Das S21-Stresstest-Lügenspiel

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Die beste Lüge ist die, die nicht gelogen ist. Wie das geht? Nun, zum Beispiel mit der Methode „pars pro to“, was soviel bedeutet wie einen Teil als das Ganze ausgeben. So geschehen bei der medialen Berichterstattung zu den angeblichen Ausschreitungen am 20.06.2011 in Stuttgart. Es gab keine „Ausschreitungen“ - und schon gar keine „schwere[n]“ *), legt man z.B. das zugrunde, was alljährlich beim Kreuzberger Mai passiert. Oder bei heftigen Fußballspielen. Es gab eine Veranstaltung der Architekten gegen Stuttgart 21 am Südflügel des Bonatzbaus. Es gab dort eine Rede des ehemaligen Denkmalschützers Dr. Bongartz. Und es gab dort eine unsolidarische, respektlose Störung dieser Rede und der anschließenden Menschenkette durch einige Teilnehmer mit Sonderinteressen und anderen Teilnehmern, die sich von deren Besetzungsaktion mitreißen ließen.

bit.ly/kbHVt7

bit.ly/kNeaJO

Damit es keine Missverständnisse gibt: ich werde den Teufel tun und die Baustellenbesetzung verurteilen. Es war nicht meine Aktion und ich sehe mich auch nicht als obersten Scharfrichter des Stuttgarter Widerstandes. Ich fühlte mich persönlich sehr gestört durch einen Megaphon-Menschen auf der Baustelle. Und ich wehre mich gegen die mediale Lüge von den Ausschreitungen. Wenn 90 Prozent einer Demonstration einer unaufgeregten Rede folgen und 10 Prozent spontan parallel eine Baustelle besetzen und dabei ein paar Schäden verursachen, dann sind das keine Ausschreitungen des Stuttgarter Widerstandes. Jedenfalls nicht, solange das Mehrheitsprinzip gilt. Punkt.

Eine weitere Methode, zu lügen ohne zu lügen, ist es, statistische Details in der Überschrift so aufzublasen, dass sie die Wirklichkeit geradezu umkehren. Das betrieb jüngst die WELT mit diesem „ungelogenen“ Schwachsinn: „Länder-Ranking. Osten ist Spitze, Baden-Württemberg floppt“.

bit.ly/lu0Vbb

Alternativ kann man auch beim Inhalt eines Artikels die Schräubchen so lange weiterdrehen bis eine andere, aber erwünschte Botschaft dabei herauskommt. Das praktizierte die BZ, als sie am 25.06.2011 johlte Grüne: Bahn besteht Stresstest“, was eine glatte Lüge ist angesichts des tatsächlichen oder vermeintlichen Zitates von Verkehrsminister Hermann, auf das die Autoren von BZ und FR sich dabei berufen : "Nach den bisher durchgesickerten Informationen wird der Stresstest wohl nicht scheitern", sagte Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) der Berliner Zeitung. "Es wird wohl so aussehen, dass die Bahn den Test irgendwie schafft"

bit.ly/iYjixF

Dass man dabei aus reiner Auflagen- (sprich: Profit-) Gier womöglich noch einen Vertrauensbruch und einen fundamentalen Verstoß gegen die Regeln journalistischen Anstands beging, indem man - so jedenfalls sieht es aus – ein vertrauliches Hintergrundgespräch unautorisiert und unter so nicht erlaubter Namensnennung als eine Art Interview ausgab, sei nur nebenbei angesprochen. Und das, übrigens, in einer Stímmung in Stuttgart, die man zumindest als aufgeladen interpretieren konnte.

Menschlicher Anstand hätte nun geboten, sich dafür zu entschuldigen und die Sache angemessen aufzuklären. Aber von Journalisten ist diese Selbstverständlichkeit offenbar nicht zu erwarten. Stattdessen fragt Michael Ohnewald - der offenbar auch noch ohne eine ganze Menge anderer Dinge auskommt – heute in der Stuttgarter Zeitung ebenso scheinheilig wie verleumderisch „Hat Minister Hermann gelogen?“ Dabei schafft er es mühelos, auch noch so zu tun, als ob diese Frage Ergebnis sorgfältiger Recherche sei. Unter Bezugnahme auf die BZ/ FR-Verdrehung schreibt er: „Vor der Fernsehkamera rudert Hermann deshalb am Samstag entsprechend heftig zurück: "Der Landesregierung liegen keinerlei Materialien vor zum Stresstest. Insofern kann ich das auch nicht kommentiert haben."

