Helden

Grausam Arkadi Babtschenkos erschütternder Kriegsbericht aus Tschetschenien "Die Farbe des Krieges"

Indianer schießen nicht aus der Hüfte. Dieser Satz Heiner Müllers gilt auch für die Tschetschenien-Kriege in den neunziger Jahren, an denen Arkardi Babtschenko teilnahm, der Autor des Buches Die Farbe des Krieges. Das maschinelle Töten in den modernen Kriegen setzt eine Art von Feigheit und Vernichtungswillen bei den Schützen voraus, die, da man sie gleichzeitig von Seiten des Gegners erleiden muss, häufig mit posttraumatischen Störungen bezahlt werden. Der Tod kann von allen Seiten und in jeder Minute kommen, manchmal kündigt er sich durch Geräusche an, manchmal durch Gerüche, oft gar nicht. Der Feind ist ein Punkt in der Landschaft. Heldentum ist das allerletzte, was man in solchen "abstrakten" Kriegen gebrauchen kann.

70 Kilogramm Marschgepäck trägt der gemeine russische Soldat durch die tschetschenischen Berge, ob man unter dieser Last auf humane Gedanken kommt? "Äußerlich waren sie selbst den Tschechos ähnlich geworden - bärtig, in fettigen Panzerjacken, ungewaschen, vertiert, glühend vor Hass auf alle und jeden", beschreibt Babtschenko seine Kameraden. Er wurde 1977 in Moskau geboren, mit 18 Jahren zum Militärdienst einberufen, und 1996, unter Präsident Jelzin, als Soldat nach Tschetschenien versetzt. "Wir wissen nicht, wofür wir kämpfen. Wir haben kein Ziel, keine ethische, innere Rechtfertigung für all unser Töten." Welche Kriegsziele sollte man auch begreifen, wenn neben den Kübelwagen mit verkohlten Teilen von Soldaten die Taxifahrer mit ihren Kunden um den Fahrpreis feilschen. "Umgebracht zu werden ist hier ebenso normal, wie zu spät zur Arbeit zu kommen."

Ein schwer verletzter Kamerad soll von der Front in die nächste Garnisonsstadt gebracht werden. Doch hier gilt schon die Marschordnung, hier gibt es Vorschriften, die Schlagbäume öffnen sich nicht für jeden, und so verblutet der Kamerad. "Wir gehen wie Aussätzige durch diese Stadt und gucken hasserfüllt auf die gut genährten Soldaten. Wenn uns einer von ihnen nur ein Wort sagt oder uns aufzuhalten oder zu verhaften oder sonst irgendetwas versucht, bei Gott, dann schießen wir."

Als es Orden für die Kriegshelden geben soll, bekommt der Koch aus der Offizierskantine den ersten. Soldat Emil, der 13 Feinde tötete, bekommt keinen. Den zweiten Orden erhält der Stabsschreiber, den nächsten jemand vom Reparaturdienst. Erschreckend sind die Grausamkeiten, die innerhalb der russischen Armee stattfinden. Wer schon getötet hat, gilt als moralisch überlegen und darf die jüngeren Kameraden desto brutaler schlagen. Diese Szenen gehören zu den furchtbarsten des Buches.

Der Regimentschef hält eine Rede gegen die Herrschaft der Alten, neben ihm steht ein "Geist", ein junges, verprügeltes Opfer. "Kameraden, ihr seid doch alle Soldaten! Wie kommt das nur - Helden an der Front werden hier zu Schweinehunden?", appelliert der Kommandeur. Er droht, der nächste werde ins Loch gesteckt, diese Prügel seien die allerletzten gewesen im Regiment. Dann hört man Glas splittern, "ein Geist" fliegt aus dem Erdgeschossfenster. Einer der Alten hat ihn aus dem Fenster geschmissen, betrunken, er schreit dem Fliehenden hinterher: "Ich bringe dich um, du Hund!" Der Regimentskommandeur guckt sich das an, dann winkt er ab und lässt abtreten.

Babtschenko nahm am zweiten Tschetschenien-Krieg freiwillig teil. "Das erste Mal hast du mich noch lebend ausgespuckt, hast mich gehen lassen, aber ich konnte nicht allein, ich bin zurückgekehrt." In seiner Liebeserklärung an den Krieg, mit dem das Buch endet, meint Babtschenko, für ihn oder seinen Erzähler-Ich gebe es keinen Frieden mehr, immer sei Krieg. Der Frieden sei nicht auszuhalten, weil viele Zivilisten überleben könnten, während richtige Kerle an der Front sterben. Der Krieg habe ihm allerdings gelehrt, dass das dreckigste Leben immer noch tausendmal besser ist als der Tod. "Mit 18 Jahren wurde ich naiver Welpe in dich hineingeworfen und ich bin wiederauferstanden als hundertjähriger Greis, krank, mit leerem Blick und ausgebrannter Seele."

Die literarische Qualität eines Isaak Babel erreicht Babtschenko nicht, man tut beiden Autoren nichts Gutes, wenn man diesen Vergleich wählt. Babel war als Stilist ein Revolutionär, Babtschenkos stilistische Kenntnisse beschränken sich auf solides Handwerk. Und wie bemerkt man, dass der Krieg zu Ende ist? "Wir haben keine Verwundeten mehr. Nur noch Kranke."

Arkadi Babtschenko: Die Farbe des Krieges. Aus dem Russischen von Olaf Kühl. Rowohlt Berlin, Berlin 2007, 256 S., 17,90 EUR


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