Die Plakate, auf denen sich die „Occupy“-Bewegung mit den ägyptischen Demonstranten auf dem Tahrir-Platz vergleicht, mag man ja noch etwas vermessen finden. Ein Slogan auf einem anderen Pappschild trifft es aber in jedem Fall: „We’re kind of a big deal“. Dass sich ausgehend vom New Yorker Zuccotti-Park die Apathie der Krise zu einer globalen Konjunktur des Protests gewandelt hat, lässt sich tatsächlich als ziemlich große Sache bezeichnen. Und wenn in westlichen Metropolen nun improvisierte Agoren und basisdemokratische Zeltlager aus dem Boden sprießen, beflügelt dies linke Phantasien im großen Stil.
So nannte die Publizistin Naomi Klein diese „wunderschöne Bewegung“ immerhin schon „die wichtigste Sache d
te Sache der Welt.“ Die globalisierungskritische Formel, dass eine andere Welt möglich sei, scheint heute vielen passender denn je. Herrscht also zumindest für den Moment Euphorie, so könnte Peter Trawny mit seinem aktuellen Essay Medium und Revolution womöglich einen empfindlichen Nerv treffen. Der in Wuppertal lehrende Philosoph versucht hier nämlich nichts weniger, als das zu denken, was unmöglich scheint: die Revolution.In seinem kryptischen Stil und der poetischen Emphase erinnert der schmale, siebzig seitige Band zunächst unweigerlich an das mittlerweile berühmt-berüchtigte Manifest Der kommende Aufstand. Als Mitherausgeber der Martin Heidegger-Gesamtausgabe und Ernst Jünger-Experte teilt Trawny zudem auch schon von Haus aus die Beschäftigung mit den beiden deutschen Lehrmeistern des französischen Autorenkollektivs. Und wenn schließlich auch inhaltliche Berührungspunkte zwischen beiden Texten offenkundig sind, so hat Trawny hier dennoch keine weitere antimodernistische Elegie, als vielmehr ein philosophisch hochkonzentriertes Traktat vorgelegt. Merklich beeinflusst ist dies sowohl von Heidegger, mit dem er nicht nur die philosophische (Ab-)Grundorientierung, sondern auch die markanten Bindestrich-Formulierungen und die Vorliebe für die Gedichte Hölderlins teilt, als auch von einer Reihe zeitgenössischer Denker wie Giorgio Agamben, Antonio Negri oder Alain Badiou.A-topischer CharakterTrawnys Ziel in Medium und Revoution ist es, die Theorie der Revolution für das postindustrielle Zeitalter fit zu machen, indem er sie von den Begrifflichkeiten des 18. und 19. Jahrhunderts löst. Dass dies kein einfaches Unterfangen ist, gesteht er einleitend auch selbst zu. So versteht er seinen Text nicht nur als „einen Versuch gegen die Unmöglichkeit“, sondern betont auch dessen a-topischen, nicht u-topischen Charakter. Der Diskurs der Revolution orientiert sich also nicht an einem fernen phantastischen Ort, sondern ist stets ortlos. Was dies bedeutet, zeigt sich bereits methodisch. So findet man hier keine lineare Abhandlung, sondern eher konzentrische, kryptisch gehaltene Suchbewegungen.Für Trawny ist der Bezugspunkt der Revolution heute eben nicht einfach der Kapitalismus oder Neoliberalismus, sondern „das Medium“. Nun kann ein Medium in den Geisteswissenschaften ja gemeinhin alles sein: nach Vilém Flusser auch ein Fußball, nach Paul Virilio auch ein Elefant. Würde man hier aufgrund des eigentümlichen Singulars aber intuitiv an Facebook oder Google denken, man läge gar nicht so falsch. Trawny versteht unter Medium nämlich „die immaterielle Einheit von Kapital und Technik“, also die Einheit von sowohl technischen Medien wie dem Internet, als auch Medien wie Geld oder Produktionsmitteln. Zirkulieren im postindustriellen Zeitalter hauptsächlich immaterielle Waren – Affekte, Informationen, Ideen –, so wird weniger produziert als mehr vermittelt. Und das Medium bezeichnet eben die allgegenwärtige Form dieser Vermittlung. Es ist gewissermaßen der Sender des Kapitals, der auf allen Kanälen läuft.Konkret lässt sich dies in der Analogie zum Geld verdeutlichen. Als quantifizierbares Äquivalent, als Produzent von Gleich-Gültigkeit, setzt Geld alles mit allem in ein unsichtbares, abstraktes Beziehungsgeflecht und versieht es mit einem bezifferbaren Wert. Es ist, wie Trawny mit Marx sagt, ein „allgemeiner Kuppler“, eine „allgemeine Hure“. In ähnlicher, noch umfassenderer Weise funktioniert auch das Medium. Als globales Zeichenregime konvertiert es alles, was kommuniziert wird. Letztlich mit dem Begriff des „Empire“ bei Antonio Negri vergleichbar, bildet das Medium eine flexible und dezentrale Herrschaftsordnung, die sich nicht lediglich auf Produktionsmittel oder Privateigentum stützt, sondern als Symbiose aus Technik und Kapital vor allem die symbolischen Beziehungen reguliert. Jeder Satz und jedes Bild, seien sie noch so radikal, wird inkorporiert. Ist das Medium selbst schon immer die Botschaft, so bringt ihm auch die schärfste Kritik – Trawny schließt seinen Text hier dezidiert ein – noch eine gewinnbringende Quote. Einfach gesagt: Auch Systemhass à la Der kommende Aufstand verkauft sich gut.Das große "Romantisiren"Gibt es also keinen Standpunkt außerhalb des Mediums, so bildet sein Anderes allein die Revolution. Sie ist keine Sache von Parteien oder sozialen Bewegungen und meint nicht einfach die Besetzung von Institutionen oder die Neuordnung der Wirtschaft. Revolutionen haben keine Programme oder Pläne. Sie sind Situationen der Offenheit und geschehen – oder eben nicht. Trawny orientiert sich hier vor allem an Alain Badious Theorie des Ereignis’. Demnach geht einer Revolution immer ein Ereignis voran, also ein Moment, der die Koordinaten der symbolischen Ordnung nachhaltig verschiebt, einen Riss in das Bestehende treibt, eine neue Interpretation der Wirklichkeit erzwingt. Ein Ereignis vollzieht sich zwar stets unmittelbar, existiert aber letztendlich nur im Futur II: Es wird immer gewesen sein. Erkennen und mit Sinn füllen, kann man es immer erst im Nachhinein. Die revolutionäre Aufgabe sei deshalb, dem Ereignis Geltung zu verschaffen, indem man es rückblickend universalisiert. Badiou nennt dies „Treue halten“, Trawny mit Novalis „Romantisiren“. Historisch beispielhaft hierfür ist – die Begründung des Christentums. Denn, so fragt Trawny rhetorisch: „Was wäre Jesus Christus ohne Paulus?“ Es ist eben erst der Missionar aus Tarsus, der das das unerhörte Christusereignis in die Welt trägt.Die Revolution könne das immaterielle Medium zwar schließlich nicht zerstören, jedoch das persönliche Verhältnis zum ihn zerschneiden. Und dann? Hier antwortet Trawny leider ählich verblasen wie die Autoren des kommenden Aufstands. Er plädiert für die „gespürte Gemeinschaft“ und meint damit eine Art Kommune, in der es dann ziemlich dionysisch und „vor-medial“ zugeht. Es herrschen Liebe, „Mit-Fühlen“ und „Sichspüren“. Das klingt den Verhältnissen im Zuccotti-Park – man denke an die Methode des „menschlichen Mikrofons“ – zwar nicht vollkommen unähnlich. Dass eine andere Welt aber nun mit einer esoterisch angehauchten Kleingruppentheorie gedacht werden soll, darf man bestenfalls als literarische Pointe verstehen.Sozial nicht anschlussfähigLesenswert bleibt Trawnys Essay da, wo er mit seinem Konzept des Mediums ein Analyseinstrument vorzeichnet, das der Verflüssigung der Machtverhältnisse im virtuellen Kapitalismus Rechnung trägt. Problematisch ist der Text hingegen in seiner zwar zumeist poetisch verpackten, aber gleichsam militanten Unbedingtheit. Nun orientiert Philosophie sich nicht an politischen Machbarkeiten, sie darf es vielleicht auch gar nicht.Dennoch muss man bezweifeln, dass eine Theorie, die gesellschaftliche Veränderung in so einer Absolutheit und damit Seltenheit fasst, sozial oder politisch irgendwie anschlussfähig ist. Anders gesagt: Ein Denken, das für repräsentative Politik bloß Verachtung hat, das im Werben um kulturelle Hegemonie schon immer Vereinahmung sieht und das strategisches Handeln nicht kennen will, ist de facto zur eigenen Wirkungslosigkeit verurteilt.Der Philosoph Slavoj Žižek, sonst nicht gerade zimperlich mit revolutionärer Rhetorik, hat jüngst bei einem Auftritt vor den „Occupy Wall Street“-Demonstranten in New York diesbezüglich kluge Worte gefunden: „Remember, carnevals come cheap. What matters is the day after when we will have to return to normal life. Will there be any changes then?“