Stuttgart 21: Das Imperium schlägt zurück (1)

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Es war ja schon angekündigt. Jetzt schießt das Imperium zurück. Mit einer Flut von Ködern, Lügen, Halbwahrheiten, Manipulationen, Irreführungen, Weglassungen. realen Informationen, hohlen Phrasen, geschönten Zahlen, vergifteten Angeboten usw. haben nicht nur die zwei Seiten der monopolisierten Stuttgarter Hofberichterstattung die Bevölkerung unter Dauerbeschuss genommen. Dabei dominiert beim Embedded Journalism weniger der gezielte Beschuss als vielmehr die Streubombe.

Dass man das alles gar nicht mehr aufnehmen, geschweige denn überprüfen oder verarbeiten kann, dürfte gewollt sein. Darum geht es ja schon längst nicht mehr. Denn einer Überprüfung hält Stuttgart 21 schon lange nicht mehr stand. Man soll es nicht mehr verarbeiten können. Es soll nur das Erwünschte hängen bleiben.

Wie das konkret funktioniert, mögen ein paar Zahlen illustrieren. Allein heute und gestern habe ich eine Textdatei mit 40 Seiten Umfang kopiert. Es ist eine von 70, die allein zum Thema S21 in den vergangenen Wochen bei mir aufgelaufen sind. Das ist jenseits des Machbaren. Im Hase -und -Igel-Spiel der Herrschenden wird der Widerstand langsam zum Hasen - der übrigens auch in seiner realen Erscheinungsform betroffen ist.*

Er hat zwar die besseren Argumente. Die Befürworter aber haben den technischen und medialen Overkill auf ihrer Seite, mit dem sie den Protest zu Tode zu hetzen versuchen. Denn kaum ist eine „Lüge“ widerlegt, werden schon x weitere nachgeschossen.

Hauptziel dürften die Grünen sein. Am „Runden Tisch“ haben sie sich heute erwartungsgemäß schon mal weich klopfen lassen. Gelingt es, sie nach Hamburger oder Saarbrückener Art vollends in die politische Prostitution zu drängen, dann hat der Protest seine politische Spitze verloren. Geträumt wird hierzulande von Schwarz-Grün ohnehin schon lange. Diejenigen, denen es zu lange dauerte, sind auch schon längst als Vorhut (?) zu Schwarz gewechselt. Ein Winne Hermann macht noch keine Partei. Schon gar nicht von Berlin aus. Und dass die SPD 1996 einen grünen OB und die Grünen 2004 eine SPD-OBin verhindert haben, macht die Sache sicher nicht schwerer (1)/ (2).

Dass der heute „Linke“ Ulrich Maurer damals eine besonders unrühmliche Rolle spielte, passt irgendwie, denn es macht die Misere erst so richtig perfekt. Und OB Schusters gebrochenes Wort und sein daraus resultierender Wahlbetrug wird schnell vergessen sein, wenn die CDU einen hinreichend verlockenden Köder auslegt, den sie später dann – wie in Hamburg – wieder einkassiert.

Die SPD, die sich im politischen Überlebenskampf zu früh und zu rigide hat einbetonieren lassen und der schlicht und einfach die intellektuelle Kompetenz abhanden gekommen ist, massakriert sichderweil von selbst. Den „Dolch“ führt gerade die Stuttgarter Ratsfraktion, die sich gegen Bundes- und Landes-SPD positioniert (3). Über die Gründe kann ich wohl relativ informiert mutmaßen. Einer der führenden „Köpfe“ war ein Schüler von mir. Womit ich allerdings nicht sagen will, dass ich auch schuld daran sei......

Da verwundert es nicht, dass die Stuttgarter Zeitung sich schon mal in der Eheberatung versucht und einen grünen und einen schwarzen „Andersdenker“ zusammenführt (4).

So also der aktuelle Stand according to seriousguy. Und der polit-mediale Beschuss geht weiter. Aus allen Richtungen. Zum Beispiel in der Sparte „Mein Freund der Baum“. Da lanciert die Bahn doch tatsächlich schon mal die Idee, man könne ja vielleicht eventuell möglicherweise ungefähr so mal prüfen, ob man vielleicht eventuell möglicherweise den einen oder anderen ehrwürdigen Baum versetzen....Gut, könnte bis zu 100 000 Euro pro Baum kosten. Aber was tut man nicht alles, um des lieben Friedens willen. Der hiesigen Politik zuliebe hat man ja schließlich auch seine Vernunft abgeschaltet (5) / (6).

Und mal im Ernst: wer nimmt sowas denn ernst. Der Adressat ist wohl die regenbogenfarbige Esoterik-Oma, die allenfalls im Hirn von professionellen Rattenfängern des Kapitals existiert. Mal abgesehen davon, dass es nicht um versetzte Bäume, sondern um den Erhalt eines Parks geht. Und zwar exakt da, wo er bereits ist.

