Erregungs-Rückschlag

Street View Google Street View ist in Deutschland gestartet - und plötzlich stehen die Kritiker des Internetkonzerns mit dem Rücken zur Milchglasscheibe. Eine Medienkritik

Wenn die Debatte um Google Street View eines gezeigt hat, dann dass die angeblich humorarmen Deutschen selbst aus angeblich drögen Themen wie dem Datenschutz etwas Spannendes machen können. Was war das noch im Sommer für eine Aufregung gewesen! Selbst die Bild alarmierte ihre Leser, dass Deutschland nun bald Google gehören könnte. Die Datenschützer aus Hamburg und Berlin nahmen den kritischen Dialog über die Presse auf und begannen zu warnen und zu wettern. Schließlich hatten die Street-View-Autos nicht nur Bilder geschossen, sondern auch private WLAN-Netze kartographiert. Selbst Innenminister Thomas de Maizière berief ein Expertengremium ein, um zu beraten, wie mit der massenhaften Digitalisierung der Straßen umzugehen sei.

Seitdem Google in der vergangenen Woche die Panorama-Straßenansichten von 20 Großstädten freigeschaltet hat, branden erneut Wellen der Aufregung durchs Internet, diesmal in entgegengesetzter Richtung: Als Spießer, Nichtsblicker, Verheimlicher, Spielverderber und Zerstörer der digitalen Öffentlichkeit beschimpfen erboste Netzbürger jene, die ihre Wohnungen haben verpixeln lassen. Genährt wird die Wut auch von der Tatsache, dass Google schon dann eine Pixel-Milchglasscheibe vor ein Mehrfamilienhaus setzt, wenn nur ein einziger Mieter Einspruch einlegt – sei es aus Angst vor Einbrüchen oder weil er nicht einsieht, dass ein Unternehmen mit Bildern von seiner Haustür Geld verdienen will. So kommt es, dass jetzt selbst das Münchner Büro von Google nicht erkennbar ist. Ein Nachbar hatte das gefordert.

Doch die Gemeinde der Befürworter und Zwangsverpixelten weiß sich zu wehren. Schon kursieren im Netz Formschreiben für einen Aushang im Hausflur: „Liebe Mitbewohner, da mindestens einer von Ihnen seine Privatsphäre durch Google Street View bedroht sieht, möchte ich alles zum Schutz Ihrer Privatsphäre tun und werde demnächst keine Pakete für Sie entgegennehmen.“ Im Essener Stadtteil Bergerhausen bewarfen besonders aktive Verfechter der uneingeschränkten Panorama-Freiheit online unkenntliche Häuser mit Eiern und verteilten Zettel mit der Botschaft „Google‘s cool“ in den Briefkästen. Auch der Foto-Aktivist Jens Berger soll inzwischen 400 Mitstreiter für sein Vorhaben gefunden haben. Berger hatte vor dem Street-View-Start angekündigt, jedes der etwa 244.000 von Google verpixelten Häuser zu fotografieren und zusammen mit seinen Geodaten ins Internet zu stellen – was die deutsche Pixelmanie ad absurdum führen soll.

In der Mannheimer Zwerchgasse sollten Berger und seine Jünger jedoch lieber vorsichtig sein. Dort lebt jener Mann, Hunde- und Mercedes-Besitzer, den die Google-Kameras halbnackt bei der Fahrzeugpflege im Kofferraum erwischten – und der so, tausendfach verlinkt, zum weltweiten Gespött und zum Sinnbild der verrückten Deutschen wurde. Inzwischen hat Google die Bilder des Hauses komplett geschwärz, doch angeblich erwägt der Mann nun eine Klage gegen den Konzern.

So unterhaltsam das Theater um den Bilderdienst sein mag, so erstaunlich ist dennoch, dass die Debatte auf die Präsentation von kuriosen Aufnahmen zurückschrumpft. Dabei ist Street View nur das erste Massenprodukt, das die Geodaten der Deutschen nutzt. Man mag das für sich noch undramatisch finden. Schließlich wächst die Aussagekraft solcher Daten erst dann exponentiell, wenn sie miteinander verknüpft werden. In einer Zeit, in der fast jedes Handy inzwischen einen Ortungs-Chip trägt, wird das nicht lange auf sich warten lassen. Gut möglich, dass dann die Forderung nach einem Widerspruchsregister für Geodaten-Anwendungen selbst bei einigen jetzt Zwangsverpixelten auf Resonanz stößt.

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