Der Welt-Kolumnist Alan Posener untersucht Papst Benedikts durchaus konsequenten Kreuzzug gegen die moderne Gesellschaft. Er wirft ihm vor, unredlich zu argumentieren
Alan Posener ist ein sehr streitbarer Autor. Der Gesellschafts- und Kulturkorrespondent der konservativen Wochenzeitung Welt am Sonntag versteht es, Debatten anzufachen. Sein Gestus ist bei manchen Themen hoch sensibel, bekannter ist er aber für schmerzhaft pointierende Frontalangriffe.
Als Blogger ist er inzwischen so populär, dass sein Verlag im Autorenportrait des neuen Buchs seinen Einfluss im Internet herausstellt. Von den zahlreichen Büchern finden nur die Monografien über John F. Kennedy, William Shakespeare und die Jungfrau Maria Erwähnung. Dabei war der frühere Studienrat, den es aus Langeweile in die Publizistik trieb, auch schon mit diesen Büchern sehr erfolgreich. Nun setzt er sich mit dem deutschen Papst auseinander.
Wer sich vom kraftvollen Ti
iesen Büchern sehr erfolgreich. Nun setzt er sich mit dem deutschen Papst auseinander.Wer sich vom kraftvollen Titel der gerade erschienenen Streitschrift Benedikts Kreuzzug. Der Angriff des Vatikans auf die moderne Gesellschaft satte Polemik und stammtischtaugliche Kurzargumente erhofft, wird enttäuscht. Was Posener vorzutragen hat, ist ihm so ernst, dass er Verkürzungen, die bloß Effekte haschen, meidet.Die sparsam eingesetzte Polemik erscheint als Ausdruck echter Verstörtheit. Das mit einem umfangreichen Fußnotenapparat versehene Buch erfüllt in der Darstellung der Fakten und ihrer kritischen Diskussion wissenschaftliche Ansprüche. Alle Thesen sind mit Originalzitaten belegt.Finger auf die WeltAls Aufhänger für seine Kritik wählt der Autor Aussagen Ratzingers über die Natur der Aufklärung. Seit der Aufklärung befinde sich die Menschheit moralisch im freien Fall. Die Demokratie bedeute im Grunde die Diktatur des Relativismus. Deshalb bedürfe sie einer übergeordneten Instanz. Ratzinger reklamiert für sich, diese Instanz zu sein, die die ethischen Werte der Menschheit zu definieren habe.Doch gerade in Bezug auf die dafür wohl notwendige Wahrhaftigkeit erweist sich der Papst als höchst problematisch. Der Gendarmensohn, der so anklagend mit dem Finger auf den Rationalismus der Welt deutet, bezieht seine Argumente aus zweifelhaften Quellen.Ein veritables Panoptikum aus teilweise fanatisierten Wegbereitern von Rassismus und Faschismus wird vorgestellt, von deren Wirken Ratzinger sich nachhaltig beeinflusst zeigt. Großes Ansehen genoss ein Großonkel, der als Theologe wohl Vorbild für Ratzinger wurde. Dieser Großonkel war Verfasser antisemitischer Hetzschriften.Vor solchem Hintergrund ist die Reflexionsfähigkeit des Papstes interessant. Aktionen wie die Wiederzulassung der lateinischen Messe mit ihren antijudaischen Phrasen, die Aufhebung der Exkommunizierung der Pius-Brüder einschließlich des Holocaust-Leugners Williamson oder die Neufassung des Karfreitagsgebets erscheinen nicht als Missgeschicke eines Öffentlichkeits-unerprobten Amtsneulings, wie seine PR-Leute weismachen wollen, sondern als Ausdruck einer Haltung.Voller VorurteileDie zahlreichen Beispiele und Fälle, die Posener analysiert, zeigen einen geistigen Horizont des Papstes, der sich kaum vom vorurteilserfüllten Anti-Westlertum islamistischer Geistlicher unterscheiden lässt.Dazu zählt auch, dass Benedikt die Kirche von den Anhängern der „Theologie der Befreiung“ gesäubert habe, weil die angeblich die religiöse Botschaft der Kirche auf eine politisch-soziale verkürzt hätten, zugleich aber die ebenso politische, allerdings nicht linke, sondern rechtsextreme Pius-Bruderschaft rehabilitiert habe.Die Brüder haben den christlichen Gottesstaat schon beschrieben: Falsche Religionen und Kulte werden verboten, ebenso Abtreibung, Euthanasie, die Benutzung von Verhütungsmitteln, die zivile Eheschließung, Pornografie und Homosexualität. Dafür wird die Todesstrafe wieder eingeführt. Posener unterstellt nicht, dass Ratzinger diese Forderungen in ihrem konkreten Gehalt unterstützt. Er gestattet sich nur die Frage, was die Nachsicht mit solchen klerikalfaschistischen Anwandlungen zu bedeuten hat.Der Papst wird auch an anderen Fronten aktiv im Kampf gegen die zersetzende Macht der Aufklärung. Posener berichtet, dass seit Anfang des vergangenen Jahrhunderts jahrzehntelanger innerkirchlicher Widerstand gegen das seit 1570 vorgeschriebene Karfreitagsgebet „pro perfides Iudaeis“ wegen massiver antisemitischer Verunglimpfungen vom Vatikan immer wieder zurück gewiesen wurde. Erst 1970 veranlasste Papst Paul VI., den diskriminierenden Text zu ändern. Seither wurden die Juden als Getreue Gottes angesprochen, die Gott als erste zu seinem „Eigentum erwählt“ habe.Als Benedikt kurz nach seinem Amtsantritt die alte Liturgie wieder zuließ, wurde auch das antijudaische Gebet wieder Bestandteil der Messe. Statt nach massiver Kritik die Fassung von 1970 beizubehalten, verfasste der Papst selbst eine Neufassung, in der die Juden als Heiden bezeichnet werden. Auch andere Weltbilder relativiert er: Einige intellektuelle Energie verwendet er darauf, die gleichsam klassischen Zeugen kirchlichen Irrens, Galileo Galilei und Charles Darwin zu erschüttern. Um das zu untermauern, bedient sich Ratzinger zweifelhafter Zeugen, wie der Autor kenntnisreich belegen kann.Posener, anglikanisch getaufter Sohn des Berliner Architekturhistorikers Julius Posener, den die NS-Rassengesetze als Juden deklarierten, ist klug genug, zwar zwischen den Zeilen seinen eigenen Atheismus durchscheinen zu lassen, jedoch keinen Generalangriff auf Religion an sich zu fahren. Auch stellt er das Papsttum nicht infrage. Der Papst decouvriert sich selbst.Poseners einleuchtende Kritik von Benedikts Ansprache in Auschwitz zeigt erschütternd die Zirkelschlüsse, mit denen der Papst sich aus der Verantwortung schleicht. Erschütternd nicht nur deshalb, weil Benedikt die Täter zu Opfern macht, sondern weil er - auch hier - intellektuell unredlich argumentiere.Das Lesen dieses Buchs ist ein intellektuelles Vergnügen. Es geht nicht um die Denunziation eines Andersdenkenden, sondern um die ernsthafte Auseinandersetzung mit dessen Thesen. In der Diskussion vermittelt Posener zudem ein breites Panorama europäischer Geistesgeschichte. Die überaus kurzweilig zu lesende Streitschrift ist nicht nur lehrreich. Sie ist auch eine gute Warnung.