bit.ly/mzDoik

Das ist – nach meiner subjektiven Einschätzung - ein typischer Hermann, der allzu gerne allzu viel und allzu vage redet und beim Versuch, radikal zu sein, ohne anzuecken, Ecken und Kanten so elegant zu umfahren versucht, dass er irgendwann einmal zwangsläufig auf die Nase fallen muss. Und sei es, weil hinter einer Ecke einer steht, der ihm ein Bein stellt. Der Mann ist kreativ, spontan, ehrlich und umtriebig. Ein Stratege oder Analytiker ist er nicht. Das aber wäre bei Stuttgart 21 gefragt. Mit ausschweifenden Verbalarien ist dem Betrügen, Tricksen, Manipulieren, Beschönigen und Vertuschen der Bahn nicht beizukommen. Man liefert ihr allenfalls Angriffsflächen.

Zu diesen Stärken, die bei S21 zur Schwäche werden, kommt eine weitere: der Junge wird wohl von einem naiven Rausch ergriffen, wenn er den Starken und Mächtigen in dieser Gesellschaft „auf Augenhöhe“ gegenübertreten kann. Das ist sympathisch und zeigt, dass der versaute Politikbetrieb ihn noch nicht versaut hat. Aber die Wölfe und Schlangen, unter die er sich dabei begibt, fragen nicht danach ob einer sympathisch oder menschlich oder unversaut ist. Sie fragen, wie sie ihn am besten fressen oder vernichten können.

Und nun kommt vielleicht noch eine weitere Schwäche dazu: Hermann ist Sportler. Aber wohl eher nicht Boxer oder gar Abrissbirne wie Grube, sondern einer, der, schätze ich mal, elegantere Sportarten bevorzugt. Zum Umschiffen von Hindernissen würde z.B. Skaten passen. Da aber stellt Grinse-Kefer doch gerne ein Bein, und Grube tut das, was er offensichtlich am besten kann: er flötet erst sanft und haut dann kurz und hart und unvermittelt aus dem Hinterhalt drauf. Wenn man schon selber nicht gerade auf der Erfolgsspur segelt, dann möchte man doch wenigstens sein Mütchen an vermeintlich noch Schwächeren kühlen. Spekuliere ich mal.

Wie auch immer, Michael Ohnewald recherchiert heftig und er verrät auch gleich wo und wie: „Der Verkehrsminister sei informiert, sagt die Bahn“. Die Bahn aber dementiert natürlich, „dass der Landesregierung "keinerlei Materialien zum Stresstest vorliegen". Der Verkehrsminister sei "längst informiert", sagt Projektsprecher Wolfgang Dietrich“ - ein PR-Profi. „Bereits seit Monaten gibt es einen Lenkungsausschuss "Stresstest", in dem Gerd Hickmann sitzt, ein enger Mitarbeiter Hermanns.“

Pars pro toto also auch hier. Natürlich liegt Hermann – aus seiner Sicht - jede Menge nichtssagendes Irgendwas vor. Das erzählt er schließlich unentwegt landauf und landab. „Keinerlei“ ist also gelogen – oder auch nicht, wenn es sich auf das bezieht, was Hermann benötigt und erwartet. „Hermann lügt“ ist gelogen – oder auch nicht, wenn es nur auf „Irgendwas“ achtet, ohne dessen (Aussage-) Wert zu berücksichtigen.

Wirkliche Recherche also wäre hier gefragt, die Suche nach den Materialien, die Hermanns Ministerium vorliegen und deren Wertung nach Relevanz und Aussagekraft. Auch wäre der Minister zu fragen, wie er denn zu seiner Aussage gekommen ist. Und, falls er nicht antwortet, könnte man ja mal das anschauen, was er bereits vorgelegt hat, z.B. ein Interview mit der SZ oder seine Einlassungen zum Thema Stresstest bei der „Volksversammlung“ am 22.06.2011 auf dem Stuttgarter Marktplatz. Aber wozu arbeiten, wenn es doch die vorformulierenden Einflüsterer von der Bahn gibt, auf deren Seite man ohnehin seit 15 Jahren steht und denen man sich ebenso lange als Werbeplattform für S21 prostituiert.

