Empfehlung der Woche

Die Ernährungsgerade

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Karin Michel

Hardcover, gebunden

208 Seiten, mit 10 Abbildungen und 12 Tabellen

22 €

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DOK.fest München 2025

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Jubiläumsedition

Im Kino: 07. bis 18. Mai 2025

@home: 12. bis 25. Mai 2025

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Der blaue Kontinent – Inseln im Pazifik

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Neue Dauerausstellung ab 29. März 2025

Im Übersee-Museum Bremen

15 € | 7,50 € (ermäßigt)

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Kultur : Das Gestern als heute

Das Magazin "Retrotrend" erstreckt sich über die Weiten des materiellen Erfahrungshorizonts der Kindheit. Nur was soll diese Vergangenheitsbeschwörung bedeuten?

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Es ist kein Geheimnis, dass viele Menschen gerne glauben möchten, „konservativ“ und „hip“ seien zwei Worte für dieselbe Sache. Und wie immer bei solch quasi-religiösen Angelegenheiten, so ist auch mit den Neobiedermeiern ein gutes Geschäft zu machen, solange man ihnen die Einheit von Rückwärts- und Vorwärtsgewandtheit nur ordentlich weismachen kann. Das will nun auch der TV-Produzent und Technik-Journalist Jürgen Lossau mithilfe einer neuen Zeitschrift. Mehr als die contradictio in adiecto vom Gestern, das die Zukunft bedeute, besagt der Name dieses Magazins denn auch nicht: Es heißt Retrotrend. Sein einziges Programm ist der Beweis der Aktualität der guten alten Zeit, die, man kennt das zur Genüge, angeblich noch wusste, was Langsamkeit, Stil, Qualität und Originalität wert sind.

Statt der Drohkulisse der Kulturverrohung verklärt Retrotrend das Früher zum besseren Heute. Das wirkt bestenfalls grotesk ob seiner so naiven wie metaphorisch konsequent verunglückten Fröhlichkeit – und ist schlimmstenfalls genauso autoritär wie die klassische apokalyptische Rede vom nahenden Untergang; Pluralis Majestatis inbegriffen: „Alles was wir lieben“ lautet der Slogan von Retrotrend. Und wenn nicht vom allumfassenden Wir die Rede ist, dann wenigstens vom Ich und seinen Erinnerungen an die Produkte der Kindheit: „Das Bett, wie es dort in der Ecke steht, kommt mir vor wie ein Denkmal. Der Gedanke, es wegwerfen zu müssen, schmerzt.“

Einen Begriff von Geschichte hat dieses Magazin für Klassiker höchstens im ökonomischen Sinne. Die Vergangenheit zerstreut sich in Retrotrend in eine lose Ansammlung von Markennamen; anders scheint das Früher den meisten der Autoren nicht zugänglich zu sein. Auch wenn zufälligerweise einmal vom Nationalsozialismus, der Mondlandung oder der RAF die Rede ist, dann werden diese Begriffe wie auswendig gelernte Vokabeln irgendwo fallen und dort untätig liegen gelassen. Der jeweilige Gegenüber von Retrotrend, ob Interviewte oder Porträtierte, bleiben ähnlich blass: Die sind vermutlich schlichtweg zu menschlich und damit über die orale Phase des (Wieder-) Habenwollens hinaus, als dass dieses Magazin etwas mit ihnen anzufangen wüsste.

Dass Subjektivität ein Medieneffekt ist, ist das Trauma, an dem sich dieses Blatt abarbeitet. Daher rührt einer­- seits das zentrale Sprechen über die üblichen jugendlichen oder infantilen Identifizierungsstrategien vulgo Hobbys wie Spielen, Fahrradfahren, Musikhören und so weiter. Und kaum zufällig sind andererseits einige der Themen – wie das Lob der Mixkassette oder Michael Fröhlich, der Oldtimer in seinem Garten verrotten lässt – selbst mediale Wiedergänger, von denen man irgendwo irgendwie schon einmal gehört hat. Nur die Stoßrichtung ist bei Retrotrend klar: Dem Sammler Fröhlich wird etwa unterstellt, er habe wohl (genau wie seine Autos, so die metaphorische Brücke) „ein Rad ab“ – eben weil er Vergänglichkeit sichtbar macht, statt seine Oldtimer zu geschichtslosen, jederzeit Benutzbarkeit suggerienden Objekten aufzupolieren. In Retrotrend geht es nicht um die Vergangenheit, sondern allein um die bloße Behauptung von deren andauernder Präsenz. Oder andersherum gesagt: In einer Gesellschaft, die den Kult der blanken Repräsentationen bestens beherrscht, will schon die Gegenwart historisiert werden, damit sie überhaupt begehbar bleibt. Retrotrend ist mithin weder retro noch Trend, sondern schlichtweg aus der Zeit und damit allen Zusammenhängen gefallen. Nicht einmal mehr rein rhetorisch wird eine Bewältigung der Vergangenheit versucht. Vermutlich, weil einfach keiner weiß, was das bedeuten könnte.


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