Im Roten Rathaus wurde am 27. März der Berliner Literaturpreis, der seit 2005 an die Heiner-Müller-Gastprofessur der Freien Universität gekoppelt ist, an Rainald Goetz verliehen. Gestiftet von der Preußischen Seehandlung, über die an diesem Abend auch gesprochen werden wird, die an dieser Stelle aber nur mit einem Link bedacht werden soll. Im Wappensaal, durch den der Weg zum großen Festsaal führt, ist auf einer Großbildleinwand Klaus Wowereit zu sehen, wie er dem Vorjahrespreisträger Thomas Lehr einen Blumenstrauß überreicht. Es wird die einzige Begegnung mit dem Hausherren sein, denn Wowereit, das wird Walter Rasch, Vorstand der Stiftung Preußische Seehandlung und Senator a.D. in seiner Begrüßung erzählen, weilt,
Kultur : Willkommen beim Establishment
Rainald Goetz hat den Berliner Literaturpreis erhalten und wird die Heiner-Müller-Gastprofessur an der FU antreten. Bei der Verleihung las er auch aus seinem nächsten Roman
und Senator a.D. in seiner Begrüßung erzählen, weilt, „wie sie alle der Presse entnommen haben“ derzeit in Indien. Die Presse, das wird die spätere Google-Recherche ergeben, bedeutet in diesem Fall die Welt, das Neue Deutschland, den RBB und die BZ, die im Laufe dieses Dienstags berichtet haben, dass Wowereit in Neu Delhi 143 bunte Buddy-Bären eingeweiht hat.Eine Typologie der Männer, die diesen Abend gestalten – und es sind ausschließlich Männer – lässt sich ganz gut anhand der jeweiligen Haltung am Rednerpult vornehmen. Universitätsprofessor Dr. Michael Bongart, Vizepräsident der FU, der die Berufung des Preisträgers auf die Heiner-Müller-Gastprofessur vollzieht, steht mit nach oben gezogene Schultern am Pult, was ein wenig lax aussieht, aber dem doch sehr steifen Rahmen eine angenehme Schlagseite gibt. Den Studenten, die am Autorenkollegium des Preisträgers teilnehmen werden, prophezeit er, dass es sie verändern wird, so wie keiner, der die Werke von Rainald Goetz gelesen habe, je unverändert geblieben sei. Jens Bisky, Redakteur der Süddeutschen Zeitung und als Mitglied der Jury Laudator, steht hingegen wie eine Eins am Pult und startet genau so dann auch durch: „Einfach losloben geht nicht. Rainald Goetz verabscheut es, angeschleimt zu werden.“ Bisky verweist auf Goetzens VanityFair-Blog, wo der gegen das "stricherhaft Abgefuckte des Lobens" wetterte, um dann pausibel zu erklären, warum es ohne das Loben eben nicht geht, wenn man das Warum erklären will. Bisky erklärt nicht nur, er stellt auch Fragen, über das Verhältnis von Goetz zu Müller zum Beispiel, die er sodann zu einem imaginierten Gespräch zusammenfinden lässt, einem "richtigen Literatengespräch mit These – Antithese – Unvereinbarkeit. Über die Laudatio werden später so ziemlich alle, mit denen man spricht, urteilen, dass sie geradewegs brillant gewesen sei. Das Schönste darüber aber wird Rainald Goetz selbst in seiner eigenen Ansprache sagen: Bisky habe die Negation in einer Weise zum Leuchten gebracht, die unglaublich sei. Zuvor aber wird Dr. Knut Nevermann, Staatssekretär für Wissenschaft – ausgestellter rechter Fuß, leichte Schieflage – im Namen Klaus Wowereits die Verleihung des Preises übernehmen. Rosé auf Altrosé ergibt RosaNevermann zitiert einen Artikel, der vor wenigen Tagen im Tagesspiegel unter dem Titel Der Roman ist tot … erschienen ist: „Wo das Netzwerk regiert, kann es eigentlich keine Werke mehr geben“. Rainald Goetz hingegen sei einer, der niemals das Ende des Buches in Zeiten des Internets ausrufen würde. Man wolle diesem verzweifelten Autor zurufen: „Bleiben Sie locker, lesen Sie wieder einmal Rainald Goetz.