Umstrittene Israelkritik, die Taz, eine Podiumsrunde und der Eklat

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Eine Podiumsdiskussion der Berliner Jüdischen Gemeinde über den Umgang deutscher Medien mit Israel und dem Thema Antisemitismus hat am Dienstagabend zu einem Eklat geführt. Nach dem Grußwort der Gemeindevorsitzenden Lala Süsskind forderte die Gruppe Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost lautstark, die umstrittene Autorin Iris Hefets solle auf dem Podium gehört werden. Nachdem die Veranstalter dies ablehnten, verließ die als Diskussionsgast eingeladene Chefredakteurin der Berliner Tageszeitung, Ines Pohl, das Podium.“

Das ist der trockene Tenor eines Berichts der evangelischen Nachrichtenagentur epd. Wer, wie der Autor, nicht dabei gewesen ist, muss mit dem leben, was er zu lesen und erzählt bekommt. Reicht das, um sich ein Bild zu machen? Was die Veranstaltung angeht, wohl kaum. Wie emotional aufgeladen die Stimmung gewesen sein muss, lässt sich daraus nur erahnen. Allerdings geht es bei dem Konflikt um mehr als nur eine aus dem Ruder gelaufene Diskussionsrunde.

Besagter Hefets-Kommentar hat nicht nur in der Community der Taz und in deren Redaktion für Diskussionen gesorgt, sondern auch jenseits davon einen Resonanzboden in heftige Schwingung versetzt: Wie viel Kritik an Israel ist erlaubt? Wer darf sie wo äußern? Wo fängt Antisemitismus an? Welche Rolle spielt die deutsche Tätervergangenheit bei der Bewertung der Erinnerungskultur anderer? Solche und andere Fragen sind seit langem Treibstoff für eine Diskursmaschine, die – das ist ein persönlicher Eindruck – in den neunziger Jahren vor allem in der linken Szene schnell auf Hochtouren kam, inzwischen keinerlei Erkenntnisgewinn mehr verspricht und mit einer gewissen Zwangsläufigkeit auf Beschimpfungen hinausläuft.

Wie in diesem Fall: Auf dem Podium, von dem es heißt, es sei Eklat geendet, saßen der Chefredakteur des Tagesspiegel, Stephan-Andreas Casdorff, sein Welt-Kollege Thomas Schmid und eben Ines Pohl von der Tageszeitung sowie Perlentaucher-Mitgründer Thierry Chervel als Moderator. Eingeladen hatte die Jüdische Gemeinde zu Berlin. Über den Gang der Ereignisse kann man sich von verschiedener Seite unterrichten lassen. Und natürlich weiß es ein jeder ganz genau, keine Widerrede! „Wahrheit“ wird bei diesem Thema nicht in Gramm gemessen, sondern in Tonnen. Eine unkommentierte Gegenüberstellung:

Worum sollte es gehen?

Es ging um die Frage, warum in der deutschen Öffentlichkeit immer wieder jüdische Menschen mit wenig repräsentativen Meinungen zu Wort kommen, mit Israelkritik in einer Sprache, die die Grenzen der Geschmacklosigkeit überschreitet, und die bisweilen nachweisbar antisemitische Thesen vertreten. Gefragt werden sollten die anwesenden Chefredakteure und Herausgeber, wie sie diese Tatsache begründen“, heißt es bei der Jüdischen Gemeinde.

Anders die Jüdische Stimme: „Die Tatsache, dass Iris Hefets als Autorin des Kommentars nicht eingeladen wurde, sich auf dem Podium öffentlich zu erklären, spricht für sich. Im Einladungstext fehlt zudem jeder Hinweis darauf, dass sie Israelin und Mitglied unserer Organisation ist. Beides ist öffentlich bekannt. Der Diskurs mit unserer Organisation ist nicht offenkundig gewollt. Es soll nicht sichtbar werden, dass die Jüdische Gemeinde zu Berlin nicht im Namen aller hier lebenden Juden und der Staat Israel nicht im Interesse der 'jüdischen Welt' handelt. Stattdessen zieht es die Jüdische Gemeinde vor, mit befreundeten Vertretern der deutschen Presse die Tageszeitung auf ein Anklagepodium zu zerren, damit auch hier Ruhe in Sachen Israel einkehrt", meinte die Organisation - schon bevor das Podium stattgefunden hatte.

Wer hat den Eklat verursacht?

