Ausgebremst: zur „gefühlten Machtlosigkeit“ der Abgeordneten

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Auf die hierzulande real existierende Demokratie lässt die Politik ungern etwas kommen. Die einen haben daraus ein Exportmodell gemacht, den anderen gilt sie trotz mancher Detailkritik als Maßstab gelungener Volksvertretung. Und wer zum Vergleich auf eine Welt voller vormoderner Herrschaften im modernen Kleid verwiesen kann, in denen Potentaten auf Lebenszeit noch ein geringeres Übel darstellen, glaubt sich umso sicherer in der demokratischen Oberliga.

Über die Frage, was im deutschen Parlamentarismus tatsächlich an Gestaltung und Mitbestimmung möglich sei, ist damit allerdings nicht viel gesagt. Den Graben zwischen dem vorgestellten Prinzip und der praktizierten Realität haben jetzt die Change Centre Foundation und die Düsseldorfer Universität vermessen – mit einer der größten Umfragen, die je unter Parlamentariern gemacht wurden: Was will die Politik wirklich ändern? Viel. Welchen Einfluss haben die Volksvertreter auf diese Veränderungen? Wenig. Wer soll stattdessen für Veränderung sorgen? Der Bürger selbst.

Nun mag man sagen, dass dies zum Grundwissen des demokratieskeptischen Demokraten gehört. Und noch etwas weiter links immer schon über den Irrtum gelacht wurde, dem sich laut Rossana Rossandra jene hingeben, die glauben, an der Macht zu sein – und dabei doch nur die Regierung inne haben. Die Studie ist aber dennoch interessant, allem Wortgeklingel a la „Change-Agenda“ zum Trotz.

So zeigen die Ergebnisse etwa, dass Parlamentarier ihren Einfluss in der Bildungspolitik noch am größten sehen (34 Prozent), was damit zusammenhängen dürfte, dass 70 Prozent der Stichprobe Landtagsabgeordnete sind, und die Bildung als eine der letzten Gestaltungsdomänen der Landtage gilt. Unter deren Vertretern ist die „Einflussüberzeugung“ auch deutlich höher als auf Bundesebene. Und: Sie ist auch unter den Abgeordneten des „linken Lagers“ weit stärker verbreitet. Damit zusammen hängen auch die Antworten auf die Frage, ob Veränderungen eher vom Staat, von der Wirtschaft oder vom Einzelnen ausgehen soll – Alternativen, hinter denen sich grundlegende gesellschaftspolitische Sichtweisen verbergen. Die schlagen sich auch in der parteipolitischen Matrix nieder: den Staat sehen SPD, Grüne und Linke viel stärker in der Verantwortung für Veränderung als Union und FDP. Unter Liberalen ist die Ansicht am deutlichsten verbreitet, die Wirtschaft (Markt) und der Einzelne seien als Gestalter gefragt. Wobei dabei wohl das Klischee der Eigenverantwortung im Vordergrund steht, während im linken Lager der Wunsch nach einer größeren Rolle der Bürger bei Veränderungen eher auf eine Verbesserung der Mitbestimmung hinausläuft.

Die große Differenz zwischen Veränderungsbedarf und eigenem Gestaltungsspielraum hat die Süddeutsche bereits auf die Formel vom „Machtlosen Volksvertreter“ gebracht. Auch die Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann und Joachim Klewes, die für die Studie verantwortlich zeichnen, sehen es als „aus demokratietheoretischer Perspektive bedenklich“ an, wenn Abgeordnete "in der Realität der politischen Arbeit offenbar ausgebremst" werden. Bleibt die Frage nach den Erklärungen. Alemann hat ins Spiel gebracht, dass dies „an den vielfältigen Zwängen von Fraktionen und Parteiapparaten“ liegen könnte „oder auch an der Arbeitsteilung im Parlament“. Das beschreibt ein alt bekanntes und oft kritisiertes Binnenverhältnis im Parteienstaat, jene Eigendynamik und Strukturen politischer Organisationen, die in der Praxis die Idee der Repräsentation untergraben.

Eine andere Erklärung für die „Machtlosigkeit“ ist in den Studienergebnissen selbst angedeutet: 85 Prozent der Stadträte klagen darüber, dass den Kommunen das Geld fehle, um Veränderungen anzustoßen. Wer über die kommenden Wahlkämpfe nachdenkt, in denen Schulfragen mit im Zentrum stehen, dabei die von der Politik selbst angelegten Fesseln der Schuldenbremse mitdenkt und den Unwillen, den angeblich alternativlosen Spardruck durch Umverteilung zu mindern, wird nicht weniger skeptisch sein können als die Autoren der Studie.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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