Emi am Ende

Ton und Text Die EMI, einer der vier verbliebenen Major-Musikkonzerne, macht Dauerschlagzeilen. Nur schlechte, versteht sich, denn wir reden hier von der Musikindustrie

Fast könnte man ein wenig Mitleid haben, wenn man beobachtet, wie der Traditionskonzern es gerade gar niemandem Recht machen kann. Die Altstars Pink Floyd – immerhin einer der Megaseller im Katalog – klagen und gewinnen, weil sie es für unverschämt halten, dass ihre Plattenfirma entgegen bestehender Verträge auch Einzelsongs der Band zum Download anbietet, während die Band ihre Alben entgegen aller Zeitgeist-Umstände immer noch als unteilbares Gesamtkunstwerk ansieht. (Oder vielleicht auch nur mehr Schmerzensgeld für diese künstlerische Zumutung sehen will.) Die amerikanische Indieband OK Go hingegen ist sauer und hat die EMI dieser Tage verlassen, weil sie nicht ihre eigenen, mit eigenen Ideen und eigenen Mitteln gedrehten Videoclips nach Gutdünken und ungeachtet der Marketing-„Strategie“ der EMI veröffentlichen darf.

Nun sind OK Go nach herkömmlichen Ertragsmaßstäben relativ unbedeutend. Allerdings sorgen genau diese Videos regelmäßig für weltweite Aufmerksamkeit. Die brillante Laufbandchoreografie von „Here It Goes Again“ erhielt nicht nur einen Grammy, sondern sammelte seit 2006 schier unbezahlbare millionenfache Klicks bei YouTube ein. „Aufmerksamkeit“ scheint indes eine Währung, mit der die EMI nichts anfangen kann. Das wundert kaum, denn was die EMI gerade dringender als alles andere benötigt ist schlicht: Geld.

Wer schon immer geglaubt hat, dass die – durch die in den frühen Neunzigern enorm scheinenden Renditen angefeuerte – durchgreifende Kapitalisierung der Musikindustrie der eigentliche Grund für deren totalen Niedergang ist, der findet in der EMI ein äußerst ertragreiches Beispiel. Seit zehn Jahren erlebt der Konzern eine Umstrukturierung nach der anderen; Zukäufe, Abstöße, Neuformierungen, Umbenennungen, Kooperationen. Zuguterletzt kaufte sich „Terra Firma Capital Partners“ die EMI. Für schlappe fünf Milliarden Euro. Unmittelbar vor der Finanzkrise.

Ein Grab in der Abbey Road

Gekauft wurde sie also von einem Hedgefonds, der eher früher als später ordentlich Kasse mit seiner Kapitalanlage machen will. (Klar, dass der größte Teil des Kaufpreises gleichzeitig auch der gekauften Firma als Schuldenlast aufgebürdet wird, das kennt man ja inzwischen als übliches Verfahren bei derlei Übernahmen.) Mit Geldern von Pensionsfonds hatte man bisher in Abfallwirtschaft, Raststätten oder Wohnungen investiert. Jetzt eben mal Musik. Man kann sich schon fragen, wie ein eigentlich eiskalt kalkulierender Heuschrecken-Investor auf die etwas absurd anmutende Idee verfällt, mit einer Plattenfirma in der praktisch schon immer nur jeder zehnte Künstler überhaupt Gewinn abwirft, ließe sich heutzutage noch anständig Profit erwirtschaften. Ein systemimmanentes und vor allem rationalisierungsresistentes „Problem“ übrigens, denn es lässt sich dankenswerterweise immer noch nicht kalkulieren, welcher der zehn durch die Decke geht.

Aus seiner Sicht fast schon verständlich also, dass Guy Hands, der Kopf von Terra Firma, seine Musiker als „unrentable Faulpelze“ beschimpfte. Geholfen hat das natürlich nicht, im Gegenteil. Nicht nur die „Unrentablen“, sondern einige der Zugpferde verließen die Firma prompt. Radiohead starteten ihr Internetexperiment, Paul McCartney ist jetzt bei Starbucks unter Vertrag, die Rolling Stones beim Major-Rivalen Universal. Wer vorerst geblieben ist, meckert zumindest über sein Label, so wie Lily Allen, Moby, Coldplay oder Danger Mouse. Dessen letztjährig hoch gehandeltes „Dark Night Of The Soul“-Album mit Sparklehorse-Sänger Mark Linkous sollte erst gar nicht erscheinen, nach ungezählten naturgemäß illegalen aber vom Künstler angefeuerten Downloads nun plötzlich doch. (Zu spät für den depressiven Linkous übrigens, der sich vor kurzem das Leben genommen hat.)

Es geht also rapide bergab, immense Verluste in den letzten beiden Geschäftsjahren kommen zu den eh immensen Schulden hinzu. Die hirnverbrannte Idee, dann eben mal schnell die 1898 begründete Kulturikone Abbey Road Studios zu verkaufen, sorgte erneut für Schlagzeilen und vor allem dafür, dass auch die unbedarfteste Lokalpresse in aller Welt über die Finanzprobleme der EMI berichtete. Jetzt stehen nicht nur die Gläubiger auf der Matte, gleich dahinter lauert die Konkurrenz, um das Wrack auszuschlachten, Künstler und Backkatalog aufzuteilen. Das Wrack, das immerhin die dienstälteste Plattenfirma der Welt ist.

Dieser Text ist in Kooperation mit entstandenwww.motor.de


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