Abgesehen davon, dass diese Frage gar keine eindeutige Antwort kennen dürfte – sowohl der Perlentaucher als auch Welt-Chef Schmid hatten genau eine solche: Ines Pohl wars. Ja, die Taz-Frau soll den Eklat sogar fingiert haben. „Es war wie imTheater. Ines Pohl hat es hinbekommen, vor einer Diskussion zu kneifen und dabei als Mutter Courage abzugehen! Sie hatte der Zusammensetzung des Podiums und der Fragestellung des Abends zugestimmt, nun musste es wirken, als hätte sie die Jüdische Gemeinde von vornherein übertölpeln wollen“, schreibt Anja Seeliger im Perlentaucher-Redaktionsblog. Und der schwer am Sündenstolz gewendeter Revolutionäre tragende Springer-Mann Schmid warf Pohl vor, den Krach inszeniert zu haben, um sich der Diskussion zu entziehen. Die Jüdische Gemeinde zeigte sich enttäuscht: „Nicht erwartet haben wir diese destruktive und aggressive Form der Störung und schon gar nicht die Solidarisierung und den stillosen Abgang der Chefredakteurin einer Tageszeitung.“

Die Taz-Chefredakteurin hat sich dagegen verteidigt: „Der Ton der Veranstaltung wurde bereits durch das Grußwort bestimmt, es wurde schnell polemisch“, sagte sie dem epd. "Ich wurde als Nazi-Sau beschimpft und bespuckt." Dass die Autorin Hefets „so in den Mittelpunkt der Veranstaltung gestellt wurde“, sei gegen die Absprache gewesen. Pohl halte es „für ein zutiefst antidemokratisches Verhalten, eine Einzelperson wie die Autorin so hart anzugreifen“. Zum Vorwurf von Schmid sagte sie: „Ich verwahre mich gegen den Vorwurf der Inszenierung eines Eklats: Ich bin Journalistin und keine Aktivistin.“ Den Dialog wolle man dennoch „nicht abbrechen lassen“, so die Taz-Chefin, sie habe bereits versucht, die Jüdische gemeinde wegen einer neuen Veranstaltung zu kontaktieren. Unter der Überschrift „Spucken und Schreien“ berichtete die Tageszeitung über den „Tumult“ in ausgewiesen zurückhaltender Form.

Der aktuelle Anlass und eine Replik

"Das Holocaust-Gedenken ist zu einer Art Religion geworden", stand über dem Beitrag von Iris Hefets, der Anfang März in der Taz unter der Überschrift „Pilgerfahrt nach Auschwitz“ erschien und dem Podium ein Anlass war, über Israelkritik, Antisemitismus und Gedenken zu diskutieren. „Bei diesem Schoah-Kult handelt es sich, so muss man wohl sagen, um eine Art Religion mit festen Ritualen. Dazu gehört – ungeachtet aller heutigen Realitäten – die feste Überzeugung, die Deutschen seien die ewigen Täter und die Israelis die ewigen Opfer, weshalb die Gesetze und Regeln demokratischer Staaten für Letztere nicht zu gelten hätten: ein Sonderfall halt.“

Ein paar Tage später antwortete Alexander Hasgall ebenfalls in der Tageszeitung auf Hefets Thesen: Wer Israel dämonisiert, spielt nur Antisemiten in die Hände. „Hefets Kernthese lautet, dass man sich aufgrund des Holocaust in Deutschland nicht traue, Israel offen zu kritisieren. Um zu belegen, dass dies jeder Grundlage entbehrt, genügt die regelmäßige Lektüre deutscher Tageszeitungen; auch auf die jüngsten kritischen Äußerungen der deutschen Kanzlerin zum Siedlungsbau sei hier verwiesen. Hefets ist nicht an einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Gedenken an die Schoah gelegen, vielmehr lässt sie ihren antiisraelischen Gefühlen freien Lauf. Dabei ist eine differenzierte Auseinandersetzung über die Frage, wie angemessen an die Schoah erinnert werden kann, durchaus notwendig. Dass dieser Umgang nicht immer frei von Pathos, politischer Instrumentalisierung und Kitsch ist, wird niemand bestreiten. Wer aber das Gedenken an die Schoah pauschal als irrationalen Kult abstempelt, der beleidigt nicht nur das Andenken an die Opfer, sondern darf sich nicht beklagen, wenn er Applaus von Revisionisten jeder Couleur bekommt."

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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