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Es ist richtig, dass in Nazi-Anspielungen wie Geißlers Goebbels-Zitat die Gefahr der Verharmlosung liegt. Es ist aber auch so, dass mediale Reflexe nicht weiterhelfen

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Gegenüber der Bild-Zeitung äußerte Heiner Geißler: „Besonders infam ist der Vergleich mit dem Nazi-Propaganda-Chef Joseph Goebbels.“ Das war im Mai 1985. Der damalige SPD-Chef Willy Brandt hatte über ihn gesagt: „Ein Hetzer ist er, der schlimmste Hetzer seit Goebbels in diesem Land.“

Es ist nicht ohne Ironie, dass Geißler, der sich vor 26 Jahren den Vergleich mit Goebbels verwehrte, letzten Freitag Goebbels zitierte, als er im Streit um Stuttgart 21 schlichten sollte: „Wollt ihr den totalen Krieg?“ Und es ist auszuschließen, dass er nicht wusste, wessen Worte er – wenngleich zur Warnung – wählte. Auch wenn er in einem epochalen Interview mit Tobias Armbrüster am Dienstagmorgen im Deutschlandfunk auf dessen Hinweis, es handele sich um Goebbels-Worte, erwiderte: „So? Da wissen Sie mehr als ich.“

26 Jahre sind eine lange Zeit, seither hat sich viel geändert. Heiner Geißler etwa, der sich vom terrierhaften CDU-Generalsekretär zum knuddeligen Attac-Mitglied und weisen Versöhner gewandelt hat. Dass beide Zuschreibungen, der Hardliner und der Versöhner, letztlich mediale Images sind, hat das DLF-Interview vorgeführt: Schon bei den Fragen zu Stuttgart 21 wirkte Geißler sonderbar barsch und gereizt.

Was sich noch geändert hat, ist der mediale Raum, in dem Politikersätze heute nachklingen. Dieser Raum ist größer geworden, und der Neuigkeitsdruck einer verdichteten Nachrichtenproduktion hat zur Folge, dass gewisse Diskussionen auf Reflexe verkürzt werden.

So ist, zumindest zum Teil, die Karriere des „Nazi-Vergleichs“ als mediales Phänomen zu erklären. Medien müssen dann aufklären, Politiker können so Aufmerksamkeit provozieren. Beziehungsweise umgekehrt.

Es ist richtig, dass im inflationären und falschen Gebrauch von Nazi-Anspielungen die Gefahr einer Verharmlosung liegt, also eines Verlust des Wissens um die Verbrechen, die von Deutschen vor gerade zwei Generationen massenhaft organisiert wurden. Es ist aber auch so, dass Reflexe, die auf bestimmte Reizwörter anspringen (exemplarisch: Johannes B. Kerners „Autobahn geht nicht“ zu Eva Herman), dieses Wissen selbst nicht mehr transportieren, weil sich das Problematische etwa am „Nazi-Vergleich“ auf die Logik von Ansprechen-und-Dementi-Einholen verkürzt.

Das DLF-Interview war epochal, weil es dem Leerlauf dieser Logik durch Gesprächspausen hörbar Raum verschaffte. Zweifelsohne produzierte der bockige Geißler, der derart seine „Weisheit“ selbst desavouierte, ein spezifisches Maß an Überforderung. Zugleich wurde aber deutlich, dass die Frage, die der Journalist Armbrüster immer wieder stellte, eigentlich keine Frage war („Verharmlosen Sie nicht die Sprechweise der Nazis?“), sondern bereits der kürzeste Schluss. An der Verweigerung Geißlers zeigte sich die Unfähigkeit eines Journalismus, über das Diktat eines „kritischen Nachfragens“ hinaus, das Problematische, das sich hinter der Verharmlosung verbirgt, erklären zu können.

Der Spiegel schrieb 1985 über Brandts Worte im Duktus eines aufrichtigen Kindergärtners: „Das ist schon böse.“ Armbrüster hätte Geißler fragen können, ob er nicht übertreibe. Und am besten wäre es, der „Nazi-Vergleich“ würde ausgesetzt. Das hätte auch den Vorteil, dass 95 Prozent von Henryk M. Broders Texten nie erscheinen müssten. Um zu übertreiben, ein ganz klein wenig.

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