Heitere Trauer

Lyrik Neben der Damenwelt und dem Skifahren widmete sich James Laughlin ausgiebig der Lyrik. Christine Pfammatter hat seine letzten Gedichten erstmals ins Deutsche übertragen

Gedichte, schon immer Kontrapunkte des Weltenlaufes, können trösten, bevor du selbst merkst, dass du Trost brauchst. Bringen Dinge in dir zum Klingen, von denen du gar nicht weißt, dass du sie beherbergst. Lassen dich Fragen beantworten, die du niemals gestellt hast.

Zum Beispiel James Laughlin. Geboren 1914, gestorben 1997. Erbe einer Pittsburgher Stahl-Dynastie und deshalb finanziell unabhängig. Neben der Damenwelt und dem Skifahren widmete er sich ausgiebig der Lyrik, gründete mit New Directions einen der wichtigsten Verlage für US-amerikanische Lyrik des 20. Jahrhunderts. Beeinflusst unter anderem von William Carlos Williams, prägte er den light verse mit, eine Schule der Dichtung, die vorgibt, sich ganz alltäglichen, geradezu unscheinbaren Dingen zu widmen, um daraus jedoch ungeahnt hellsichtige Wendungen zu zaubern.

In dem nun vom Leipziger Literaturverlag herausgebrachten Band Dylan schrieb Gedichte hat die Autorin Christine Pfammatter letzte Gedichte Laughlins sorgsam zusammengestellt und erstmals ins Deutsche übertragen. Ihr Vorwort beschreibt sowohl den Lebemann als auch einen äußerst empfindsamen und vielschichtigen, im Übrigen blendend aussehenden Literaten. Er pflegte Freundschaften zu Kollegen wie Ezra Pound, dessen Forderung nach einer einfachen, konzentrierten und auf die Wirklichkeit bezogenen Sprache er konsequent umsetzte.

Seltsam tröstlich

Diese späten Gedichte sind durchzogen von einem Gefühl für die eigene Endlichkeit, befassen sich mit Abschied und Erinnerungen an bereits verstorbene Freunde und Geliebte, und ringen diesem Zustand des Wissens um das eigene, baldige Ende jedoch einen – bei aller Melancholie – geradezu heiteren Gleichmut ab. Wenn sich Laughlin mit sich selbst als junger Mann beschäftigt, diesen „Fremden“ am Ende sagen lässt, er sei froh, dass er nach all den Jahren immer noch er selbst sei, ist das nicht nur witzig, sondern als Selbstzeugnis auch von ergreifender Schlichtheit.

Das titelgebende Gedicht Dylan schildert, wie der junge Laughlin den verstorbenen Dylan Thomas in New York identifizieren muss, und bei aller prosaisch ausführlichen Beschreibung dieses gespenstischen Vorgangs steht am Ende das vage Gefühl, dass sich mit dieser Identifizierung auch eine Identifikation als Dichter vollzieht. Von einem unverwechselbaren, zutiefst – und im besten Sinne – US-amerikanischen Sound getragen, flaniert man durch diese Gedichte wie über einen regennassen Time Square in der Dämmerung und hält dann doch erschrocken inne: 1997 schreibt Laughlin das Gedicht Über der Stadt, in dem ein Bomber mitten in New York zerschellt.

wir bemerkten/dass keiner von uns überrascht war weil/wir schon immer wussten dass diese/zwei Paradebeispiele/des Fortschritts uns früher oder später/die Demonstration ihrer wahren/Verhältnisse vor/Augen führten.

Ein Schauer befällt einen bei diesen Zeilen. Das Eintreffen der Prophezeiung ist Laughlin erspart geblieben, und auch dieser Umstand wirkt seltsam tröstlich. So wie alle diese Gedichte über Alter und Abschied wohl nicht nur dem Lyriker, sondern auch seiner Leserschaft über die Zumutung des Wissens um das eigene Verschwinden hinweghelfen.


Dylan schrieb GedichteJames Laughlin ausgewählt und übersetzt von Christine Pfammater, Leipziger Literaturverlag 2011, 136 S., 19,95 .


Marc Ottiker schrieb im Freitag zuletzt über das Café Odeon in Zürich


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