Geschichtsverständnis zum Lachen

Kino Der serbische Regisseur Boris Mitić präsentiert beim mittel- und osteuropäischen Filmfestival "GoEast" einen bittersüßbösen Kommentar auf den Status quo seines Landes

„Winter adé. Filmische Vorboten der Wende“ heißt eine Reihe, die schon im Rahmen der Berlinale lief und nun auch bei GoEast, dem Festival des mittel- und osteuropäischen Films in Wiesbaden zu sehen war. Weniger prophetisch wollte Claus Löser die von ihm kuratierte Filmtournee als „Erinnerungsprotokoll“ verstanden wissen – eine Beschreibung, die auch auf den aktuellen Wiesbadener Wettbewerb zutraf.

Da kehrte die jüngere Geschichte auf die Leinwand zurück: als bulgarische Totalitarismusparabel im Film Zift, den die Jury als besonders couragiertes und originelles Regiedebüt lobte, oder als kroatisches Roadmovie Buick Riviera. Letzteres beleuchtete, psychologisch spitzfindig, die Wiederkehr bosnisch-serbischer Kriegstraumata im fernen amerikanischen Exil. Die Dokumentarfilme zeigen, wie Nationalismus und ethnische Spannungen die Balance mitteleuropäischer Gesellschaften beschweren: Vom lautstarken Rechtsextremismus der „Allpolnischen Jugend“ in Ich liebe Polen, der den Dokumentarfilmpreis der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft erhielt, bis zum gewalttätigen Streit zwischen Russen und Esten um das sowjetische Ehrenmal in Tallinn (Aljoša).

Mit Auf Wiedersehen, wie geht es euch? lieferte der Serbe Boris Mitić den ungewöhnlichsten Film – einen bittersüßbösen Kommentar auf den Status quo seines Landes. Der einstige Journalist analysiert die Mentalität seines Landes mit Hilfe von Aphorismen und satirischen Wortspielen, die ätzend und klug Kritik üben. Unter Milošević hatte der bittere Humor Hochkonjunktur, für Mitić ist er zu einem Markenzeichen serbischer Kultur geworden: eine Mischung aus selbstironischer Alltagsbewältigung und autochthoner Schlagfertigkeit.

Die Wortspiele, die Mitić in seinem Film zitiert, nehmen nicht nur die am Boden liegende Wirtschaft und korrupte Politiker („Der Minister hat das Wochenende freigenommen, das ist sein Beitrag zum Kampf gegen die organisierte Kriminalität“) aufs Korn, sondern kommentieren auch die Kriege der jüngeren Vergangenheit: „Der Feind hat uns wieder überrascht. Wir hatten erwartet, er würde zuerst angreifen.“

Serbien im Rückwärtsgang

Für die filmische Umsetzung seines Projekts suchte Mitić nach Bildern, die den skurrilen Witz des gesprochenen Wortes illustrieren sollten. Wochenlang sichtete er Heimvideos und Archivmaterialien, fuhr fast 50.000 Kilometer durch Serbien und erkundete dabei jede Ecke seines Landes: „Meine Freunde sagen, ich hätte Serbien im Rückwärtsgang durchquert.“

Herausgekommen ist eine assoziative Collage, die den Zuschauer durch das Auf und Ab der kollektiven Verfassung des Landes schleust: von der Grillparty auf dem Raftingfloß über kuriose Anordnungen von Straßenschildern bis zu den Kriegsaufnahmen, in denen ein Traktorfahrer die Leiche eines getöteten Mannes über die Dorfstraße schleift. Absichtsvoll fügt Auf Wiedersehen, wie geht es euch? Puzzleteile aus Gegenwart und jüngerer Geschichte Serbiens zu einem Bild zusammen, in dem Psychose und Aufarbeitung nebeneinander stehen.

Zusammengehalten wird Mitićs Film von einem Ich-Erzähler, dessen nuancenreich nuschelnde Stimme einen Menschen suggeriert, „der in seinem Leben schon ­alles gesehen hat und keine Herausforderungen mehr annehmen kann.“ Dieser Erzähler ist zugleich Symbol für das serbische Geschichtsverständnis, das sich als treffend ironisches, meist politisch freches Arrangement mit der Wahrheit zu erkennen gibt. So wird Versuchen entgegen­getreten, historische Prozesse an nachträglich gesponnenen roten Fäden aufzufädeln.

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