Nachgefragt immerhin hat man offenbar: „Der Minister selbst sagt gegenüber der StZ, er habe mit dem Redakteur nur im Hintergrund gesprochen und die Zitate nicht autorisiert. Was die Unterlagen zum Stresstest betrifft, habe er zwar inzwischen einige "Charts der DB" gesehen, jedoch keine nachprüfbaren Originalunterlagen.“ Und damit hätte sich der ganze Artikel auch schon erledigt. Aber der Widerstand gegen S21 soll ja erledigt werden und der Minister vorneweg. Da wiederholt sich etwas, das wir bereits bei nicht mehr ganz so neuen der britischen Regierung hatten, deren guter Start den Journalisten überm Kanal offenbar auch ein Dorn im Auge war.

bit.ly/9u0ej3

bit.ly/ato6BZ

Aber nein, der Minister hat die journalistische Ehre infrage gestellt – hahahah! - und dem muss energisch entgegen getreten werden: „Der Autor des Artikels in der "Frankfurter Rundschau", Peter Kirnich, nennt Hermanns Dementi "eine Frechheit". Kirnich arbeitet als Wirtschaftsredakteur für die "Berliner Zeitung" und hat laut eigenen Angaben an Fronleichnam, 23. Juni, am frühen Nachmittag mit Hermann telefoniert. Dabei seien die beiden Sätze des Ministers so gefallen, bestätigt der Journalist: "Ich habe das auf Band."

Nun, da würde ich nun schon gerne wissen, ob die Überschrift der BZ und die Autorisierung des Gesprächs auch auf Band sind. Aber Journalisten müssen natürlich nichts offenlegen. Das muss nur der Herr Minister. Aber wenn das nicht auf Band ist, dann hat die BZ gelogen, und eine Frechheit sind die Einlassungen es Herrn Kirnich. Und Ohnewalds Artikel transportiert die Unwahrheit, die er Hermann unterstellt. Und da hilft auch nicht, dass Kollege Wörner in einem Kommentar nachtritt: „Täuschen und tricksen“. Der hat so manchen Stuttgarter ohnehin bereits bei seinen Schlichtungskommentaren ins Fremdschämen getrieben.

bit.ly/kuFauP

Nun bin ich selbst zwar kein Journalist und habe auch keinerlei entsprechende Ansprüche. Aber selbst als simpler Blogger möchte ich doch gerne, dass ich in meinen Beiträgen wenigstens nicht bewusst oder leichtfertig lüge. Also habe ich mal kurz mein Gedächtnis bemüht. Und da habe ich mich erinnert, dass mir bei besagter Bürgerversammlung am 20.06.2011 etwas Merkwürdiges aufgefallen ist. Da waren nämlich so etwa drei Fragesteller einer IG „Bürger für Stuttgart 21“ (?), die ganz offensichtlich von S21-Kreisen mit „Informationen“ angefüttert waren und damit versuchten, den Verkehrsminister in die Enge/ Falle zu treiben. Zuerst fragte ein Michael Gärtner in etwa dies: „...kurze, aber spannende Frage. Stimmt es, Herr Minister, dass Ihnen bereits die Ergebnisse des Stresstests der Bahn und die an die ... SMA übermittelt wurden bereits vorliegen?“

Hermann: „Meine kurze Antwort: Nein.“

Zwischenruf im Hintergrund: „Lugabeutel!“

Es folgt ein zweiter Fragesteller von derselben Gruppe, der verkündet, dass S21 unabhängig vom Stresstest gebaut werde, die Frage sei nur wie. Er bezieht sich dann nochmals auf die Frage des Vorfragers und fragt etwas präziser, ob es richtig sei, dass Hermann die Ergebnisse der Bahn am Freitag beim Lenkungsausschuss erhalten habe. „Und auf diese Antwort möchten wir sie dann später festnageln.“

vimeo.com/25468080 (ab ca. 1:00')

Die unverhohlene Drohung am Ende ist ebenso bemerkenswert, wie die Tatsache, dass die Frager, die teilweise frei sprachen, diese Fragen von einem Blatt ablasen. Und die Tatsache, dass den Medien diese eigenartige Sache scheinbar überhaupt nicht aufgefallen ist.

Dies also war am 20. Juni. Am 23. Juni , um 15:15 Uhr bloggte ein Lutz Aichele unter der Überschrift „Stresstest für Minister Hermann“ u.a. folgendes (Dort auch der protokollierte Wortlaut der Fragen):

Nun konzentrieren wir uns aber auf die Ergebnisse, die die Bahn durch ihre Simulationen erarbeitet. Logischerweise sind diese VOR dem 11.7. verfügbar, sonst wäre es ja für SMA nicht möglich diese Ergebnisse zu prüfen. Genau diese Ergebnisse liegen der Bahn seit kurzem vor und wurden an das Verkehrsministerium am Freitag, den 17.6.2011, mittags übermittelt. Worauf stützt sich diese Aussage? Gehen wir davon aus sie stützt sich auf Aussagen von Personen, die daran beteiligt sind.

