Zwölf Schweine

Panikeindämmung Schweinegrippe, Sterblichkeit und Statistik: Gleichzeitig mit dem Ausbruch der Superepidemie ­eröffnet ein neues ­Max-Planck-Institut für Risikokompetenz

Wenn ein Virus sein Opfer tötet, hat es etwas falsch gemacht. Ein toter Virusträger ist ein schlechter Virusüberträger. Aus evolutionsbiologischer Sicht muss ein Virus, das Karriere machen will, bei der Unterwanderung seiner Wirtspopulation subtiler vorgehen: Ist es zu schnell, zu infektiös und zu tödlich, dann kappt er seine eigenen Verbreitungswege. Ist es zu harmlos, dann klappt es natürlich auch nicht mit der Ausbreitung.

Außerdem muss ein Virus beständig mutieren, denn auf das einmal gefundene Erfolgsrezept kann sich das Immunsystem seines Wirtsorganismus anpassen. Eine zu große Mutationsrate ist aber auch nicht hilfreich, weil sie zur Selbstzerstörung der Art führt. Mutationen sind schließlich in den allermeisten Fällen destruktiv und nur in extremen Ausnahmen evolutionär vorteilhaft.

Ein geschickter Schachzug von Viren ist der horizontale Gentransfer (Freitag vom 5. Februar 2009): Ein an harmloser Menschengrippe erkrankter Landwirt infiziert sich zusätzlich von seinen Schweinen. Die Viren mischen über die Artgrenzen hinweg die übelsten genetischen Dispositionen zum neuen Supererreger – das klassische Horrorszenario wie aus dem Film 12 Monkeys von Terry Gilliam.

Hilfe für Risikolegastheniker

Überhaupt ist Panik auszulösen die vermutlich klügste Strategie eines jeden Virus mit bösen Absichten. Nicht nur, weil durch die heillose Flucht der wegrennenden Wirtstiere die Ausbreitung auch noch in die letzten Winkel des Ökosystems gelingt.

Es war lange Zeit ein Rätsel, warum bei der Pandemie der Spanischen Grippe 1918 bis 1920 die Todesrate bei gesunden Erwachsenen so schrecklich hoch war, während ja sonst immer Kleinkinder und Alte von Krankheiten am stärksten betroffen sind. Die Antwort lautet: Panikreaktion. Die Infizierten sterben an der destruktiven Überreaktion eines unkontrolliert aufbrausenden Immunsystems, das natürlich bei jungen Erwachsenen am stärksten ist und deshalb den größten Schaden anrichten kann.

Was wären die apokalyptischen Reiter ohne vorauseilende Panik? Noch bevor die Schwarze Pest die Menschen erreichte, hatten sie sich meist schon selbst gegenseitig gemordet in Hexenfeuern, Judenpogromen oder wen man sonst gerade der Weltverschwörung bezichtigen konnte. Gerd Gigerenzer, Autor von Büchern wie dem Einmaleins der Skepsis – Über den richtigen Umgang mit Zahlen und Risiken (BTV 2004), bringt gern das Beispiel 11. September: Damals sind in den entführten Flugzeugen 256 Passagiere ums Leben gekommen. Aber es gab schon im ersten Jahr nach den Anschlägen rund 1.600 zusätzliche Tode im Straßenverkehr, weil die Menschen in panischer Angst vor Flugzeugentführungen vermehrt ihre Autos benutzten.

Und gerade als in Mexiko – als handele es sich um eine etwas aus dem Ruder gelaufene PR-Maßnahme – die erste Massenhysterie ausbricht, wurde in Berlin das Harding Center for Risk Literacy feierlich eröffnet. Gesponsert vom Investmentbanker David Harding und geleitet von Gigerenzer möchte man dort unter dem Dach des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung die öffentliche „Risiko-Kompetenz“ verbessern, also die (gerade bei Investmentbankern eher schwach ausgeprägte) Fähigkeit, Statistiken und Gefahren angemessen zu bewerten. Wenn diese Koinzidenz mal nicht zu einer Verschwörungstheorie führt!

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