Dieser Tage erscheint das neue Album von Element of Crime. Was bringen die Songtexte? Wir haben die Literaturwissenschaftlerin Antonia Baum um eine Einschätzung gebeten
Um es unumwunden zu sagen: Wer jung, weltoffen und nicht ganz hoffnungslos ist, sollte Immer da wo du bist bin ich nie, die neue Platte der Berliner Band Element of Crime, nicht hören. Man verzweifelt dann. Wenigstens mir ging es so, meine Hoffnung erstickte mit den „poetischen Texten“ Sven Regeners ein weiteres Mal, die Aussicht auf das schreckliche Leben, mit dem Regener darin droht, lähmte mich. Ich werde Ihnen den Schrecken, der in diesen Texten wohnt, mit Wissenschaft beweisen, ganz so, wie man es mir in meinem Literaturstudium beigebracht hat.
Es gibt hochkomplizierte Theorien darüber, wann ein Text Literatur heißen darf, aber letztlich ist es ganz einfach: Literatur das ist, was von Autoritäten Literatur genannt wird. Das ist an sich schon ein Gr
n sich schon ein Grund, depressiv zu werden, zumal man ja diese widerwärtige Hörigkeit bei sich selber feststellen muss. Ein besonders prominentes Beispiel für eine solche Autorität ist das frühere Literarische Quartett, und dieser Leuchtturm im geistig-intellektuellen Leben der deutschen Mittelschicht hatte Herr Lehmann, den ersten Roman Regeners, positiv besprochen.Regener ist mir somit als ein Autor mit literarischer Autorität geläufig und zwar als einer, der für die Generation der heute vierzig bis fünfzigjährigen Männer steht. Damit wäre der Referenzrahmen aufgemacht, in welchen seine Liedtexte zunächst hineingestellt, oder besser: in dem sie verortet werden müssen, um zu erklären, warum darin eine Kraft entstehen kann, die mich als Rezipientin depressive Tendenzen entwickeln lässt. Im SchrippenhagelNun ist das Ich jener Liedtexte nicht akut depressiv, vielmehr lebt sich so durch den Alltag, einem"Tag wie diesem, der kaum, daß er Begonnen hat schon wieder zeigt, daß er eigentlich nur Zum Vergessen gemacht ist und dennoch blöde und stur Daran festhält die volle Runde zu drehn". Es ist einsam, dieses lyrische Ich und träumt "In mondlosen Nächten“ noch immer von einem Menschen, dem es sich in der Vergangenheit einmal Nahe gefühlt hat. Die Gegenwart erlebt es in einem Mix aus scheinbarer Friedlichkeit und der gemeinen Hässlichkeit, die unter dieser Friedlichkeit liegt:"Freundliche Worte und Schrippen hagelt es den ganzen Tag" oder „Da, wo dein Auto grad noch stand, fegen alte Männer jetzt die Straße“ oder „Wer die Monatskarte hat, sollte besser nicht am Monatsanfang sterben oder Und hier ist Endstation, hier geht es nicht mehr weiter, hier steigen alle aus“Es wird noch schlimmer: „Tritt nicht auf das Laub, darunter wohnt das Grauen“Bei diesen Textzeilen fing ich sofort an zu weinen und war nicht mehr zu beruhigen — wie auch, wenn dieser anerkanntermaßen kluge Mann sagt, dass das Leben so ist und auch in Zukunft weiter so sein wird? Einzig die Hoffnung auf erneute Zweisamkeit scheint ein Ausweg zu sein: „Ich will der, der dich hier rausholt, sein.