Wer zahlt im Falle eines atomaren GAU? Die Grünen haben nachgefragt

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Von den Problemen mit Dübeln im AKW Biblis hat man schon gehört. Auch die Gefahr eines Anschlags oder auch nur des Absturzes eines Kleinflugzeugs auf einen der bundesdeutschen Atommeiler ist immer mal wieder Gegenstand von Debatten. Das Risiko, das von den profitablen Kraftwerken ausgeht, wird von den Befürwortern eines Ausstiegs aus dem Atomausstieg dennoch als beherrschbar bezeichnet. Über derlei technologische Hybris kann man im Zeitalter von Deepwater Horizon und Asse nur noch den Kopf schütteln. Und der Widerspruch von privatem Gewinn und gesellschaftlicher Haftung ist offensichtlich: Wer würde eigentlich wofür im Falle einer atomaren Katastrophe wie viel zahlen? Welche volkswirtschaftlichen Folgen hätte ein GAU? Wie sind Schadenersatzansprüche bei einer Kernschmelze geregelt?

Anfang Juli haben die Grünen der Bundesregierung 92 Fragen dazu vorgelegt, die inzwischen auch beantwortet sind. (Die offizielle Drucksache lag bis Donnerstagmittag allerdings noch nicht vor.) Die Deckungsvorsorge der Kernanlagenbetreiber ist auf 2,5 Milliarden Euro pro Atomkraftwerk begrenzt. Darüber hinaus haften die Betreiberkonzerne, etwa RWE, unbegrenzt. Aber reicht das? Hypothetische Annahmen über die möglichen Kosten eines Atomunfalls will sich die Bundesregierung nicht zu eigen machen. Aber eine Orientierung auch für die politische und juristische Debatte ist ja unabdingbar.

Ökonomische Folgen einer nuklearen Katastrophe:
Kleine Anfrage der Grünen (Juli 2010)
Gefahren der Atomenergie: Antwort der Bundesregierung
auf eine Kleine Anfrage der Grünen (April 2006)

Die Grünen beziehen sich daher auf Untersuchungen der Prognos AG aus dem Jahr 1992, die für ein „nukleares Ereignis“ der Klasse INES-7 (Schwerste Freisetzung, Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt in einem weiten Umfeld, gesundheitliche Spätschäden über große Gebiete – Beispiel: Tschernobyl 1986) für die Bundesrepublik Schäden in Höhe von 10,7 Billionen DM berechnete – was heute etwa 5 Billionen Euro entspricht. Experten gehen inzwischen sogar von noch höheren Kosten aus. „Der zu erwartenden Schadenssumme“, schreiben die Grünen, stehe also „eine deutlich niedrigere Deckungsvorsorge der Kernanlagenbetreiber gegenüber. (…) Da die von den Unternehmen aufbringbare Haftungssumme im Falle eines nuklearen Ereignisses vermutlich lediglich weniger als 0,1 Prozent der Schadenssumme ausmachen dürfte, stellt sich die Frage, wer für die übrigen Kosten faktisch wird aufkommen müssen.“

Schwarz-Gelb stellt sich die Frage nicht. „Die Bundesregierung hält die zur Verfügung stehenden Entschädigungsmittel für ausreichend.“ Die Grünen sehen das anders. „Wir befinden uns somit in einer Situation, in der einige wenige Unternehmen Milliarden Gewinne einfahren, solange kein nukleares Ereignis eintritt, im Falle eines nuklearen Ereignisses der Großteil der Kosten von der Allgemeinheit zu tragen wäre.“

Was auch grenzüberschreitend und im Falle von weit entfernten Atommeilern gilt: Eine Abschätzung der volkswirtschaftlichen Kosten des GAU von Tschernobyl 1986 in Deutschland hat die Bundesregierung nicht angestellt. Für die Katastrophe zahlte die Bundesregierung bis Ende Juni 2010 rund 238 Millionen Euro Entschädigung.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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