Langer schwenkt nicht

Tatort "Vergissmeinnicht": Der Hamburger "Tatort" gibt sich gerne abstrakt, aber den bürgerlichen Diskurs wurde diese Folge nicht los

Dass der Hamburger Tatort anders ist als die anderen, hat weniger mit der Tatsache zu tun, dass Cenk Batu als verdeckter Ermittler arbeitet, als mit der Kamera, die einem immer wieder die Unmenschlichkeit urbander Architektur vorführt. Das geschieht, ohne dass man diesen Verlust des Individuellen bedauern würde. In "Vergissmeinnicht" hat wie bei der ersten Ausgabe mit Mehmet Kurtulus ("Auf der Sonnenseite") wieder Martin Langer dafür gesorgt, dass man die Menschen in der Stadt mit einem kalten Auge wahrnimmt, sie dem Zuschauer wie geschäftige Bienen erscheinen. Langer schwenkt nicht, sondern schaut stets unbeirrt im korrekten rechten Winkel auf die Single-Appartment-Häuser, die U-Bahn-Stationen, die Umkleidekabinen, die Abspiel-Waben der Golfclubs, die Werkshallen. Aus den "Fickzellen mit Fernwärme" von Heiner Müller werden im Hamburger Tatort jedes Mal wieder sterile Verhörräume, die nicht einmal mehr Spuren irgendeines Subjekts, irgendeiner Identität tragen. Alles unbelebt, alles clean. Sieht furchtbar gut aus.

Und passt zu den Geschichten eigentlich wunderbar, denn Cenk Batu hat schließlich keine Identität, sondern spielt in jeder Folge wieder eine andere Rolle. In "Vergissmeinnicht" die eines Pressesprechers des Flugzeugherstellers Apat, der offenbar ausspioniert wird. Zum zweiten Mal ist Batu also auf der Suche nach einem Maulwurf, der seine Gänge "ins Ausland" gräbt, und zum zweiten Mal im weiteren Sinne zu Diensten des deutschen Staates. Um endlich die bürgerlichen Diskurse los zu sein, wendet man sich also den Verrätern des Vaterlandes zu?


Ach, man wird sie ja doch nicht los: Eine Leiche muss trotzdem immer vorkommen wie auch der Ungehorsam des moralisch aufrechten Untergebenen gegenüber seinem Vorgesetzten. Der diesmalige Drehbuchautor Christoph Darnstädt (Co-Autor auch bei "Die Grenze") hat es allerdings noch weiter getrieben – und so den guten alten Tatort leider zu arg in diesen schönen neuen Tatort zurück gebracht: In "Vergissmeinnicht" verliebt sich Cenk Batu, wird bitter enttäuscht, bringt den Job aber trotzdem ordentlich zu Ende, um dann in die Heimat zu reisen. Das können Regisseur Richard Huber und Kamermann Langer noch so irritierende Bilder finden für die Liebe des Cenk Batu, es ist und bleibt eben doch die alte Geschichte vom empfindsamen Mann und seiner Reise an den Ursprung.

Und die andere Geschichte, die vom Vaterlandsverrat? Puh, die war ganz spannend, ja, aber auf eine seltsame Art und Weise belanglos. Sie wirkte aufgesetzt just in den Momenten, wenn es um den Einzelnen ging (lange Blicke, verhaltenes Harren u.ä.), und hatte sich zudem einige Actionelemente auf dem Filmflohmarkt zusammen geklaubt. Vielleicht muss man sich aber auch erst daran gewöhnen, dass in Hamburg eben nicht Ehe und Familie auf dem Spiel der großen Gesten stehen – dieser Tatort gerade keine Mission hat –, sondern abstraktere Dinge, denen alles ach so Menschliche naturgemäß ziemlich gleichgültig ist.


Erster Blick auf die Uhr: nach gefühlten 25, tatsächlichen zehn Minuten
Erinnerte unangenehm oft an: "Küss dich reich", die "Romantikkomödie", die am Dienstag auf Sat.1 lief

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Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

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