In einem fiktiven Gespräch zwischen Alexander Kluge und Heiner Müller, notiert von Alexander Kluge und abgedruckt in dem Buch Die Lücke, die der Teufel lässt, lässt Kluge Müller sagen: „Ich bin Autor. Mitempfinden ist mein Beruf.“ Der Dramatiker wirkt dabei gereizt, fast so, als ob seiner Aussage eine Provokation vorausgegangen ist, auf die er reagiert.
Zwei
Seit der Spielzeit 2004/5 werden meine Stücke an subventionierten, deutschsprachigen Theatern aufgeführt. Man hat mir dafür ein paar Preise gegeben und Stückaufträge erteilt dergestalt, dass ich davon leben kann, ohne einer so genannten Nebenbeschäftigung nachgehen zu müssen. Man könnte sagen, es läuft. Wohin, steht auf einem anderen Blatt.
Aber wah
teht auf einem anderen Blatt.Aber wahrscheinlich sollte man sich sowieso, will man unbeschwert und einigermaßen frei von äußeren Zwängen leben, von dem Gedanken verabschieden, dass es in Karriere und Beruf immerzu erfolgreicher laufen muss, dass man von Jahr zu Jahr dem Ziel des glückseligmachenden Ruhms näher zu kommen hat.Die Frage sei gestellt, ob dieser induzierte Karriereverlauf, der uns weiß Gott nicht nur in dieser Branche eingetrichtert wird, wirklich gut für das Werk eines Autors, für das Schaffen eines Künstlers im Allgemeinen ist. Ich habe dahingehend große Zweifel – was nicht heißen soll, dass ich Spitzwegs Poetenstube für die erstrebenswerte Alternative halte.Für die Theaterstücke lebender Autoren zwischen 20 und 40 hat man in unserem Land die schön harmlos klingenden Labels „junge Dramatik“ oder „neue Dramatik“ entworfen. Die Autoren nennt man in diesem Zusammenhang Nachwuchsautoren und ihre Stücke werden gern kostengünstig und im Verbund mit einem jungen „Team“ auf Studiobühnen produziert.Das Personal der Stücke hat überschaubar und der Inhalt möglichst gegenwartskritisch zu sein, ihre Figuren sind meist Ideenträger, und wenn das Ganze dann noch anekdotisch karikierend daherkommt, ist das nächste Nachwuchswunder geboren. Was jedoch meist dabei rauskommt, ist schnell Produziertes, das rasch ab-, jedoch selten nachgespielt wird. Also wird aufs Neue produziert.Viele Autoren – und ich will mich hierbei keineswegs ausklammern – geben sich dem zweifelhaften Verfahren des Schnellproduzierten demütig hin, denn der Markt macht sie gefügig und dankbar. Schließlich will man gespielt werden, schließlich muss man Geld verdienen.Es ist zusehends zu verfolgen, wie Nachwuchsautoren nach zwei Aufführungen gehypet und generös alimentiert werden, bevor sie nach zwei weiteren flugs und ohne großes Gedöns (im Gegensatz zum kometenhaft dröhnenden Aufstieg) abgekanzelt werden, obwohl sich objektiv betrachtet ihre Kunst, also das geschriebene Wort, nicht wesentlich verändert hat. Und da vielerorts der Spielplan vom Pressespiegel bestimmt wird, bleibt die junge Begabung ratlos zurück und fragt sich, was hab‘ ich denn bloß falsch gemacht?Ausrangiert mit Anfang 30, dabei noch Nachwuchshoffnung Nummer Eins zwei Jahre vorher. Man könnte natürlich sagen, die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Aber so einfach stellt sich das nicht dar. Das Problem ist vielmehr, dass der Markt ein ständiges Überangebot an Nachwuchshoffnungen aufbietet und daher ist kaum noch zu unterscheiden, welche Handschrift der jeweilige Autor trägt, sofern er eine hat.Auch kann man oft nicht sagen, wozu der Autor noch in der Lage wäre, gäbe man ihm entsprechend Zeit und Raum. Denn bevor sich der Autor entfalten kann – und Schreiben ist nun mal ein langwieriger Prozess –, wird das nächste junge Talent in den Ring geworfen und der eben noch aufgeführte Autor wird vergessen.Jung, das wichtigste Attribut in diesem Zusammenhang, steht für unverbraucht und unentdeckt, es steht für Zukunft und Zuversicht, lodert doch die Hoffnung nach Erlösung in jedem neuen Aspiranten, die Hoffnung auf Erweckung aus der allgegenwärtigen Tristesse, die Rettung vor der allgemein gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit des Theaters schlechthin. Flankiert wird dieser Jugendkult durch Veranstaltungen wie im Regiebereich, wo es Festivals mit dem Namen „Radikal Jung“ oder „Fast Foreward – Festival für junge Regie“ gibt.DreiDie oben beschriebenen Beobachtungen bergen natürlich keinen wesentlich neuen Informationsgehalt, sie sind vielleicht mit etwas Polemik gespickt, aber das ist nicht besonders originell. Auch bin ich beileibe nicht der erste Autor, der auf den Uraufführungswahn auf deutschsprachigen Bühnen und dessen Nachwehen hinweist.Nein, mir geht es um etwas anderes. Meine Beobachtungen versuchen letztendlich ein Konsumverhalten innerhalb des Theaterbetriebs zu beschreiben. Diese Beobachtungen, die das Geschäftsgebaren eines in der freien Wirtschaft üblichen hire and fire beinhalten, lassen sich selbstredend auf viele andere Bereiche innerhalb des Kulturbetriebs übertragen. Nur erscheint mir dieses Gebaren im staatlich subventionierten