“ Man selbst möchte dem Staatssekretär in diesem Moment zurufen: „Bleiben sie fair, zitieren sie nicht ohne Zusammenhang,“ denn die hübsch provokante These wird vom Autor des Artikels selbst demontiert. Nevermann lobt noch einmal die „erstaunliche Frische“ und die „totale Unverstaubtheit“ des Goetz'schen Werks, und dann betritt der Geehrte selbst die Bühne, etwas ungewohnt in Anzug und roséfarbener Kravatte, aber selbstredend trägt er den am besten geschnittenen und am besten sitzenden Anzug des Abends und auch als die Krawatte vor dem Hintergrund der altroséfarbenen Wände des großen Saals die Farbe rosa annimmt, sieht das zu Goetzens eisfarbenen Haar und dem gebräunten Teint immer noch klasse aus. Er streckt einmal die Schultern und verzieht keine Miene, während die Begründung der Jury verlesen wird, aber als der Preis dann überreicht ist und alle Redner zu ihm auf die Bühne kommen, strahlt er alle herzliche an und es macht sich noch mehr von der Wärme breit, die an diesem Abend aus den Worten aller gesprochen hat, egal ob die nun brillant ankamen oder ein wenig ungelenk.Sodann liest Goetz aus seinem kommenden Roman Johann Holtrop, dessen Veröffentlichung für September angekündigt ist, und über den man später am Abend erfahren wird, dass er alles andere als fertiggestellt ist. Goetz liest aus zwei Kapiteln über die „Phantasmen der totalen Herrschaft des Kapitals über den Menschen“ von oben und von unten: Hier der Putztrupp, der bei einer Firma „Error PC“ (Produkte und Consulting) irgendwo an der Unstrut aufräumt, dort die Manager in einem Frankfurter Bankenturm kurz vor dem 11-Uhr-Meeting die Hackordnung neu festlegen. Die Dame neben mir, die in etwa Goetzens Jahrgang sein dürfte, ist ziemlich fassungslos ob dieser Wandlung des Autors zum klassischen Erzähler, und man selbst wäre es vermutlich auch, wäre man nicht so fasziniert von Sätzen wie: „Die Asche aschte er auf die ihm zugewiesen Glastischecke“ – und so eingenommen davon, wie Goetz sie liest, dass man Johann Holtrop auf der Stelle gerne haben würde; wenn der Roman denn schon fertig wäre. Es folgt eine experimentelle Komposition des italienischen Komponisten Luciano Berio für Soloquerflöte, und als der Blick zur großen Uhr an der rechten Wand des Saales schweift, lässt sich konstatieren, dass eineinhalb Stunden sehr schnell vergangen sind.Der Autor als Geste der VorstellungIm Wappensaal bei Wein und Kanapees stehen zwischen all den den grauen Anzügen ein paar wenige versprengte Grüppchen sehr junger Menschen. Ob das die Stundenten sind, die Rainald Goetzens Autorenkolloquium verändern wird, wie es eingangs hieß? Einfach mal nachgefragt, und tatsächlich sind ein paar dabei, die einige Seiten Text und fünf Werke, die sie gerne lesen möchten, eingereicht haben und für die Schreibwerkstatt ausgewählt wurden (wobei es sich damit eigentlich ganz anders verhält, aber dazu gleich). Wenn man mit diesen Studenten darüber spricht, was sie mit Rainald Goetz verbinden, oder auch ihre Dozentin fragt, was für jene Goetz wohl bedeuten mag, erfolgt diesselbe Geste: Zeige- und Mittelfinger an die Stirn und ein entschlossener Strich über selbige. Klagenfurt 1983, der große Eklat, Goetz schneidet sich im Verlauf seiner Bachmann-Preis-Lesung mit einer Rasierklinge die Stirn auf und liest blutüberströmt. Die Studentin wird sich dann zur Vorbereitung am Büchertisch im Vorraum noch Irre kaufen und die Dozentin verraten, welcher der Herren im Raum seitens der Uni Einblicke in die Gastdozentur und das Auswahlverfahren geben kann.Was der dann auch tut. Und so stellt sich heraus, dass Rainald Goetz seine Dozentur ganz anders gestalten wird als seine Vorgänger – und als eigentlich vorgesehen - nämlich eben nicht als Schreibwerkstatt, sondern als Lektüreseminar. Und dass er das mit dem Auswahlverfahren auch nicht gemacht habe. Soll heißen, er wollte sich daran nicht beteiligen? Nein, heißt jeder darf rein. Ein vielsagender Blick. Mit etwa 50 Teilnehmern rechne man. Nur? Nun für diese Generation, bei Daniel Kehlmann im letzten Semester – auch wenn der nicht die Heiner-Müller-Gastprofesssur innehatte – da hätte man die Tür nicht mehr zugekriegt. Und dann stöhnt er ein wenig über den völlig falschen Rahmen hier, über diese Blumen, die wie auf einer Beerdingung ausgesehen haben, und man beißt sich auf die Zunge und verkneift sich das Stichwort „Soloflöte“ und denkt sich, dass dies nun mal in der Natur solcher Preise liegt und verlässt vorbei an den Vitrinen der Königlichen Preußischen Porzellan-Manufaktur den Amtssitz des Regierenden, der um die 143 Bären mit denen er in Neu Delhi weilt nun wahrlich auch nicht zu beneiden ist.