S21: The Demonstration After

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Stefan Mappus hatte sich selbst noch rechtzeitig „vor neuer Eskalation gewarnt“ (1), aber dann siegte doch die polit-aggressive Inkontinenz, die ja traditionell ein Markenzeichen der CDU/CSU ist, und der gerade noch von Geißler zum Friedensengel ernannte Christpräsident polterte in gewohnter Manier gegen die Grünen los. Sein Oberberater hatte ihm wohl freudig erregt vom neu verrohten Bürgertum erzählt (2), und dass CDU-„Pfarrer“ Bräuchle damit nicht mehr alleine steht. Da liegt es dann schon irgendwie nahe, so langsam wieder markig Fahrt aufzunehmen, damit es im März dann auch wieder klappt, und der Stammtisch marschiert.

Die Polizei hat den neuen Ton offenbar aufmerksam zur Kenntnis genommen und bei der Spontan-Demo am Samstag (4.12.) schon mal mit der Pfefferspray-Desensibilisierung begonnen. Ein Demonstrant hatte offenbar nicht Schlichtung geschaut und daher auch nicht mitbekommen, dass Heiner Geißler für jetzt und immerdar „Beleidigungen“ untersagt hat. Und dann wehrten sich auch noch die Mitdemonstranten gegen seine vorläufige Festnahme. Also musste wieder der gute alte Pfefferspray ran. Für Wasserwerfer ist es derzeit ja doch etwas zu kalt. Aber drei Personen immerhin sind doch wegen Augenreizungen behandelt worden. Und „in dem Tumult sei zudem eine Frau gestürzt und verletzt worden, als mehrere Personen auf sie getreten seien“, berichtet die StZ. (3) Augenzeugen berichten, dass diese "mehrere Personen" Polizisten gewesen seien. *)

Wegen der Kälte – und wohl auch wegen des laut klagenden Einzelhandels – hatten die Parkschützer die Demo eigentlich abgesagt. Aber ein Effekt des Geißlerschen Schlichtungsbetrugs scheint zu sein, dass der Stuttgarter Widerstand nun endgültig keinem Repräsentanten mehr traut und die Sache einfach basisdemokratisch selbst in die Hand nimmt. Und so marschierte dann ein Großteil der 3 - 10 000 Kundgebungsteilnehmer, nachdem sie brav frierend den Reden gelauscht hatten, anschließend einfach ohne offizielle Bahnsteigkarte los. „Dabei sei es zu erheblichen Verkehrsbehinderungen und anschließend vor dem Neuen Schloss auch zu Rangeleien gekommen“, heißt es in der Stuttgarter Zeitung. Und die Polizei, die sich bereits auf die Teilnehmerzahl der Kundgebung einen Wochenendrabatt gewährt hatte – sonst hätte sie mindestens 5 000 zählen müssen, wie am vergangenen Montag - verrechnete nun noch einen Malus für unbotmäßiges Demonstrieren und zählte trotzig nur noch „ einige Hundert“ Demonstranten. (3)

Die Stuttgarter Zeitung, die online zunächst mit dem Zitat „Geißler hat uns ein dickes Ei gelegt“ aus der Rede des Parkschützer-Gründers Klaus Gebhard aufgemacht hatte, erinnerte sich später entsetzt, dass sie ja jetzt nicht mehr zu „sympathisieren“ brauche und sicherte sich mit dem Titel-Ersatz „S21-Demonstration - Rangeleien und eine Festnahme“ garantiert das Wohlwollen von S21-Krieger Bräuchle. Natürlich hatte der sich auch schon vorher gefreut, als er las, „dass Stuttgart 21 in der Gunst der Bevölkerung zugelegt hat: 54 Prozent sehen das Projekt derzeit positiv, zudem konnte die CDU in der Wählergunst auf 39 Prozent zulegen.“(4)

Und sicherlich hatte er auch zu denjenigen gehört, die mit Spannung erwarteten, wie viele Leute nach dieser Schlichtung, bei diesem Wetter und mitten im Advent auf die Straße gehen würden. Nun, es waren, wie üblich, ca. 10 mal mehr als die Befürworter , die am Donnerstag einen Kefertag gefeiert hatten (5).

