Williamson? Mir doch wurscht

Linker Haken In der neuen Freitag(s)-Kolumne "Linker Haken" beklagt Thomas Rothschild Woche für Woche, dass alles immer schlimmer wird. Manchmal hat er aber auch andere Sorgen

Offen gestanden: es ist mir ziemlich wurscht, was ein durchgeknallter Bischof von sich gibt, und weder alarmiert noch gar wundert es mich, wenn ein Verein, der Nazi-Kriegsverbrechern zur Flucht verholfen und lateinamerikanische Todesschwadronen mit Waffen ausgerüstet hat, die Exkommunikation solch eines Bischofs aufhebt. Wenn jemand erklärt, die Gaskammern von Auschwitz habe es nicht gegeben, so verletzt mich das nicht mehr als die Behauptung, die Sonne drehe sich um die Erde oder der Papst sei unfehlbar, wie umgekehrt das Eingeständnis der Wahrheit meine ermordeten Großeltern nicht wieder lebendig macht. Eine Demokratie muss das aushalten. Solange sie funktioniert und eine Mehrheit solche Äußerungen als das erkennt, was sie sind, nämlich Unsinn, gibt es keinen Grund zur Beunruhigung.

Wenn allerdings die Zeit die Intervention der Bundeskanzlerin mit dem Argument zurückweist, es bestehe eine Trennung zwischen Kirche und Staat, dann wüsste man gerne, in welcher Welt Zeit-Kolumnisten leben. Was immer der Papst in seiner Unfehlbarkeit gewusst und gedacht haben mag – es wäre gut, wenn der Anlass genutzt würde, um diese Trennung tatsächlich zu realisieren, also das Konkordat zu kündigen und zu verhindern, dass die Kirche bei der Besetzung von Lehrstühlen an staatlichen Hochschulen mitredet. Und wenn Williamson mit seinem Geschwätz gegen Gesetze verstoßen hat, dann muss es sich zumindest von selbst verstehen, dass der Verein, dem er angehört, keine materielle und ideelle Hilfe vom Staat erfährt, dass der Staat nicht für diesen Verein die Rolle des Steuereintreibers spielt.

Solange die Demokratie funktioniert, sagten wir, lässt sich jede Dummheit ertragen. Die Verteidiger Israels führen gerne ins Treffen, dass der jüdische Staat die einzige Demokratie in der Region sei. Formal trifft das unzweifelhaft zu. Aber funktioniert eine Demokratie, deren Bevölkerung mehrheitlich Parteien wählt, die zur Lösung der brisanten Probleme gewiss keinen produktiven Beitrag leisten werden?

Als in Österreich erschreckend viele Wähler den Rechten ihre Stimme gaben, wiegelten die Kommentatoren ab: das seien keine rechten Wähler, Strache und Co. hätten lediglich von Proteststimmen profitiert. Diese Ausrede wird sich für Israel nicht anwenden lassen. Wer Netanjahu und Co. gewählt hat, wusste, dass er die Verschärfung des Konflikts mit den Palästinensern wählt. Deshalb beunruhigt mich der Ausgang der Wahl in Israel weitaus mehr als Williamsons Gequatsche. Hier geht es nicht um eine nicht mehr korrigierbare Vergangenheit, sondern um die Zukunft: um die Zukunft der Palästinenser und – all jenen gesagt, für die nicht jedes Menschenleben gleich viel wiegt und die den Holocaust als Rechtfertigung für eine Vorwärtsverteidigung missbrauchen (als wäre ein getötetes palästinensischen Kind, ein zerstörtes palästinensisches Haus eine Genugtuung für meine toten Großeltern) – um die Zukunft der Juden. Denn dass der Ausgang der Wahlen den Frieden im Nahen Osten wahrscheinlicher gemacht hat, kann niemand ernsthaft glauben.

Und mit jedem getöteten Palästinenser wird auch die Lage der Juden in Israel und außerhalb erschwert werden. Man mag das ungerecht finden, aber es ist nun einmal so, und wer Politik macht, kann sich an der Realität nicht vorbeimogeln.
Ein paar jüdische Fundamentalisten in Israel konnte man hinnehmen, solange eine demokratische Mehrheit sie in Schach hielt, obwohl die Forderung einer konsequenten Trennung von Kirche und Staat selbstverständlich auch für Israel zu gelten hat. Fundamentalisten in der Regierung, in einer jüdischen wie in einer palästinensischen, sind eine nicht zu unterschätzende Gefahr, wie es die katholische Kirche wäre, wenn die Auschwitzleugner im Vatikan das Sagen hätten. Bis dahin darf uns ein Williamson eher ein Schulterzucken oder ein Gelächter abfordern als Empörung, die ohnehin schnell verpufft. Jenen, die sich über Williamson aufregen, die israelischen Wahlen aber mit Gelassenheit hinnehmen, rufe ich jenen müden Witz zu, der mich ein Leben lang verfolgt hat: „Deine Sorgen und dem Rothschild sein Geld möcht ich haben.“

Thomas Rothschild wurde 1942 als Sohn österreichischer Eltern in Schottland geboren und kehrte 1947 in die Heimat seiner Eltern zurück. Der Literaturwissenschaftler arbeitet als Dozent an der Universität Stuttgart und ist regelmäßigen Freitag-Lesern als scharfzüngiger Autor bekannt

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