Grundeinkommen, Anhörung im Bundestag, Studie: die Fortsetzung

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In der Debatte über ein Bedingungsloses Grundeinkommen gibt es viele Hoffnungen, manches Unwissen, große Vorurteile. Allein die schiere Zahl der Konzepte, die sich zum größten Teil solidarisch nennen, dies aber zu einem ebenso großen Teil keineswegs sind, macht es schwer, über das Grundeinkommen zu sprechen. Das Reden findet zudem auf ganz unterschiedlichen Ebenen statt: Es gibt Netzwerke von Experten, die aus dem Stegreif Modelle der Finanzierung vorrechnen können; es gibt Künstler, denen die lebensweltliche Botschaft der Idee attraktiv erscheint; es gib Parteien, in denen das Grundeinkommen zur Folie sozialpolitischer Konflikte geworden ist. Und es gibt Menschen, die sich von einem „Bürgergeld“ nichts weiter versprechen als die Verbesserung ihres unmittelbaren materiellen Daseins.











(die Anhörung zum Anschauen)

Das ist der Hintergrund, vor dem am Montag im Bundestag die öffentlichen Anhörung der Grundeinkommens-Petition von Susanne Wiest über eine vergleichsweise große Bühne ging: Die Zahl der Interessierten war so groß, dass für den Tagesordnungspunkt des Ausschusses der Anhörungssaal 3.101 bei weitem nicht genügend Platz bot – der Termin wurde gleich in mehrere Nebenräume übertragen und im Internet sowieso. Dass es sich, wie immer man zum Grundeinkommen steht, um eine besondere Veranstaltung handelt, ließ schon ein Publikum erahnen, das sonst eher selten auf den parlamentarischen Fluren anzutreffen ist. Ja, es wurde sogar geklatscht und am Ende sogar gesungen, was das offiziöse Selbstverständnis demokratischer Bürokratie auf eine Weise durchbrach, die man in gutem Sinne irritierend nennen kann.

Eine Fachdiskussion auf der Höhe der wissenschaftlichen Debatte über das Bedingungslose Grundeinkommen wurde im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus nicht geboten. Mancher hat das enttäuscht zur Kenntnis genommen, man hätte es aber auch nicht erwarten dürfen. Die Petition war zehn Wörter lang, sie begehrte, „das bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen“. In der Begründung wird sich nur vage über ein Modell geäußert. Was die Wahl-Greifswalderin Susanne Wiest und ihre 52.973 Unterstützer allerdings geschafft haben: Eine Debatte in die parlamentarische Öffentlichkeit zu holen. Und einen Punkt kenntlich zu machen, um den es über alle Gegen-argumente und Fürsprachen hinweg geht: Die Menschen würden doch ökonomisch denken, hat der CDU-Abgeordnete Siegfried Kauder der Petentin am Montag vorgehalten und dabei auf die Frage der fehlenden Arbeitsanreize abgestellt. Worauf Hermann E. Ott von den Grünen mit dem Hinweis antwortete: Die Frage des Bedingungslosen Grundeinkommens ist eine des Menschenbildes.

Parteipolitische Linien

Die parteipolitische Linie im Petitionsausschuss verlief deutlich zwischen Union und FDP auf der einen sowie SPD, Grünen und Linken auf der anderen Seite. Wobei damit nichts darüber gesagt ist, was die drei Oppositionsparteien vom Grundeinkommen halten. Im Ausschuss sitzen dezidierte Verfechter diverser Modelle, der Grüne Wolfgang Strengmann-Kuhn etwa, dessen Nähe zur Petentin angesichts des freundschaftlichen „Du“ unübersehbar war. Linken-Vize Katja Kipping hatte sich eigens für diese Sitzung in den Ausschuss begeben und dort bekannt, eine „glühende Verfechterin“ des Grundeinkommens zu sein. In beiden Parteien hat die Grundeinkommens-Debatte längst die Ebene erreicht, wo es um Beschlussmehrheiten auf Bundesebene geht: bei den Grünen stehen ganze Landesverbände hinter der Forderung nach Einführung, die Partei hat sich in Nürnberg mit etwa 60 zu 40 dagegen ausgesprochen. Bei den Linken ist das Grundeinkommen als Option in einer Nachbemerkung zu den Eckpunkten fixiert – und nach dem Konvent in Hannover waren Beobachter ziemlich sicher, dass die Idee zumindest als Diskussionsziel auch im neuen Programm stehen wird. Aus der SPD, in der schon vor ein paar Jahren einmal eine Arbeitsgruppe zum Thema gegründet worden war, kam dieser Tage die Nachricht, die Sozialdemokraten aus Rhein-Erft hätten sich als erster von 350 Kreisverbänden auf einem Parteitag für das Grundeinkommen ausgesprochen.

Darum ging es im Bundestag am Montag aber nicht. Die freundlichen rot-rot-grünen Worte gegenüber der Petentin bezogen sich weniger auf die parteipolitischen Logiken, sondern vielmehr auf zwei andere Motive: einerseits die Frage der „lebendigen Demokratie“, für welche die Petition von Wiest, die eine der größten ihrer Art war, für Aufmerksamkeit sorgte und die nicht gerade junge Grundeinkommen-Diskussion über das Spezialistentum hinaus reanimierte. Und andererseits, weil eine Weiterentwicklung von sozialen Sicherungssystemen hier „über die Grenzen“ des Bestehenden hinaus zumindest gedacht wird.

Visionäre Eigenschaften

Es gibt Varianten und Modelle, in denen der Aspekt der „Vereinfachung“ der Sicherungssysteme oder das neoliberale Motiv, die Transferkosten zu senken, im Vordergrund steht. Und solche, die auch in ihrer Begründung viel weiter gehen, die menschenrechtlich argumentieren oder mit der freien Entfaltung des Einzelnen, kurzum: die nicht zuletzt über die Höhe des genannten Betrags „visionäre“ Eigenschaften haben.

