Stuttgart 21 Extrem: Focus, Verfassungsschutz, Radikale

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Potz Blitz, die Linksextremisten! Wenn das so ist, wie der Focus sich jetzt vom Verfassungsschutz hat erzählen lassen, dass nämlich gefährliche Gruppen wie Linksjugend und die SAV an der Jugendoffensive gegen Stuttgart 21 beteiligt sind, rädelsführend womöglich sogar, dann hätte sich der Polizeieinsatz vom Donnerstag, der zuallererst die Schülerdemonstration eben jener Jugendoffensive traf, ja gar nicht gegen „normale Bürger“ gerichtet, sondern gegen Linksextremisten. Und denen muss sich die Demokratie schließlich mit aller Härte entgegenstellen. Nochmal Glück gehabt, Rambo-Rech und Martial-Mappus. Denn wenn Polizisten bei Linksextremen "hinlangen", dann wäre der Grund zur öffentlichen Erregung ja gleich viel weniger groß.






Bereits am Freitag kursierte das Gerücht, „Linksextreme“ aus dem ganzen Bundesgebiet hätten sich zur Freitagsdemo auf den Weg nach Stuttgart gemacht. Manche Reaktionen via Twitter fiel wie gewünscht aus: Wenn nun der „schwarze Block“ in die schöne Neckarstadt „einsickert“, dann wäre der ganze Schwabenstreich im extremistischen Arsch. Der Focus hatte bereits im August dem Verfassungsschutz Gelegenheit gegeben, davor zu warnen, dass „Linksextremisten versuchen, (…) den Protest gegen den Neubau des Stuttgarters Bahnhofs für sich zu nutzen“. Was damals DKP, MLPD und die Linke waren, sind nun eben Linksjugend und die Sozialistische Alternative SAV.

Nun hätte der Focus für die brandheiße Meldung, dass letztgenannte Gruppen bei der Jugendoffensive gegen Stuttgart 21 mitmischen, nicht unbedingt den politischen Geheimdienst fragen müssen. Ein Sprecher ist zugleich bei der Linksjugend aktiv und schreibt für die Website der SAV, wo jeder schon vor einem Monat lesen konnte, dass „junge AktivistInnen der SAV und von Linksjugend [’solid] die Jugendoffensive gegen Stuttgart 21 mit gegründet“ haben. Die fordert Geld für Bildung statt für einen Glitzerbahnhof und findet es Mist, dass Jugendliche wegen der öffentlichen Finanznot „in Jugendhäuser für das Kikkern bezahlen müssen“. Statt Börsengang der Bahn plädiert man für einen gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr.

Was daran über die Tatsache hinaus „linksextremistisch“ sein soll, dass Hinz und Kunz heutzutage im Verfassungsschutzbericht auftauchen, steht dahin. Forderungen wie die Genannten finden sich heuer in den Antragsbüchern jedes SPD-Parteitags. Selbst die in Stuttgart demonstrierenden CDU-Wähler und Rentnerinnen würden das unterschreiben. So gesehen ist es dann sogar falsch, wenn die Schlapphüte herausgefunden haben wollen, dass es „diesen Gruppen (…) noch nicht gelungen“ sei, „ihren Einfluss so auszudehnen“, dass damit „breite Bündnisse erzielt“ würden. Der Einfluss dehnt sich auch ohne fiese extremistische Hintergedanken aus. Ganz von allein und zumindest in Stuttgart derzeit in fast alle Richtungen. Ob Bündnis oder nicht, die Opposition gegen Stuttgart 21 wächst – und es war den Leuten bisher egal, ob man mit Che-Guevara-Shirt am Leib oder der Nationalhymne auf den Lippen gegen das Milliardengrab protestierte.

Und genau darum geht es. Unter anderem dem Magazin des Hubert Burda, der zuletzt auf dem Ticket der baden-württembergischen CDU in der Bundesversammlung saß, und in dem jetzt ständig diese Geschichten von der „linksextremen Instrumentalisierung“ zu lesen sind. Im August zitierte man den Vizepräsidenten, nun ist Stuttgart 21 Chefsache: Die Präsidentin des Landesamtes höchst persönlich erklärte, Linksjugend und SAV wollten eine latente „Unzufriedenheit in der Bevölkerung“ aufnehmen und diese mit der Kritik am politischen System verbinden. Was natürlich schwer verboten ist. Zum Glück hat der Focus einen richtig heißen Draht zu anonymen Quellen, die „BfV-Beobachter“ genannt werden. Es handelt sich dabei übrigens nicht um Leute, die den Verfassungsschutz beobachten.

Keine Deeskalation geplant

Es spricht vieles dafür, dass bei diesem Einsatz von Anfang an keine Deeskalation geplant war, sondern eine harte Linie. Dass die Polizei gleich mit Wasserwerfern angerückt ist, war darauf angelegt, Stärke zu zeigen. Auch die Ausstattung der Einsatzkräfte spricht dafür: In eine friedliche Demonstration geht man nicht mit Vollschutz, sondern mit möglichst wenig Ausstattung, um Aggressionen erst gar nicht hochkommen zu lassen. Man hat das Gefühl, die Politik wollte diesen Konflikt. (Der Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes im Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung.)

Plan B in Kraft

Ursprünglich war die Absicherung erst für 15 Uhr vorgesehen – so stand es auch in den Plänen der örtlichen Polizei. Da in den letzten Wochen solche Informationen jedoch immer wieder an die Demonstranten gerieten, entwickelte Polizeipräsident Stumpf einen “Plan B”, in dem Hundertschaften aus anderen Bundesländern für 10 Uhr eingeteilt wurden. Und weil am Tag zuvor im Internet bereits Warnungen vor dem Einsatz um 15 Uhr kursierten, setzte der Polizeichef Plan B in Kraft – nicht berücksichtigend, dass gegen 10 Uhr sich eine angemeldete Schülerdemonstration in die Nähe des Schlossgartens bewegte. Als die Schüler den Polizeieinsatz bemerkten, strömten viele der jungen Protestler zu den Bäumen. (Der Spiegel berichtet über die Einsatzplanung der Stuttgarter Polizei am Donnerstag.)

auch erschienen auf lafontaines-linke.de

(Foto: Thomas Kienzle/AFP/Getty Images)

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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