Hauptredner war Karl-Dieter Bodack, der freundlicherweise gekommen war, obwohl „nur“ die Schlichtungsboykotteure Parkschützer zur Kundgebung geladen hatten. Die Stuttgarter Zeitung, die sich verdienstvollerweise nicht auf die Mitteilung von Teilnehmerzahlen beschränkte, zitierte folgendes aus seiner Rede: "Es gibt gravierende Sachverhalte, die in der Schlichtung nicht zur Sprache gekommen sind.....Die Bauarbeiten sollten erst dann beginnen, wenn wirklich alle Planfeststellungsverfahren abgeschlossen sind."

In der Langfassung hatte Bodack gesagt, er habe mehrmals versucht, diese gravierenden Mängel bei der Schlichtung zur Sprache zu bringen. Es wurde aber abgeblockt. Geißler hat ja überhaupt extensiv abgeblockt und manipuliert. Zunächst waren die S21-Befürworter seine Opfer, dann - entsprechend seiner Zielsetzung, die Regierung Mappus zu retten - die Gegner.

Was nun Bodacks Bedenken betrifft, so handelt es sich u.a. um den Filderbahnhof, der 32 m tief unter die Erde soll, so dass im Katastrophenfall Verletzte und Behinderte über 5 Stockwerke nach oben getragen werden müssten. Die Planfeststellung zu diesem Bereich scheint seit 8 Jahren (2002) beim EBA zu liegen und komischerweise nicht anzulaufen. Bodack vermutet, dass dies daran liegt, dass die Sache überhaupt nicht genehmigungsfähig ist. Er hat außerdem berichtet, dass man vor Ort Widerstand gegen die seitherige Planung leisten wird und dabei alle Möglichkeiten auszuschöpfen gedenkt.

In Kenntnis seines früheren Arbeitgebers (DB) hat Bodack auch die Vermutung geäußert, dass auch die bahneigenen Fachleute vom Vorstand nicht gehört wurden und werden. Soweit Bodack, aus dem Gedächtnis referiert, daher ohne Gewähr.

Das aber heißt, dass S21, sofern überhaupt gebaut, lange vor dem Filderbahnhof fertig sein könnte. Ohne Anschluss an den Filderbahnhof aber kann S21 nicht vollständig erprobt werden, also möglicherweise auch nicht in Betrieb genommen werden. Damit wäre 2019 jetzt schon obsolet.
Wenn Geißler dieses nicht zur Sprache kommen ließ, dann wollte er manipulieren. Manipuliert/ gelogen (?) hat er auch in der Frage Volksabstimmung:

"Die Juristen des Bundestages halten eine Volksabstimmung und den Ausstieg aus dem Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 rechtlich für möglich. Damit widersprechen sie der Auffassung der baden-württembergischen Landesregierung, die einen Abschied von dem Großprojekt für unzulässig hält." So jedenfalls stand es in der StZ:

www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2661303_0_9223_-bundestags-expertise-ausstieg-aus-projekt-machbar-.html

Unterschlagen hat er auch das Verfassunsggutachten im Auftrag der Grünen zur Finanzierung der NBS, das sehr nachvollziehhbar die Verfassungswidrigkeit der Beteiligung des Landes an der Finanzierung begründet:

www.bei-abriss-aufstand.de/2010/12/02/juristen-zu-stuttgart-21-die-verfassungswidrigkeit-der-finanzierungsvertrage-von-stuttgart-21-macht-den-schlichterspruch-von-heiner-geisler-zur-makulatur/

Verständlicherweise nicht berichtet hat die StZ, dass Andreas Zielcke von der Konkurrentin im eigenen Hause, der SZ, sozusagen der Held des Tages war. Aus seiner Schlichtungsanalyse wurden jedenfalls unter großem Beifall ganze Passagen vorgelesen. (6)

Der Bericht der SZ über die Kundgebung am Samstag ist natürlich weit weniger aufregend, aber er zitiert, was in der StZ fehlt und ist daher eine gute Ergänzung. Der beste Bericht Über die Kundgebung findet sich in der Taz. Und es gibt mittlerweile auch eine mehr als 2stündige Doku von Kundgebung und Demonstration.(7)