Und hierin liegt womöglich die eigentliche Macht der Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens: Sie ist nicht zu diskutieren, ohne dass zentrale gesellschaftspolitische Auffassungen auf den Seziertisch kommen. Welche Rolle messen wir der Erwerbsarbeit bei, welche spielt anderes Tätigsein, wie wird gesellschaftlicher Reichtum produziert und wie wird er verteilt, welchen Spielraum freier Entfaltung gestattet sich ein Gemeinwesen, welche materielle Basis gesteht sie allen ohne Einschränkung und Bedingung zu, wie funktionieren die ideologischen Scheuklappen in der Debatte, wo liegen die Systemgrenzen. Und so weiter.

Das wird inzwischen auch von Bundestagsparteien anerkannt. Nicht von allen freilich. Hinter dem Hinweis auf die „problematischen Auswirkungen auf die Arbeitsanreize“, den ein schlecht vorbereiteter Arbeitsstaatssekretär im Petitionsausschuss repetierte, versteckt sich dagegen jene Haltung, die vor allem Angst vor Veränderung hat. Man kann Ralf Brauksiepe nicht einmal vorwerfen, er besorge hier in erster Linie und bewusst das Geschäft irgendwelcher an der kapitalistischen Verwertung von Menschen interessierter Lobbygruppen. Der CDU-Mann stand am Montag eher für eine Logik der Beharrung, für einen Apparat, der notfalls zur Ausrede greift, eine „völlige Umstrukturierung“ sei falsch, weil sich das „bestehende System auch in der Krise bewahrt“ hätte. Dabei redet seine Partei, wenn es um Kürzungen im Sozialsystem geht, genau davon: von seiner Krise.

Schlecht vorbereitet

Was die Sache mit den Arbeitsanreizen angeht: sie sollte selbstverständlich diskutiert werden. Aber weder Brauksiepe oder der Unionsabgeordnete Paul Lehrieder noch der FDP-Abgeordnete Stephan Thomae scheinen sich vor der Sitzung des Ausschusses einmal die Mühe gemacht zu haben, den Stand der Debatte überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, die eine oder andere Studie durchzublättern oder wenigstens einen Referenten damit zu beauftragen. Man hätte dafür bloß einmal in die Zeitung schauen müssen Denn gerade eben sorgt die Expertise des Linzer Volkswirtschaftlers Friedrich Schneider für Streit.

Die Studie wurde im Auftrag des Unternehmers Götz Werner erstellt und wird nicht nur auf freitag.de eifrig debattiert. Sie hat den grundlegenden Mangel, von einem Befürworter eines Grundeinkommens bezahlt worden zu sein, was den Verdacht nährt, dies schlage auf die Interpretation der Ergebnisse durch. Sie hat zudem den methodischen Mangel, dass unklar bleibt, auf welches Grundeinkommensmodell sich Fragen und Antworten überhaupt beziehen. Schließlich macht es einen elementaren Unterschied, ob man nach der „Stütze plus“ des früheren CDU-Ministerpräsidenten Dieter Althaus (400 Euro nach Abzug der Krankenversicherungspauschale) setzt oder dem Werner-Modell (1.000 Euro) gefragt wird.

Und doch sind die Ergebnisse vor allem mit Blick auf die Frage interessant, wer denn in Grundeinkommenszeiten „die ganze Arbeit“ erledigt: 44 Prozent der von Schneider und seinen Kollegen Befragten glauben, dass nach Einführung gleich viel oder mehr gearbeitet würde – 45 Prozent meinen, das Arbeitsangebot würde insgesamt zurückgehen. 72 Prozent aller Erwerbstätigen wollen der Schneider-Studie zufolge ihr Arbeitsangebot nicht verändern. Selbstständige und abhängig Beschäftigte würden ihre wöchentliche Stundenzahl um 4,6 beziehungsweise 4,2 Stunden verringern. Und vor allem unter Beschäftigten in Sektoren, in denen die Arbeit anstrengend und meist schlecht bezahlt sind, ist die Zahl derer besonders groß, die ihr Arbeitsangebot reduzieren oder völlig einstellen würden.

Reich der Notwendigkeit

Der Grüne Wolfgang Strengmann-Kuhn, selbst als Ökonom an Universitäten tätig, zuletzt als Lehrstuhlvertreter einer Professur für Labour Economics, sieht mit den Ergebnissen die alte Mär der „großen Faulheit“ am Ende. Bei einem Grundeinkommen würde sich jede Art von Tätigkeit lohnen, weil sie sozial abgesichert ist – und das wirke sich über Eigeninitiative, Existenzgründungen, Innovationen dann auch volkswirtschaftlich positiv aus. Im Gegensatz dazu glaubt der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats beim Finanzministerium, Clemens Fuest, dass gerade gering bezahlte und anstrengende, unangenehme Jobs dann nicht mehr erledigt würden.

Bleibt die Frage, ob das ein Argument gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen ist. Oder nicht vielmehr eines für einen Mindestlohn, der diesen Namen auch verdient. Dass es neben dem Reich der Freiheit immer auch eines der Notwendigkeit geben wird, bestreitet niemand. Es kommt aber darauf an, wie diese Arbeit verteilt, organisiert und belohnt wird. Wenn es ein „realpolitisches“ Ergebnis der Debatte über das Grundeinkommen sein würde, dass sich hier etwas bewegt, wäre doch ein Schritt gemacht.

Startseitenfoto: Christopher Dombres / Flickr

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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