Warum darf unser Mecki nicht auf einer Insel stranden, wo ihn lieb schauende, wulstlippige Eingeborene staunend umringen, die „Neger“ genannt werden? Warum lasse ich meinen Neffen, der nie "Negerküsse", nur massenhaft Schokoküsse verdrückt, jenen abenteuerlichen Comic von Hergé nur hinter dem Rücken seiner Eltern lesen?
Weil dicklippige, schokofarbige, üppig beringte Inselbewohner mit Baströckchen bekleidet: „Rwa, koma kucki!“ rufen.
Da können wir doch nur auf das Schärfste begrüßen, dass der 32 Jahre junge, bereits mit renommierten Preisen überhäufte Schriftsteller Thomas von Steinaecker, 1977 im bayerischen Traunstein geboren, ein kolonialgeschichtliches Kasperletheater erdacht hat, das reinste „
s reinste „Guignol“, wie Colonel Durand schon auf der ersten Seite feststellt.Wir schreiben das Jahr 1913. Henry Peters, der den Architekten Selwin als Mitarbeiter eines neuen Projekts in die Kolonien begleitet, wird beim Untergang des Schiffes an den Strand gespült. Ein gelungenes Genrebild wird uns mit allen stimmigen Details ausgemalt: Unter der brennenden Sonne klammert sich der Schiffbrüchige an einen Balken, um ihn herum schaukeln Hunderte von Setzlingen auf den glitzernden Wellen. Tannen, Pappeln, Fichten, echter deutscher Wald zur Aufforstung der afrikanischen Steppe.Kalkulierte KolportageWeit in der Ferne sieht Peters den silbernen Bug der „Brünnhilde“ wie eine Fata Morgana aus den Wogen ragen. Seine Verlobte ertrinkt, er wird gerettet. Nach elenden Wochen in einer unhygienischen Eingeborenenhütte wird er vom Verwalter der Festung Benesi ausgelöst.Die Festung mit ihren leeren, spinnwebverhangenen Räumen, ihren Türmen und Wehrgängen ist kein Topos der deutschen Kolonialgeschichte. Sie ist ein erfundener Ort, die Bühne, auf der Steinaecker seine Darsteller versammelt hat. Jeder der Realitätsflüchter träumt hier in Deutsch-Tola davon, seinen eigenen kleinen Entwurf vom Herrenmenschentum zu verwirklichen. Großzügig finanziert von der Kaiserlichen Kolonialgesellschaft.Des Leipziger Malers Neo Rauch genialer Buchumschlag hat all das erfasst, was der Roman möglicherweise zu sein anstrebt: Eine Kolportage kolonialer Großmachtsfantasien, eigentlich überaus romantische oder eher kindliche Vorstellungen von der Eroberung fremder Welten. Von jenen erschreckend fremdartigen Bewohnern, die man versucht, sich ähnlich zu machen.Winddurchrauschte Wälder sollen geschaffen werden. Tannenwipfel nicken über spitzgiebeligen Häusern, in denen gut erzogene livrierte Schwarze Frankfurter Kranz servieren. Der Schlag von Kuckucksuhren soll heimwehkranke Herzen streicheln. Verbohrte, gestrauchelte und gescheiterte Existenzen haben sich auf dieses unwahrscheinliche Abenteuer eingelassen. Zu Peters, der die Chance ergreift, in die Rolle des berühmten Architekten zu schlüpfen, gesellen sich der Morphinist Dr. Brückner, der bankrotte Zwieseler Holzhändler Gerber mit seiner schönen Schwester Käthe, Schirach, ein Offizier, der aus seiner schwarzen Schutztruppe ein preußisch strammes Heer dressieren will, nicht zuletzt der Forscher Lautenschlager, ausgestattet mit Plattenkamera und Tropenhelm.Da haben wir das Panoptikum versammelt. Fehlen nur noch Tim und Struppi. Die „Julia Franksche Zeitmaschine“, wie ein Rezensent ironisch formuliert hat, ist angeworfen und fortan sind die Frauen „keck, blond, wild, nussbraun“. Es wird marschiert „mit Aplomb in frisch gewichsten Stiefeln“ und die Nilpferdpeitsche schnalzt erzieherisch auf dunkler Haut, an deren Anblick sich die Herrin von Benesi zitternd delektiert.Ja, Steinaecker präsentiert dem Leser ein Grand Guignol aus dem kolonialen Sammelalbum. Die erste Fährte wird schon mit dem Umschlag ausgelegt. Der Titel Schutzgebiet leuchtet unter schwarzer Sonne, blutrot über grünen Tannenspitzen. In Fraktur gesetzt, einer modernen amerikanischen Schrift, die hierzulande, unausrottbar, stets mit Faschismus und Reaktion assoziiert und konnotiert wird.Neo Rauchs CoverDer Frankfurter Verleger Joachim Unseld hat die Umschläge aller seiner sechs Neuerscheinungen in dieser Saison von dem Malerstar Neo Rauch gestalten lassen. Ein gelungener Coup. Einmal Leipziger Schule mit bei! Die Lust des Verlegers, innen und außen Kunst zu bieten, könnte auch zur Lust des Lesers werden. Schon haben Kunstgalerien ihr Interesse bekundet. Da muss doch der intellektuell anspruchsvolle und künstlerisch interessierte Bibliophile Blut lecken. Auch und gerade gegen die Maß nehmenden und maßgebenden Vertreterversammlungen, deren einige Mitglieder aus Unverkäuflichkeitsbefürchtungen unter Protest den Dienst quittierten. Zu Unrecht: Hier könnte selbst der Landser -Freund unwiderstehlich angezogen werden.Wenige Schriftsteller der Gegenwart, abgesehen von Uwe Timm und Gerhard Seyfried, haben sich bisher mit der deutschen Kolonialgeschichte beschäftigt. Thomas von Steinaecker, so äußert er in einem Interview, sucht nach den Wurzeln des Konstrukts Deutschland und gräbt sich durch das Dritte Reich hin bis zur Kolonialgeschichte. Und bleibt mit seinem Roman doch stets in sicherer Distanz.So klug und geschickt auch die trefflichsten Klischees ineinander- und historische Personen elegant und überzeugend in die Handlung hineingebaut sind, immer sehen wir den Autor vom Schnürboden aus, Fäden ziehen und Dekorationen versetzen.Seine Figuren sind keineswegs aus Pappmaché, aber verbergen sich hinter Abziehbildern. Ob sie nun Nilpferdpeitschen schwingend einen Eingeborenentrupp exerzieren lassen, oder den Schlingpflanzen beim Tannenersticken zusehen, zu lau bleibt das Interesse am Schicksal der ganzen Benesi-Bande. Kasperl müsste seine Pritsche klatschen lassen und rufen: „Seid ihr noch alle da?“Warum die Mecki-Lektüre einen Haut-Gout hat, kann man wissen. Schon 1936 als Propaganda-Figur erfunden, wurde der behäbige Igel später von Wilhelm Petersen, einem von Hitler selbst zum Professor gekürten Kunstmaler und NS-Offizier ins Wirtschaftswunderland hinein in die Hörzu gerettet. Die Gründe von Steinaeckers Faszination an einem überaus finsteren Kapitel deutscher Geschichte hingegen bleiben hinter blendendem Kunsthandwerk verborgen.