"Der schlitzohrige Jude"

Kulturkommentar Vivien Steins Buch wirft dem Berliner Kunstsammler Heinz Berggruen vor, Jude und kein Held zu sein. Woraus man lernen kann, dass die Vergangenheit lange Schatten wirft

Gibt es schon ein Symptometer? Ein Gerät, das in elektronischer Windeseile errechnet, was ein Angriff auf einen hochgeschätzten Ehrenbürger, pardon, jüdischen Ehrenbürger Berlins, anzeigt? Es könnte auswerfen, auf welchem Ticket Frau Vivien Stein, die eigentlich Reuter heißt, reist, wenn sie in einem unbekannten Verlag auf mehr als 570 Seiten nachzuweisen versucht, dass der Kunsthändler Heinz Berggruen ein Betrüger, Blender und Schlitzohr war; es würde auch anzeigen, was Herrn Stephan Speicher bewogen hat, auf einer Seite der Süddeutschen Zeitung dieses Werk (das ich nicht beurteilen kann, weil ich es nicht gelesen habe) zur Sensation zu machen.

Der Hype, an dem die Autorin gut verdient, zeigt zunächst einmal, dass die Schatten der Vergangenheit immer noch so lang sind, dass es große Aufregung verursacht, weil darin der „Jude“ Berggruen schlitzohrig ist und betrügerisch zu seinem Geld kommt – im Unterschied zu, sagen wir mal, Herrn Ackermann oder diversen Spekulanten an der New Yorker Börse. Er ist kein Held? Oh weh.

Schon die alten Germanen glaubten, dass gewaltsam Ermordete zurückkehren und poltern; man ist über die Demontage eines zum Helden stilisierten „deutschen Juden“ empört – dieses Symptom zeigt, dass die jüngere deutsche Vergangenheit noch immer nicht vergangen ist.

Nachvollziehbare Aversionen

Wenn ich es richtig verstanden habe, beruft sich Frau Reuter-Stein auf ihre jüdische Herkunft, vielleicht weiß sie nicht, dass sie antisemitische Topoi benutzt? Und dass die Verfolgung im Dritten Reich keine Umerziehungsmaßnahme war, die aus Märtyrern Helden gemacht hat?

Man sollte das Wort Verbrechen spezifizieren, weil es so abgenutzt ist, und ein paar Zeilen darauf verwenden, dass hier Menschen aus über 120 Nationen erst diffamiert, dann aussortiert, dann mit einem Label versehen und außer Sichtweite gebracht wurden. Die Brauchbaren wurden vernutzt, die Nutzlosen mit Methoden neuester Technologie effizient umgebracht, alles unter aktiver Mithilfe der Eliten aus Industrie und Wissenschaft, Verwaltung und Bahnbetrieben. Einige sind entkommen und ganz wenige nach Deutschland zurückgekehrt.

Das Label „Jude“ wurde zum Synonym für Schuld und Scham, es schließt Christen und Ungläubige ein, die nur für die Nazis als Juden galten, und wurde zur Basis jenes Philosemitismus, der „die Juden“ heiligspricht. Die Aversion gegen diese Art von Rassismus kann ich gut nachvollziehen.

Dank an Frau S.

Frau S. hat nicht nur Herrn B. angegriffen, sondern die Politik und Seelenlage einer Generation, die sich vom Schatten ihres Erbes zu befreien sucht. Die Autorin stellt eine Politik infrage, die immerhin dazu geführt hat, dass Deutschland in den Kreis zivilisierter Völker aufgenommen wurde. Frau Stein und ihre Unterstützer verstehen und durchschauen nicht, dass selbst eine dreifache Summe für die Berggruen-Sammlung nicht zu hoch gewesen wäre, weil der Imagegewinn, den ja auch das jüdische Museum erfuhr, die Neubelebung jüdischen Lebens durch Import russischer Juden und das Wohlwollen eines Michael Blumenthal, unbezahlbar sind. Immerhin beweist die Enthüllerin, dass auch Juden dumm und ungebildet, also normale Menschen sein können. Dafür danke ich ihr.

Hazel Rosenstrauch schreibt und denkt in Berlin, zuletzt erschien von ihr: Juden Narren Deutsche, Mannheim 2010

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