Vorstoß für Rot-Rot-Grün

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Während alle noch mit der Entscheidung von Oskar Lafontaine beschäftigt waren, sich aus der Bundespolitik zurückzuziehen, machte am Samstag die Nachricht von einem Aufruf für ein rot-rot-grünes Bündnis die Runde. Den Vorstoß haben jüngere Bundestagsabgeordnete aus SPD, Grünen und Linkspartei unternommen – und sich dafür die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung als Plattform ausgesucht.

Es liegt die Frage nahe, warum ausgerechnet in diesem Blatt der Dialog für „Mehrheiten jenseits von Schwarz-Gelb“ beginnt. Eine Antwort wäre taktischer Natur und liefe daraus hinaus, dass man in einer weit verbreiteten Sonntagszeitung nun einmal den besten Aufmerksamkeitseffekt erzielt. Wenigstens ist man mit der Idee nicht zu Bild bzw. Welt am Sonntag gegangen – deren Auflagen liegen noch einmal deutlich höher.

Eine andere Antwort, die möglich scheint, hängt mit dem konkreten Termin zusammen – denkbar wäre ja etwa auch gewesen, den Vorschlag an einem Donnerstag zu platzieren, an dem mehrere Wochenzeitungen erscheinen. Vielleicht aber sollte die Nachricht gerade an diesem Wochenende ihren Weg in die Öffentlichkeit finden? Dann ließe sich die Aufforderung zu einer neuen rot-rot-grünen Debatte über parlamentarische Mehrheiten als Versuch interpretieren, gleich einmal Positionen in der Post-Lafontaine-Ära zu besetzen. Aber das sind Spekulationen. Aus dem Papier selbst geht weder das eine noch das andere hervor.

Crossover-Traditionen

Die Unterzeichner knüpfen mit ihrem Vorstoß an Arbeiten auf einem schon seit langem beackerten Feld an, die in den vergangenen Jahren allerdings kaum noch größere Früchte hervorbrachte. Diskussionen über Gemeinsamkeiten (und Unterschiede) wurden zwischen SPD, Grünen und der PDS schon in den neunziger Jahren geführt. Damals stritten Vertreter von drei Oppositionsparteien um Reformprojekte, um einen sozial-ökologischen New Deal. Dann kam Rot-Grün, eine Regierung, die mit den innerhalb der Crossover-Debatten formulierten Überlegungen nichts zu tun hatte – was auch nicht besonders verwunderlich war: Es war ja zuvor ein Minderheitenprojekt in den drei Parteien. Jugoslawienkrieg und Agenda-Kurs vergrößerten die Distanz. Politisch aber auch von der Konstellation her – die PDS blieb ja Opposition – verloren sich die Gesprächsfäden, reduzierte sich die inhaltliche Auseinandersetzung auf einige eher persönliche oder mehr wissenschaftliche Trialoge.

Wenn jetzt SPD, Grüne und Linkspartei wieder „gemeinsam“ Opposition sind, ist damit natürlich keinesfalls der Ausgangspunkt der neunziger Jahre wieder erreicht. Das Parteiensystem ist ein anderes und die Parteien in ihm haben sich stark verändert. Nicht zuletzt um die apolitische (und strategisch unkluge) Distanzierung der Linkspartei durch SPD und Grüne zu überwinden, wurde in den vergangenen Jahren dennoch immer mal wieder versucht, die Debatte neu aufzunehmen.

Über ein bestimmtes Niveau gelangten diese Bemühungen aber meist nicht hinaus: Es blieb in der Regel bei dem Hinweis, dass eine Diskussion geführt werden müsse – mehr allerdings nur dann denkbar sei, wenn diese oder jene Partei diese oder jene Voraussetzung erfüllt hätten. Neue Fragestellungen, etwa zum Thema Internet und Demokratie oder den sozialpolitischen Herausforderungen, wurden zwar benannt, aber kaum „bearbeitet“.

Ein nächster Versuch

Mit ihrem Aufruf Das Leben ist Bunter! wollen nun abermals Vertreter von SPD, Grünen und Linkspartei „den Dialog organisieren“ – gewissermaßen eine neue Generation von Crossover, aber auch eine neue Generation von Politikern in den jeweiligen Parteien: Halina Wawzyniak, Stefan Liebich und Jan Korte von der Linkspartei, die SPD-Abgeordneten Marco Bülow und Frank Schwabe sowie die frühere Vizevorsitzende der PDS, Angela Marquardt, die inzwischen für die SPD-Fraktion arbeitet, und schließlich Nicole Maisch und Anton Hofreiter von den Grüne.

„Wir wissen, dass ein rot-rot-grünes Bündnis mehr unter Druck stehen würde als jede andere Konstellation. Deshalb wollen wir die Debatte jetzt beginnen“, heißt es in dem Papier. Es gehe der „Oslo-Gruppe“, wie sie die Frankfurter Allgemeine nennt, nicht um die Wahl in Nordrhein-Westfalen, wohl aber darum, eine Debatte zu starten, die nie vorankäme, würde immer nur wahltaktische Rücksicht genommen. Es soll in Zukunft auch eine Reihe von öffentlichen Foren geben und in den kommenden Monaten sollen „erste Ansätze eines Sozial-Ökologischen Umbaus“ auf die Tagesordnung rücken. Themen mit größerer Sprengkraft – etwa die Außenpolitik – wolle man sich für später aufheben.

Eine Frage der Präsentation

Abschließend doch noch einmal zur Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: Unangenehm stößt die Präsentation des Vorschlags auf, für die die Protagonisten selbst vielleicht gar nichts können, die sie aber hätten voraussehen müssen. Das Blatt jedenfalls inszeniert die jungen Abgeordneten als ideologiefreie Pragmatiker, die nicht „in linksdogmatische Gefilde“ reisen wollten. Das ist das eine.

Das andere ist die angebliche Konkurrenz mit dem Crossover-Projekt, welches, wie die Zeitung schreibt, derzeit um Andrea Ypsilanti, Katja Kipping und Sven-Christian Kindler geplant sei. Die Frankfurter Allgemeine bringt schon in der Überschrift die „Oslo-Gruppe“ gegen ihre Lieblingsfeindin aus der hessischen SPD in Stellung: „Die Debatte um Rot-Rot-Grün im Bund soll losgehen. Bevor Andrea Ypsilanti sie anführt.“

Was daran das Problem wäre, sagt die Frankfurter Allgemeine nicht. Ihr Hinweis auf das Scheitern einer von der Linkspartei tolerierten rot-grünen Landesregierung in Hessen fällt auf die Zeitung selbst zurück, die seinerzeit mit am lautesten die Trommel der vier SPD-Abweichler sowie der Flughafen- und Energie-Lobby geschlagen hat.

Ein paar Quellen

Von den die Crossover-Diskussion der neunziger Jahre tragenden Periodika ist nur noch die der SPD-Linken, die Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft – spw übrig. In den Online-Archiven von Andere Zeiten und Utopie kreativ (eingestellt im Dezember 2008) ist nur ein Teil der Debatte verfügbar. Einige Texte sind auf der noch aus früheren Zeiten existierenden Webseite zu finden. Und hier wurde vor einiger Zeit versucht, einen Teil der Diskussionen der vergangenen Jahre wieder sichtbar zu machen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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