Aber weil es so schön war, folgt auf den Baum sofort der Juchtenkäfer, der ja bekanntlich im Baum sitzt und dort seinem Tagwerk nachgeht. Die Bahn vergisst zwar schon mal ein paar Fahrgäste, die unter den Super-Klima-Anlagen ächzen. Aber für den Juchtenkäfer, da hat man ein Herz im neuen Herz Europas. Jawoll . Der Herr Grube hat nämlich in Wahrheit ein ganz weiches Herz. Für Käfer, versteht sich. Ist nämlich ein Öko. Heimlich. Nachts unter der Bettdecke. Und da schlägt dann nicht nur das Käferherz höher (7).

Und weil es so schön ist. Und damit der Käfer nicht gleich wieder vergessen wird, schreibt ihm der schönste Mann in der StZ-Redaktion doch gleich noch einen Liebesbrief (8). Was hat man sich bei Käfers da gefreut! Ab jetzt liest man im Baum nur noch die Stuttgarter Zeitung. Wenn sie schon sonst keiner mehr liest....

Und wo bleibt der Mensch? Keine Sorge: er joggt. Für...äh...das lässt sich nicht so genau feststellen. Also, das ist nämlich so:

Ich war bei der Eröffnung des Weindorfs, als überall gepfiffen und Lügenpack skandiert wurde. Eine Frau neben mir hat das auch wütend gebrüllt, an der Hand hatte sie ein Leihfahrrad der Bahn. Dieses blinde Hochschlagen der Emotionen hat mich erschreckt und ich habe beschlossen, etwas zu tun, um die Diskussion auf die Sachebene zurückzubringen. Dieses Anliegen, die Gemüter zu beruhigen, steht bei dem Lauf an erster Stelle.“ (9)

Oder vielleicht doch eher so:

"Ich saß an dem Tag wegen der Proteste gegen die Abrissarbeiten 45 Minuten lang im Parkhaus fest und wollte nicht länger schweigen", erzählt List, Geschäftsführer einer Stuttgarter Kommunikationsagentur. So entstand die Idee, ein gemeinsames Hobby – das Laufen – mit dem politischen Engagement zu verbinden. (10)

Jedenfalls „das ist blanker Unsinn.“:

Ich weiß, dass seitens der Gegner von Stuttgart 21 verbreitet wird, die Bahn sei heimlicher Auftraggeber des Laufs für Stuttgart 21, weil sie auf unserer Referenzliste steht. Wie die Stadt Stuttgart übrigens auch.“ (9)

Womit dies geklärt wäre. Blieben noch die Mehrheitsverhältnisse. Also gestern waren ganz ganz sicher Pro S21 „nach Polizeiangaben rund 2500 bis 3000 Menschen auf dem Marktplatz“ (11). Oder vielleicht doch eher „nach Polizeiangaben über 2000 Menschen“ (12)? Na ja, ist eigentlich egal. Hauptsache die Mehrheit:

CDU-Landtagsfraktionschef Peter Hauk erklärte vor den Demonstranten, Baden-Württemberg sei seit Jahren der Zahlmeister beim Länderfinanzausgleich: "Jetzt erhalten wir einmal Geld von Bund und Bahn zurück. Auf dieses Geld verzichten wir nicht." Man dürfe sich nicht länger der Repression durch die Projektgegner unterwerfen. "Seit heute wissen wir: wir sind keine Minderheit", rief Hauk.“(11)

Wie bitte? Bis zu 70 000 Menschen gegen S21 auf der Straße? Nein, Entschuldigung, da haben Sie etwas falsch verstanden. Hier gilt die CDU-Zählweise: dort 147 objektiv festgestellte, weil angezeigte S21-Gegner, hier ca. 2 000 objektiv selbst geschätzte Befürworter. Da gibt es doch nichts zu deuteln, oder?(13)

Und die Umfrage-Mehrheiten? Also bitte, das ist doch die STRASSE:

CDU-Pfarrer Johannes Bräuchle geht es um mehr als den Bahnhof. Es geht um Grundsätzliches. »Man darf der Straße nicht die Meinungsbildung überlassen«.....Bräuchle will der »schweigenden Mehrheit«, wie er sagt, eine Stimme geben und ein Gesicht. Jüngste Umfragen, wonach 54 Prozent der Baden-Württemberger die Untertunnelung des Bahnhofs ablehnen, nimmt er nicht sonderlich ernst. Lieber erzählt er von den 20.000 Unterstützern, die sich im Internet gefunden haben. (14)

Bräuchle ist übrigens ein ganz kompetenter. Als Stadtrat schrieb er am 19.01.2004 unter anderem:

...Die Stuttgarter Wasserversorgung ist nicht verkauft. Sie gehört schon immer und wird auch in Zukunft der Stadt Stuttgart und ihren Bürgern gehören....“ .

