"Geil, jung, dünn, top frisiert"

Facebook-Narzissmus Ein Vorhaben auf Dauer, das soll die Liebe heute sein. So sprechen natürlich nur Zyniker, so handeln jedoch die meisten. Über die Liebe als Projekt

"Die Liebe wird projekthafter sein“, sagt der Trendforscher Peter Wippermann, und ich sehe vor meinem geistigen Auge Singles, die PowerPoint-Präsentationen ihrer sexuellen Vorzüge darbieten und mit ihren Zukünftigen knallhart aushandeln, was die milestones dieses mergers sein sollen. Gemeinsamer Urlaub? Vielleicht sogar ein Kind? Und die Projektdauer? „Das war von Anfang an klar, dass das ’ne Beziehung auf Dauer war – also für ’ne bestimmte.“ So spricht eine Gymnasiastin über ihre Beziehung.

Ein Projekt auf Dauer, das soll die Liebe heute sein. So sprechen natürlich nur Zyniker, so handeln jedoch die meisten. Überall in der westlichen Welt schlafen die Menschen seltener miteinander als vor 50, 30 oder 20 Jahren. Was damit zu tun hat, dass sie immer mehr Zeit ihres Lebens als sexlose Singles verbringen. Warum diese Vereinzelung? Als Hauptverdächtiger gilt das Phänomen Narzissmus im Verbund mit der Selbst­darstellungsmaschine Internet. Der Tanz um sich selbst mag nach Erotik aussehen, aber es bleibt beim Schein. Der Sexualforscher Volkmar Sigusch erzählte schon im Jahr 2000 dem Spiegel, bei der Love Parade gehe es nicht um Liebe, sondern um Selbstliebe: „Wenn mich meine Spione richtig unterrichtet haben, Sozio­logen, die vor Ort forschen, dann kommt es während der Love Parade in aller Regel nicht zu sexuellen Begegnungen alter Rechnung. Kaum vorstellbar, aber so ist es.“

Kümmerlicher Gewinn

Um ein wenig Privatempirie zu betreiben, gehe ich dahin, wo die Berliner Avantgarde sich trifft, auf ein Fest, das sich Blind Date Swingers Club nennt. 90 Prozent der Männer tragen die Frisuren alter Duran Duran-Videos auf und wiegen 20 Kilo zu wenig. Sie könnten keinen Einkauf nach Hause schaffen, aber ihre Haare präsentieren sie mit Grandezza. Ich komme mir vor wie ein Mammut. Die Frauen wirken, als müssten sie noch weiter, ehe sie den Kühlschrank leerfressen und den Inhalt gleich wieder in die Toilette speien können. Kein einziges Paar knutscht, niemand flirtet, Frauen und Männer reden abwechselnd aufeinander ein – wobei die Männer ihr Haar ordnen und die Frauen ins Nichts starren.

Ein Freund sagt: „Wenn du die einzeln fotografierst, dann wirkt das wahnsinnig sexy. Geil, jung und dünn, top frisiert. Aber auf einem Haufen wirkt das traurig.“ Wenn jeder mit allem sagt: Bitte kreist um mich, dann bleibt sogar der kümmerliche narzisstische Gewinn aus, von Sex oder Liebe gar nicht zu reden. Der Regisseur Klaus Lemke sagte: „Extrem sexy, konsumfreudig, aber vollkommen verwirrt. Oder, anders gesagt: Kaum steht der Fick vor’m Bett gehen die Mädchen von heute vor Schreck auf Facebook.“ Kann ein Fotoalbum begehrenswerter sein als die Liebe? Ist Facebook Pixel gewordener Narzissmus?

Der Blogger The Last Psychiatrist differenziert, nicht die Eitelkeitsupdates seien pathologisch, sondern das Errichten einer Identität bei gleichzeitigem Rückzug aus der Wirklichkeit. „Zeig mir jemanden, der mehr als eine Stunde am Tag auf Facebook verbringt und ich zeige dir einen zukünftigen Geschiedenen.“ Das Glück ist nicht im Selbst zu finden, nur im anderen. Oder wie The Last Psychiatrist sagt: „Das Problem ist nicht Facebook, das Problem bist du.“

Malte Welding ist Wahlberliner und Autor des Buches Frauen und Männer passen nicht zusammen auch nicht in der Mitte (Pieper, 2010). Er bloggt auf malte-welding.com

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