Theatersystem von heute um so bigotter, da man sich unisono, als hätte man eine gemeinsame Charta unterzeichnet, gegen neoliberale Machenschaften auslässt wie weiland das ZK der SED gegen den vergleichsweise possierlichen Kapitalismus der Ludwig-Erhard-Ära. Die Programmhefte quillen über vor Anklageschriften gegen den bös-gnadenlosen Wirtschaftsliberalismus unserer Tage, und von Artaud bis Žižek werden sämtliche Geistesgrößen für diese das Individuum auffressenden Machenschaften herbeizitiert.Die Theater ringen um ihre Existenzen, vor allem, weil in den Kommunen aufgrund der letzten Wirtschaftskrise das Geld knapp geworden ist. Sie sind also zurecht aufgebracht und zum Teil wirklich überfordert, nur anstatt sich ernsthaft zu solidarisieren und das vor allem und zuerst nach innen zu praktizieren, sind ihre Mitarbeiter damit beschäftigt, die Außendarstellung zu polieren. Viele einst ernstzunehmende Theater, die sich gesellschaftlichen Fragen gestellt und sinnliche Inszenierungen hervorgebracht haben, schielen zusehends nach dem kurzzeitigen Event.VierVoraussetzung für alles Denken und Deuten aber ist die Bereitschaft, so genau wie möglich hinzusehen und das Vermögen aufzubringen, sich einzufühlen. Doch wer das macht, öffnet sich und macht sich somit verletzbar, er gilt als Störfaktor. Die unausgesprochene Parole lautet deshalb, stark sein, koste es, was es wolle! Die Berufsperformer mit den pochenden Halsschlagadern machen es vor.Nein, es hat sich in der Tat was verändert. Spricht man mit älteren Bühnenkünstlern, die gewiss ein gerüttelt Maß an Frustration in sich tragen, so bleibt oft der Eindruck zurück, dass ihre Unzufriedenheit nicht nur mit der geringer werdenden Nachfrage zu tun hat, sondern mit einem sich gewandelten Verhaltenskodex innerhalb des Betriebs selbst. Die-aus-der-Welt-Gefallenen haben selbst im einstigen Refugium Theater keinen Platz mehr. Sonderlinge werden auf der Bühne zwar propagiert – meist, indem man sie karikiert –, in der Kantine jedoch kommen sie seltener vor. Sie sind offenbar dem deutschen Zeugnisdenken und dem damit verbundenen Funktionsfetischismus zum Opfer gefallen. Und was sich neben und hinter der Bühne zuträgt, sieht man leider auch häufig auf der Bühne: Krampfhaft verdrängte Angst und uneingestandene Sehnsucht nach einem anderen Dasein.FünfAlle verschiedenen Varianten dramatischen Theaters sind Kunstprodukte. Insofern gibt es keinen Realismus auf der Bühne außer dem nicht integrierbaren Tod des Schauspielers während einer Aufführung. So haben alle Theaterformen gemeinsam, dass sie die Wirklichkeit, aus der sie schöpfen, bearbeiten, ja bearbeiten müssen, um Realität – was hat das Dargestellte mit meiner Wirklichkeit zu tun –, erfahrbar zu machen. Wie diese Bearbeitung aussieht, ist sehr unterschiedlich und wird sehr unterschiedlich bewertet. Ungeachtet dessen meine ich, dass ein Theater, das die Realität unter Ausklammerung des Mimetischen erfahrbar machen will, Grundlegendes außer Acht lässt.Denn die erste Faszination des Theaterspiels beruht noch immer auf unmittelbarer Teilhabe. Zwar sind die Verhältnisse, unter denen Menschen heute leben und handeln, verwickelter, abstrakter und unüberschaubarer denn je, aber ich glaube nicht, dass damit das existentielle Drama erledigt wäre. Denn die Lebenswirklichkeiten schlagen zurück und wirken sich bei jedem Einzelnen aus. Das Drama steht uns ins Haus. In unserer Arbeitswelt etwa wissen die Menschen häufig nicht genau anzugeben, was sie können, wann und warum sie etwas gut machen, worauf sie künftig bauen und womit sie rechnen dürfen. Diese Ungewissheit ist Ausdruck abstrakter werdender Verhältnisse, die sich im körperlichen Auftreten, in scheinbar grundlosen Aussetzern und im Sozialverhalten äußern. Hohe Anforderungen und geringer Einfluss sind kennzeichnend für unsere heutigen Beschäftigungsverhältnisse.Was sich ebenfalls geändert hat, ist die eindeutige Zurechenbarkeit von Schuld und Unglück, von Gelingen und Erfolg. Diese Schicksalsausbuchtungen können ernsthaft keiner einzelnen Person oder Partei mehr zugeschrieben werden, auch wenn die Sehnsucht, Schuld zu delegieren, wahrscheinlich nie größer war als heute.SechsZurück zum Anfang. Warum schreibt man fürs Theater, warum lässt man sich überhaupt auf oben beschriebene Mechanismen ein? Dafür gibt es tausenderlei Gründe. Anerkennung, Aufmerksamkeit und letzten Endes auch Arbeitsplatzsicherung spielen dabei keine unbeträchtlichen Rollen.Ich glaube aber, das Theater würde sich gründlich erholen, wenn es selbstbewusster und seine Angehörigen nicht allzu medienversessen wären. So könnten die Maßstäbe aus den eigentlichen Bedürfnissen der Ensembles kommen, die haben schon immer die unmittelbarste Kraft des Theaters ausgemacht. Sie würden damit nicht nur Erfolg, sondern viel wichtiger, auch eine breitgefächerte gesellschaftliche Wirkung erzielen.Man könnte aber sagen, es läuft auch so.