So zitiert ihn ein Leserbrief in der StZ vom 12.08.2010. Und damit wäre auch gleich bewiesen, dass die Stuttgarter ziemliche Vollidioten sind. Sammelten sie doch 28 500 Unterschriften für einen „Rückkauf der Wasserversorgung“(15). Was sagt man dazu? Ist doch gut, dass die Journalisten einen so guten Riecher dafür haben, wen man fragen muss, wenn man Wahrheit und Kompetenz sucht. Den Herrn Pfarrer natürlich – sofern CDU.

Bloß wenn seine Zahlen etwas niedrig liegen (20 000 Pro), dann fragt man auch mal woanders:

Der Streit um Stuttgart 21 tobt auch im Internet. Nachdem sich dort lange nur die Gegner zu Wort gemeldet haben, werden nun die Befürworter aktiv. Die Facebook-Seite "Für Stuttgart 21" wächst rasant und hat mehr als 33.000 Anhänger. Stefan Wöhler hat die Seite gegründet. (16)

Leider hat es nach dem Interview etwas pressiert und so hat man bei den Stuttgarter Nachrichten vergessen, rechtzeitig die Kommentar-Türe zu schließen. So muss ich nun leider diesen Teil mit ein paar Ausschnitten aus ziemlich verblödeten Leser-Kommentaren abschließen:

Z.B.: Wie oft werde ich noch zu den Befürwortern hinzugerechnet....erst war ich für S21, weil ich nicht demonstriert habe, jetzt bin ich anscheinend für S21, weil ich bei Facebook sehen wollte, was dort so abgeht und Morgen bin ich wahrscheinlich für S21, weil ich mit der Bahn ins Geschäft fahre.

Oder z.B.: Gestern habe ich erfahren, wie die 33.000 Fans für S 21 bei facebook zustandekommen: Unsere Tochter findet zwischen ihren Favoriten plötzlich, dass sie Fan von S 21 ist, obwohl sie es definitiv nicht ist!!! Sie löscht es jedesmal und bei jedem Aufruf ist es wieder da. Vielen ihrer Freunde geht es ebenso. So werden wahre Fans heute kreiert, keine Spur von freiwillig!!! Erbärmlich, wenn man nur so "Zustimmung" erhält".

..

So zählen übrigens die S21-Gegner:

www.bei-abriss-aufstand.de/2010/09/21/offener-brief-an-die-polizei-zum-thema-zaehlungen-von-demonstrationen-bei-stuttgart-21/

Eine Fortsetzung ist beabsichtigt.

* www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2593343_0_9188_-protest-gegen-stuttgart-21-naturschutzbund-schaltet-sich-ein.html

(1) www.focus.de/politik/deutschland/ob-wahl-stuttgart-was-ich-tue-ist-einmalig_aid_159487.html

(2) www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2624092_0_9223_-palmer-reagiert-auf-schuster-palmer-haelt-vorwuerfe-aufrecht.html

(2) www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2622808_0_6873_-buergerentscheid-ob-schuster-kritisiert-palmer.html

(3) www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2640473_0_1691_-stuttgart-21-rats-spd-stellt-sich-gegen-parteilinie.html

(4) www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2640427_0_9223_-schwarz-und-gruen-im-interview-die-andersdenker.html

(5) www.scribd.com/doc/37261708/Spiegel-Rennbahn-in-der-Randlage

(6) www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.schlossgarten-deutsche-bahn-prueft-baumverpflanzung.b664227a-ab6a-43ce-826a-e1b1f194ee52.html

(7) www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2637319_0_2823_-bedrohte-tierart-im-schlossgarten-bahn-schuetzt-kaefer.html

(8) www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2640277_0_2544_-raidt-schreibt-lieber-juchtenkaefer-.html

(9) www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2638511_0_9223_-befuerworter-von-stuttgart-21-lassen-uns-nicht-provozieren-.html

(10) www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2633260_0_6870_-bahnprojekt-s21-die-befuerworter-machen-mobil.html

(11) www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2640473_0_1691_-stuttgart-21-rats-spd-stellt-sich-gegen-parteilinie.html

(12) www.welt.de/politik/deutschland/article9840286/Bahnchef-will-Stuttgart-21-auf-keinen-Fall-stoppen.html

(13) www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.laut-innenministerium-147-verfahren-gegen-stuttgart-21-gegner.15e601ad-e498-4b47-aa98-47d87e46b87d.html

(14) www.zeit.de/2010/39/Bahnprojekt-Stuttgart-21

(15) www.lw-online.de/fileadmin/downloads/presse_meldungen/2010_03_26_Stgt_Z.pdf

(16) www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.fuer-stuttgart-21-hoppla-uns-gibt-s-aber-auch.302a8d4d-956b-48cf-8ea4-87d4d7bcea21.html

Fortsetzung hier:

www.freitag.de/community/blogs/seriousguy47/stuttgart-21-die-kunst-der-desinformation

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Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

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