…..

Am Mittwoch, den 22.6.2011 fand auf dem Stuttgarter Marktplatz eine sog. Volksversammlung mit Winfried Hermann statt. Hier gab es Gelegenheit den Minister zu diesen Tatsachen zu befragen. Die IG Bürger für Stuttgart 21 stellte dem Minister mehrfach die entsprechende Frage. Er wich teilweise aus und antwortete ausserordentlich geschickt. Ein echter Berufspolitiker eben. Hier die relevanten Ausschnitte im Wortlaut der Fragen und Antworten.“

bit.ly/kFvrsN

Erstaunliche Detail-“Kenntnisse“, die die Frage aufwerfen, woher der Herr die denn hat. Dabei war er jedenfalls nicht. Der Autor versucht dann, nachzuweisen, dass der Minister in punkto Stresstest-Kenntnis gelogen habe. Es gelingt ihm aber nicht – so mein Eindruck -,weil die Fragen nicht präzise genug gewesen seien und der Minister sich im Vagen verloren habe und offenbar bestimmte Begriffe anders verstehe.

Was Herr Aichele versäumt, ist der Hinweis, dass Minister Hermann auf besagter Veranstaltung durchaus angedeutet hat, wovon er spricht, wenn er von validen Ergebnissen des Stresstests redet. Zum Beispiel, wenn er gleich zu Beginn der Veranstaltung davon spricht, dass es „nie ordentliche Unterlagen im Vorfeld...“ gegeben habe (ab ca. Minute 9/ bzw. 11). Oder, ab ca. Minute 54: „Richtig ist aber auch, dass zu diesem Stresstest immer dazu gehört hat das Notfallkonzept. Das Notfallkonzept liegt bis heute nicht vor. Und wenn das nicht vorliegt, ist der Stresstest unvollständig.....“, auch andere Forderungen von Geißler seien bislang nicht erfüllt.

Am 23.06.2011 also titelte Lutz Aichele „Stresstest für Minister Hermann“. Und was titelte die FR am 28.06.2011? Richtig: "Stresstest für Winfried Hermann“. Zufälle gibt’s, gell Herr Guttenberg?

bit.ly/iWIsi7

Fazit: Hermann mag ein guter Germanist sein, ein idealer Gegner für eine bestimmte Art von Technikern ist er nicht. Und damit auch keine Idealbesetzung für einen erfolgversprechenden Umgang mit S21. Dafür ist er ein ideales Opfer für übelwollenden, parteiischen Journalismus. Bislang aber jedenfalls kein überführter Lügner. Also: vergesst das ganze selbstreferentielle Geschreibsel. Es gibt Wichtigeres als Grubes Stresstestspielchen.

*) www.schwaebische-post.de/560267/

Weitere Beiträge zum Thema:

Stresstest bestanden? Auf welcher Basis?

railomotive.com/2011/06/stresstest-bestanden-auf-welcher-basis/

Tiefer, noch tiefer!

railomotive.com/2011/06/tiefer-noch-tiefer/

CDU fordert Hermanns Rücktritt - falls er gelogen hat

bit.ly/m8DdDk

"Ich musste durchsetzen, dass nicht getrickst wird"

bit.ly/l9oT7v

Stuttgart 21: Mit PR-Agenturen gegen Demonstranten

www.metronaut.de/politik/stuttgart-21-mit-pr-agenturen-gegen-demonstranten/

By the way, bei mir waren es heute 35 Grad im Schatten. Und das heißt? Richtig: bei Politblogger fiel im IC prompt die Klimaanlage aus.

www.politblogger.eu/schweis-21/

Vor den Scheiß21 hat der HERR also den Schweiß21 gesetzt.

Bereits vorher hat Klaus Stuttmann beim Tagesspiegel das Klimaanlagenprinzip bei den Stresstests der Bahn entdeckt: Der eigentliche Test erfolgt immer erst am lebenden Objekt - was Grinse-Kefer leider auch beim Sicherheitskonzept für S21 vorhat.....

www.tagesspiegel.de/mediacenter/karikatur/karikaturen-von-stuttmann-und-schwalme/3994.html

Im alltäglichen Stresstest befand sich neulich auch Dieter Bartetzko, der seine Selbsterfahrung mit Grube-Kefers Management-Fähigkeiten anschaulich in der FAZ beschreibt. Ein seltenes Beispiel dafür, dass in der FAZ beim Thema S21 gelegentlich auch VOR der Zeitung ein kluger Kopf steckt.....

Der Größenwahn der Bahn

www.faz.net/-01y533

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Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

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