Die dritte Single der kalifornischen Avantgarde-Band The Residents beantwortet eine uralte Frage: Was geschah wirklich nach dem dramatischen Finale des Beatles-Songs "A Day in the Life"? Wenn Sie dachten, die Pfeiftöne – hochgepitcht auf 15 Kilohertz, unhörbar für den Menschen, aber gut wahrnehmbar für Hunde – und das Rückwärts-Gemurmel über dem langsam auslaufenden Anfangs-Groove seien alles, dann täuschen Sie sich. Die Wahrheit ist viel unheimlicher.
John Lennon beantwortete dieselbe Frage etwa ein Jahr später mit "Revolution 9" auf dem White Album. "Beyond The Valley of A Day in the Life" von den Residents ist da die Garage-Band-Version. Der Song beginnt mit den letzten Sekunden des orchestralen Parts und dem scheppernden Klavierak
Übersetzung: Christine Käppeler
d dem scheppernden Klavierakkord – etwas beschleunigt – und taucht dann tief und düster in ein Schema aus Drumschlägen und einem rückwärts abgespielten Mellotron ab.Aus den Nebelschwaden tauchen Beatles-Samples auf wie Erinnerungsschnipsel: der Refrain von "Tell Me What You See" wird von der sich steigernden Zeile „Don’t Believe in Beatles“ aus Lennons "God" überlagert. Plötzlich geht der Song zu einem Loop von Pauls Stimme auf der Weihnachtsplatte von 1965 über: „Please everybody if we haven’t done what we could have done we’ve tried.“Fetzen von "No Reply", "Yellow Submarine", "I’m a Loser", "Mr. Moonlight" und "I Am The Walrus" sind mit der Wiederholung des Intros von "Tell Me Why" unterlegt. Die Sitar aus "Love You To" rückt zusammen mit der Bassline von "Hey Bulldog" und dem abschließenden „yeah yeah yeah“ des Songs "She Loves You" in den Vordergrund. Es folgt das Ende von "Bad Boys", dann fadet der Track über einem skurrilen Gemurmel mit Liverpooler Akzent (von der 1965er-Weihnachts-Flexidisc) aus.Knirschende Coverversionen"Beyond the Valley of A Day in The Life" wurde 1977 veröffentlicht und kann wohl Anspruch darauf erheben, ein frühes Mashup zu sein – einer der ersten Tracks der Popmusik, der ausschließlich aus bereits vorhandenen Songs konstruiert wurde. Weite Verbreitung fand er allerdings nicht: Aus Sorge vor möglichen Klagen pressten die Residents nur 500 Kopien der Single, auf deren B-Seite sich eine besonders wilde Interpretation des Beatles-Instrumentalstücks "Flying" fand.Die Single war nicht der erste Streich dieser Art der Residents. Ihre erste LP aus dem Jahr 1974 war mit dem Titel Meet the Residents ein bewusstes Echo auf das erste US-Album der Beatles. Sie parodierten das Original-Cover von Robert Freedman mit einer primitiven Verunstaltung: Johns Zunge hängt heraus, George hat Vampirzähne, Paul Insektenaugen und ein Maul wie ein Käfer und Ringo hat Ohren wie Mr. Spock und einen Stoppelbart.Auf der Rückseite ist ein Bild der Beatles in ihren kragenlosen Jacketts zu sehen, darauf sind Langustenköpfe aufgesetzt (Ringo hat als einziger die Gestalt eines Seesterns). Musikalisch war das Album verblüffend: Mal hässlich, dann wieder auf seltsame Art wunderschön. Abgesehen von den Samples einiger Hits aus den Sechzigern – "Nobody But Me" von Human Beinz und Nancy Sinatras "These Boots Are Made for Walkin’" – hatte man so etwas noch nie gehört.Aber was war es eigentlich? Ein Album, das man wieder und wieder abspielt, oder eines, das man sofort vom Plattenspieler nimmt? In den folgenden Jahren vertieften die Residents ihre Ideologie. Ihre zweite Veröffentlichung im September 1976 war eine knirschende Coverversion des Rolling-Stones-Hits "Satisfaction" mit Vocals, die wie hingeschissen klangen und einem jammernden verstimmten Gitarrensolo, das über viereinhalb Minuten diese ergraute Stapelware der Sixties zerlegte, indem der Text in einen Ausbruch an Arbeiter-Zorn verwandelt wurde.Mehr als ein Schock-PolemikerIm selben Jahr noch veröffentlichten sie ihr drittes Album The Third Reich ’n’ Roll, auf dem Samples und bizarre Coverversionen von Party-Hits aus den 60ern – "The Twist", "Land of a Thousand Dances", "Hanky Panky", "The Letter" – ineinander übergehen. Ihre Polemik war einfach: Der Pop der Sechziger, mit seinem Freiheitsversprechen, war in den Siebzigern zu einem Gefängnis geworden – zur Hegemonie einer bestimmten Wahrnehmung, die nicht zuließ, dass etwas anderes gedieh.Die Mitt-Siebziger waren tot, extreme Maßnahmen wurden erforderlich. Doch die Residents waren weit mehr als Schock-Polemiker: Sie waren Künstler und ihre Platten bedeuteten eine vollkommen neue Montage von Samples, Loops, musique concrete und bizarren Tonalitäten. Sie waren nicht einfach nur Hasser: Sie liebten, was sie zerstörten. Ihre Samples waren Beatles-Fan-Club-Platten, Herrgottnochmal!Denn sie taten das alles doch, weil sie zurück zu den Ursprüngen wollten. Das sagen sie so in etwa im Begleittext zu The Third Reich ’n’ Roll: „Die Leute spekulieren, ob die Residents darauf hinweisen wollen, dass der Rock ’n’ Roll der Jugend weltweit eine Gehirnwäsche verpasst hat. Als sie mit dieser denkbaren Philosophie konfrontiert wurden, antworteten sie, „Das mag so stimmen oder auch nicht, was wir wollten war: kick out the jams and get it on.“Die Platten sind echte Vorboten des Punk. Sie nehmen auch die Anfänge des Zeitalters der Sampling-Kultur vorweg, das in den frühen Achtzigern mit The Adventures of Grandmaster Flash On the Wheels of Steel, Stars On 45 und der Lesson-Serie von Double Dee and Steinski begann. Die ausschließlich analogen Tracks der Residents sind anspruchsvoll konstruierte und herausfordernde Soundscapes, die noch heute fesseln.Beyond the Valley of A Day in the Life mag zwar gegen alle Urheberrechtsregeln verstoßen haben, aber es war nur das erste von vielen Beatles-Mashups. Um nur ein paar wenige zu nennen: Paperback Writer von Fat Truckers, Come Together von Bad Production, Danger Mouses brillantes Grey Album, auf dem er die Vocals von Jay-Zs Black Album mit dem White Album der Beatles remixte. Und sogar Apple Records und die Beatles selbst mischten 2006 mit Love mit.Doch wie so oft ist das Original unübertroffen. Die Collage der Residents ist gleichzeitig sanft und düster: hinter der spöttischen Polemik verbergen sich tiefe Gefühle. 1977 waren die Beatles noch nicht die unangefochtenen Pop-Kult-Titanen, die später aus ihnen werden sollten. Ihr Ruf hatte nachgelassen, aber ihre Abwesenheit schmerzte umso tiefer, und diesem Verlustgefühl verleiht Beyond the Valley of a Day in the Life seine Tiefe.