Aufregend“ wäre dann wieder das Stichwort für Mappus. Der hat nämlich "noch immer keine Erklärung dafür", wie es zu den Ausschreitungen zwischen Demonstranten und der Polizei am 30. September im Stuttgarter Schlossgarten kommen konnte. "Ich zermartere mir den Kopf, wieso es zu solchen Entwicklungen kommen konnte, warum es keine Indikatoren gab, dass man es früher hätte erkennen und vermeiden können." (1)

Da helfe ich doch gern. Schließlich steht es ja mittlerweile sogar in der Zeitung:

Eine Protokollnotiz des Staatsministeriums hat im Untersuchungsausschuss des baden-württembergischen Landtags für Aufregung gesorgt. Demnach hat Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) vor dem harten Polizeieinsatz gegen Stuttgart-21-Gegner ein „offensives Vorgehen gegen Baumbesetzer“ verlangt.

..In dem Papier zu einer Unterredung zwischen Regierungsmitgliedern und Polizeispitze am 20. September heißt es, die Bäume seien zu räumen, „wenn taktisch klug und mit kalkulierbarem Risiko“. Zudem habe der Regierungschef ein schnelles Fällen der Bäume im Schlossgarten nach Ende der Wachstumsperiode am 30. September angeregt.

..Aus Sicht des Landtagsabgeordneten Rainer Stickelberger (SPD) gibt es jedoch einen weiteren indirekten Beleg für die Einmischung der Politik: eine E-Mail des Landespolizeipräsidenten Wolf Hammann vom 29. September. In dieser schlägt er vor, nach dem Durchsickern des Baumfälltermins am 30. September um 15.00 Uhr diese Arbeiten weiter in den Oktober hinein zu verschieben - vergeblich. „Wenn der Rat des Landespolizeipräsidenten durch den nachgeordneten Stuttgarter Polizeipräsidenten ignoriert wird, geht das nur mit politischer Rückdeckung“, meinte Stickelberger.“

Soweit die Stuttgarter Nachrichten online (8). Und soweit dieser etwas ausschweifende Beitrag anlässlich der Kundgebung vom 4. Dezember.

Quellen:

(1) www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.stuttgart-21-mappus-warnt-vor-neuer-eskalation.8a2273d5-d5e4-4e7f-b921-c2632093a7a6.html

(2) www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/das-buergertum-verroht/

(3) www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2732994_0_9616_-s21-demonstration-geissler-hat-uns-ein-dickes-ei-gelegt-.html

*) www.freitag.de/community/blogs/mcmac/s21---die-im-dunkeln-sieht-man-nicht

(4) www.stuttgarter-zeitung.de/media_fast/1203/Baden-W%C3%BCrttembergTrend%20Dezember%202010.pdf

(5) Kefer spricht auf Befürworter-Demo (Komplett) von CroBenji www.youtube.com/watch?v=WenAicm4s8M

(6) www.sueddeutsche.de/kultur/heiner-geissler-und-stuttgart-die-lizenz-zur-vollstreckung-1.1031587

(7) www.sueddeutsche.de/politik/stuttgart-proteste-schlichterspruch-soll-ruehrei-werden-1.1032130

www.taz.de/1/zukunft/schwerpunkt-stuttgart-21/artikel/1/blut-ist-dicker-als-vernunft/

04.12.2010 Die Demo zum Schlichterspruch+Wanderung by peterpstuttgart

bambuser.com/channel/peterpstuttgart/broadcast/1229768

(8) www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.einsatz-im-schlossgarten-protokollnotiz:-verlangte-das-staatsministerium-hartes-durchgreifen.1b2a767d-f8e9-44b4-876b-a6e9306b0546.html

www.schwaebische.de/lokales/wir-im-sueden/stuttgart21-artikel_artikel,-Polizeieinsatz-bei-S21-Opposition-sieht-sich-bestaetigt-_arid,4199659.html

www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2730444_0_9223_-untersuchungsausschuss-polizeichef-wollte-einsatz-abblasen.htm

Update: 5.12.2010, 17:30

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Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

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