Beim Sinus-Update gelöscht: Wo sind die DDR-Nostalgischen?

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Alle paar Monate wirft die Medienmaschine Meldungen wie diese heraus: Zehn Prozent der Ostdeutschen wollen die DDR wiederhaben. Typisch, raunt es dann aus dem Publikum zurück. Und das allgemeine Vorurteil lässt vor dem geistigen Auge eine Mischung aus Sahra Wagenknecht und SED-Rentner erscheinen. Meist weiß man freilich nichts darüber, was denn nun genau gefragt wurde. Und dass im Westen die Zahl jener nicht viel kleiner ist, deren Begeisterung über die „Wiedervereinigung“ nach wie vor eher zurückhaltend ausfällt, stört auch ein wenig das Bild. Gerade hat wieder ein Sozialverband einen Report vorgelegt: Neun Prozent der dabei befragten Ostdeutschen wollten die DDR zurück, im Westen begehrten elf Prozent nach neuerlicher Grenzschließung.

Für solche altbundesrepublikanische Mauer-Sehnsucht fehlt noch ein einschlägiger Begriff. Wenn im Osten das 1989 untergegangene Staatswesen freundlich erinnert wird, spricht man vom DDR-Nostalgiker. Der Begriff ist so ungerecht wie sinnlos, weil zwischen der subjektiven Erfahrung und dem politischen Urteil kilometertiefe Gräben liegen können. Und eigentlich auch niemand sagen kann, was es denn genau hieße, „die DDR wiederhaben“ zu wollen. Es wäre ja so oder so eine andere, eine ohne Erich Honecker und mit Internet.

Trotzdem existieren die „DDR-Nostalgischen“ als Kategorie der Forschung. Etwa in den berühmten „Sinus-Milieus“, einem Modell, das auf eine 1980 von Jörg Ueltzhöffer vorgelegte „Lebensweltanalyse“ zurückgeht, mit dem seinerzeit völlig neue Zielgruppen für die Marktforschung umrissen wurden. Als „Sinus AB2“ - die Ziffern markieren den Platz in einem Koordinatensystem aus sozialer Lage und Grundorientierung – hatten sie auf der großen Milieukarte als längliche, etwas wurstartige Zone ihren angestammten Platz. Bis sie nun plötzlich verschwunden sind.

Alle paar Jahre, und zuletzt immer schneller, ist das Sinus-Modell an eine Wirklichkeit angepasst worden, von dem seine Urheber sagen, sie sei „ständig in Bewegung und verändert sich“. Dem würde man kaum widersprechen wollen, aber dass gleich ein ganzes Milieu komplett und gänzlich untergeht? Bei den „DDR-Nostalgischen“ sollte es sich bisher immerhin um vier Prozent der Bevölkerung handeln. Das sind mehrere Millionen Menschen, die zwar, so sagte es das Modell, mehrheitlich schon jenseits der 50 waren, aber doch nun noch irgendwo sein müssen, Anschluss gefunden, man würde wohl heute sagen: sich erfolgreich integriert haben.

Sinus-Geschäftsführer Bodo Flaig sagt, die „DDR-Nostalgischen“, einst ein wenig eingeklemmt zwischen Traditionsverwurzelung und bürgerlicher Mitte, hätten sich weitgehend aufgelöst. Die dabei übrig blieben, würden nun dem „prekären Milieu“ zugerechnet, der neuen „um Orientierung und Teilhabe bemühten Unterschicht“ mit ihren „starken Zukunftsängsten und Ressentiments“.

Wer an der Erklärung von Lebenslagen und Alltagskulturen interessiert ist, bleibt hier ein wenig ratlos zurück. Und jene, denen das Sinus-Modell immer schon ein „bewährtes Planungsinstrument“ und eine „bessere Entscheidungshilfe“ war – das Marketing also –, werden ihre Schlüsse daraus ziehen. Ost-Devotionalenhändler aller Länder, zieht euch warm an! Die „DDR-Nostalgischen“ gibt’s nicht mehr.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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