Der Hirsch hat keine Chance. Ein erster Schuss streckt ihn nieder, eine Gruppe Jäger umzingelt ihn. Dann der Gnadenschuss, als habe das Tier jemals eine Chance gehabt: die wenige Sekunden lange Chronik einer gnadenlosen Exekution. Es handelt sich um eine archaische Gesellschaft – in die Regisseur Rod Lurie in dieser Anfangsszene einführt –, die lustvoll ihr vorzivilisatorisches Erbe feiert.
1971, in Sam Peckinpahs Wer Gewalt sät, spielte Dustin Hoffman die Hauptrolle des Mathematikers David Sumner – nach Asphalt-Cowboy das zweite Ausrufungszeichen in der Rollenwahl, mit der Hoffman sich vom Bübchen-Image aus Die Reifeprüfung befreien wollte. Der zierliche, scheinbar harmlose Hoffman war die Idealbesetzung für Peckinpahs Parabel, denn Sumner wird fernab der Großstadt lernen, dass auch in ihm die Wildnis noch lebt.
Rod Lurie hat die Handlung nun von England in den Bible Belt der USA verlegt, in ein Land also, in dem wilderness mythologisch weitaus stärker aufgeladen ist als in Europa. Das Örtchen, in das David Sumner, hier Drehbuchautor, mit seiner Frau Amy zieht, heißt Blackwater, trägt also den Namen der Privatarmee, die im Irak den Krieg als Geschäft betrieben hat.
Gottesdienst, Kneipe, Fußball-Team
Ein wenig leidet Rod Luries Version Straw Dogs – Wer Gewalt sät unter solchen Verweisen, unter Bildern, die als zu bedeutungsschwer erscheinen, zu belastet damit sind, über sich selbst hinausweisen zu müssen.
In Blackwater ist, neben dem Gottesdienst und der einzigen Kneipe der Stadt, das Football-Team der Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens. Hier werden die Rituale vollführt, aus denen die Zu-kurz-Gekommenen, die Abgehängten ihre Befriedigung ziehen. So weit, so bekannt – und nah am Klischee mancher selbstgerechten Amerika-Kritik aus Europa. Doch Amy hat es geschafft, sie ist rausgekommen aus dem Kaff und hat es in Los Angeles zu bescheidenem Ruhm als Schauspielerin gebracht. Das Haus, in das die Sumners einziehen, gehörte ihrem verstorbenen Vater. Und der Anführer der Clique, die nebenan freundlicherweise das Dach der Scheune repariert, ist ihr Ex-Freund Charlie, der Ex-Quarterback der Schulmannschaft, Ex-Uni-Stipendiat, Ex-Hoffnungsträger. Den Southern Rock, der aus seinem Gettoblaster dröhnt, kann David bei der Arbeit an seinem neuen Drehbuch mit klassischen Klängen nur notdürftig übertönen. Und bald wird dieser Konflikt eskalieren und in einem albtraumhaften Finale enden.
Der Geist von 1968
Der hochgewachsene Schwede Alexander Skarsgård, der schon als Bösewicht in der Vampirserie True Blood den Hauptfiguren die Schau stahl, hat für seine Rolle alles Ätherisch-Übersinnliche abgelegt. In Charlies körperliche Präsenz mischt Skarsgård immer noch ein wenig sinistre Nachdenklichkeit, eine Höflichkeit und Vorsicht, die an das Taktieren einer Schlange erinnert.
Solche Ambivalenzen streut Rod Lurie, der die Stärken des Stoffes sehr genau identifiziert und pflegt, elegant über den ganzen Film hinweg und weigert sich konsequent, sie aufzulösen. Sam Peckinpahs Original löste seinerzeit heftige Diskussionen aus, nicht zuletzt wegen einer Vergewaltigungsszene, in der das Opfer nur vielleicht den Widerstand aufgibt, vielleicht aber auch beginnt, Lust zu spüren. Nicht einmal das hat Lurie glattgebügelt und Straw Dogs – Wer Gewalt sät so vor dem Schicksal vieler weichgespülter Remakes der rauen, gewalttätigen Independents im – oder gegen den – Geist von 1968 bewahrt.