“ Also weiter im Text:„Komm mit mir woanders hin, ich weiß noch einen Weg Den kann man nicht alleine gehen, und ich hab mir überlegt Daß alles, was ab jetzt geschieht, mich nicht mehr interessiert Wenn du darin nicht vorkommst, bitte bleib bei mir“Unerfüllte SehnsuchtAls Scheidungskind weiß ich, wohin das führt: so denkt man am Anfang, wenn man hofft, sich durch einen anderen Menschen aus der Einsamkeit retten zu können, aber dann lebt man sich schmerzhaft wieder auseinander, ist enttäuscht und angeekelt von der Alltäglichkeit, die die romantische Utopie zerstört hat. Aus diesem Grund kann ich in dem beschriebenen Ausweg durch Zweisamkeit keinen rechten Trost finden, zumal das lyrische Ich sein Gegenüber bittet, dass es bei ihm bleiben soll. Das geht niemals gut. So ist die Liebe also nur ein scheinbarer Ausweg, der die Rezipientin wieder in die Hoffnungslosigkeit zurück wirft. Noch ist es aber eine hoffnungsvolle Hoffnungslosigkeit, immerhin verspricht sich das lyrische Ich bei Regener ja etwas davon, diesen einen bestimmten Menschen, nach dem es sich sehnt, um sich zu haben:„Ganz egal, woran ich gerade denke Am Ende denk ich immer nur an dich“Aber er bleibt nun einmal eine unerfüllte Sehnsucht und insofern hoffnungslos. Ich verliere jeden Mut, wenn mir das lyrische Ich im Song „Der weiße Hai“, vorgetragen durch eine erfahrene und vertrauenserweckende Bier-Stimme, mitteilt, dass es nicht alleine sein will und dass „Am Ende (…) nur wir zwei (zählen)“. Wir extremindividualisierte Bindungssuchende haben es wirklich nicht einfach, aber dass es bis ins hohe Alter so beschissen weiter gehen soll, macht mich restlos traurig. Das lyrische Ich jedenfalls ist ja wirklich schon etwas älter, wie ich Ihnen jetzt beweisen werde und ich werde Ihnen außerdem beweisen, warum Regeners Texte noch mehr Gründe für schreckliche Depressionen enthalten:„ Immer wenn ich Lieder sang und dazu auf und nieder schwang an Bändern die elastisch waren, in Ländern die fantastisch waren Zum Lobe einer besseren Welt und ohne Geld und ohne großen Ehrgeiz Daß (sic!) der Groschen fiel, dachte ich, ich wär am Ziel Immer da wo du bist bin ich nie“Der finale SchlagAn dieser Stelle legte ich mich ins Bett und zog mir die Bettdecke über den Kopf. Ich beschloss, den Rest meines Lebens in diesem Zustand zu verharren. Mir würde ja ohnehin nichts anderes übrig bleiben, als über die Frage nachzudenken, wie man die Welt besser machen soll, ohne vorher von einer besseren Welt geträumt zu haben. Aber davon zu träumen, ist ja nicht zielführend, und es ist ja nicht nur Sven Regener, der zu diesem Ergebnis kommt. Nahezu alle über Vierzigjährigen sagen das und sie sagen es immer wieder, und es ist dieser Verlust des Glaubens an Veränderung, der auf mir wie ein permanenter Erstickungszustand lastet, und ich leide unter meiner Decke liegend noch mehr, wenn dem Utopieverlust bei Regener die Beglaubigung durch den finalen Chiasmus folgt: „Immer da wo du bist bin ich nie“. Es ist diese hoffnungsvolle Hoffnungslosigkeit des Erzähler-Ichs, seine heitere Traurigkeit beim Durchleben von gemeinem Alltag, die mich verzweifeln lässt. Ich denke an einen einsamen Mann um die Vierzig, der durch das Leben an Bierflaschen vorbei zieht, dabei kluge Beobachtungen macht und einem sagt, was man zu erwarten hat. Dieser Mann sieht in etwa aus, wie Herr Lehmann aus dem Film. Es laufen Hunderttausende Herr Lehmanns durch die bundesdeutschen Stadtstraßen und trinken in den Bars, wo ich sie treffe. Ja ,und sie sagen einem zwar nicht, was einen im Leben noch erwartet, sie sagen nur, dass es ihnen nicht wirklich gut, aber auch nicht wirklich schlecht geht und suchen immer irgendetwas, wissen aber nicht genau was, und ihr Credo ist, dass es eben nicht zu ändern ist.So jemand will man nicht sein. Aber wenn ein kluger doppelt so alter Autor wie Sven Regener singt, dass „unter dem Laub das Grauen wohnt“ und wohl auch weiterhin wohnen wird, stürzt mich das in so tiefe Depressionen, dass ich nicht nur am Ende meiner systematischen Wissenschaft angelangt wäre.