Buchhändlern hingegen sehr beliebt, sie empfiehlt überwiegend Bücher, die noch vorrätig sind.

Ich nutze die Gelegenheit, um weitere Anekdoten aus dem Buchhandel zu erzählen, denn zu Tomas Tranströmer – der hieß doch so, oder? – fällt mir schon lange nichts mehr ein. Zum Beispiel verlangte ein Kunde in einem Buchhandel „Nazis in Dortmund“, meinte aber „Narziß und Goldmund“. Auch „Der Alchimist“ von Horst Köhler war nicht vorrätig, aber immerhin der von Paulo Coelho. Eine Frau wollte kein Reclam-Heft kaufen, sie bezahle doch nicht für Reklame. Und dem Herrn, der einen Krimi suchte mit den Anhaltspunkten „der ist 700 Seiten dick und er wurde gestern im Radio besprochen“, konnte leider niemand helfen. Meistens fragen die Kunden aber ohnehin nicht nach Büchern, sondern entweder nach der Toilette oder dem Kopierer, weil sie das eine Kochrezept kopieren wollen, damit sie das Buch nicht kaufen brauchen.

Der Buchhandel wird also geplagt von Menschen, die wenig bis keine Ahnung von Literatur haben. Und nun müssen sie auch noch Elke Heidenreich anrufen und fragen, ob sie nicht noch ein paar Bücher von Tomas Tranströmer unter dem Bett liegen hat. Wer es bis dahin nicht abwarten kann, dem helfe ich weiter und zitiere aus dem Gedicht „Der Adlerfels“. Ich habe keine Ahnung, worum es geht, aber so soll es bei Literaturnobelpreisträgern ja sein. Die Bedeutung darf sich nur den Eingeweihten erschließen:

„Eine Frau hängt Wäsche auf
im Schweigen.
Der Tod ist windstill.“

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(Foto auf der Startseite: Jesscia Gow/AFP/Getty Images)

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