George Orwell oder James Bond? Das ist die entscheidende Frage beim heftig diskutierten Nacktscanner. Anders gesagt: Lauert hinter dem Willen, Flugpassagiere künftig bis auf die Haut zu durchleuchten, ein allumfassender Überwachungswille? Oder zeugt er von der beharrlichen Fantasie, jede erdenkliche Situation technologisch meistern zu können? Der vereitelte Anschlag von Detroit liegt den verantwortlichen Innenpolitikern auch deshalb schwer im Magen, weil er ihr liebstes Mantra in Frage stellt. Denn mehr Überwachung und mehr Uniformierte bieten eben nicht zwangsläufig mehr Schutz vor terroristischen Attacken. Zumal dann nicht, wenn der Angreifer seinen Körper zur Waffe macht. Im Umkehrschluss heißt das: Es gibt noch keine flächendeckende Kontrolle. Orwell’sch ist bislang vor allem das Neusprech, mit dem diese Maßnahmen als „Sicherheitspakete“ verniedlicht werden. Aber das Buch 1984 deckt als kulturelle Folie den notwendigen Widerspruch nicht ab. James Bond und Clark Kent führen weiter.
Röntgenblicke spornen schon lange eine kollektive Fantasie an, die in Comic und Film ihren Niederschlag gefunden hat – von Superman über Capitan Future bis hin zum Yps-Heft mit den „Röntgenbrillen“. Um Voyeurismus geht es dabei selten. Das buchstäbliche Ausziehen mit Blicken ist dramaturgisch unergiebig. Auch im Alltagsbetrieb eines Flughafens dürfte die kühle Atmosphäre beim Sicherheitscheck etwaige Spanner von der Bewerbung zum Nacktscanner-Dienst abschrecken. Der Röntgenblick steht in der Popkultur für etwas anderes: Er bildet eine sensationelle ‚Waffe‘ im Arsenal des Superhelden.
Schon als Superman und Co. vor rund 70 Jahren ihre ersten Missionen erfüllten, belebten solche Science-Fiction-Ideen die Geschichten vom Durchschnittsbürger, der über sich hinaus wächst. Heute gibt James Bond den prototypischen Übermenschen. Die Vorstellung hinter dieser Figur ist so simpel wie unwiderstehlich: Wir formen unseren Agenten zur intelligenten, nimmermüden Kampfmaschine, statten ihn mit avantgardistischer Technologie aus – und schon hat der Feind das Nachsehen. In Die Welt ist nicht genug von 1999 erspäht Pierce Brosnan als 007 mit einer Röntgenbrille verborgene Pistolen unter den Anzügen seiner Gegenüber.
Wish I could be Daniel Craig
Der Nacktscanner versöhnt die abgedrehten technischen Visionen der Bond-Filme mit der Wirklichkeit. Homo Faber im Anti-Terrorkampf: Wo Ursachenforschung nicht gefragt ist, soll elaborierte Technik das illusionäre Versprechen absoluter Sicherheit erfüllen. Heikle Lagen übersteht 007 durch Miniaturwaffen oder Stahlseilspulen in der Uhr. Ebenso rüstet sich der Westen gegen einen weitgehend gesichtslosen Feind mit unbemannten Spionagedrohnen, hoch entwickelten Distanzwaffen oder eben Nacktscannern.
Wie in den Bond-Filmen steht dahinter ein Machbarkeits-Wahn. Zugleich dürfen hier wie im Superhelden-Genre Ermächtigungsphantasien ausgelebt werden. Clark Kent fristet einen unauffälligen Alltag. Erst als Superman mit Röntgenblick findet er Beachtung – nicht zuletzt beim anderen Geschlecht. Der Nacktscanner könnte einfach so ein Nerd-Einfall sein: Wenn der Islamist uns schon nicht den Gefallen tut, sich als solcher auszuweisen, dann tüfteln wir eben etwas ganz Schlaues aus. Jeder Flughafenbeamte kann mit ein wenig Glück für fünf Minuten Daniel Craig sein.
Superhelden sterben nicht. Schwäche und Tod passen nicht in diese Erzählung. Gerade weil sie immer wieder aufstehen, gerade weil sie immer siegen, faszinieren diese Figuren auch beim achten Remake noch. Im Alltag verliert diese Idee schnell ihren Zauber. Eine Politik, die solchen Fantasien gleicht, wirkt vor allem: hilflos.
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