New York im Wohnzimmer

Ausstellungsort Fotografie ist nicht nur, was in Museum oder Galerie hängt. Die Künstlerin Rinko Kawauchi ist heimlicher Star einer Szene, die das Buch zur Präsentation entdeckt hat

Die Buchbranche ist mit dem Einzug der Literatur ins digitale Lesegerät beschäftigt, als Trägermedium für Fotografie hat das Buch dagegen Hochkonjunktur. Indiz dafür ist die Nominiertenliste des renommierten Deutsche Börse Photography Prize 2012. Für den Fotografiepreis wurden insgesamt vier Künstler vorgeschlagen, unter denen mit Pieter Hugo und Rinko Kawauchi zwei Kandidaten sich befinden, die aufgrund ihrer Buchprojekte auf die Liste gelangt sind. Die Japanerin Kawauchi gilt zudem als Favoritin für die Preisvergabe im September. Zum Vergleich: In den drei Jahren zuvor befand sich mit Paul Grahams A Shimmer of Possibility lediglich ein Buchprojekt unter den insgesamt zwölf Vorschlägen. Zwar gewann Graham 2009, was jedoch nicht die Tatsache kaschieren kann, dass Fotokünstler sich bisher vorrangig über Ausstellungen profiliert haben.

Die diesjährige Parität von Buch und Ausstellung auf der Liste, die John Stezaler und Christopher Williams komplettieren, illustriert sehr schön das Präsentationsspektrum zeitgenössischer Fotografie: hier der white cube der Ausstellungsräume, dort das Massenmedium Buch. Die hierzulande stilprägende Düsseldorfer Becher-Schule um Gursky, Struth und Ruff steht für die große Geste. Sie versucht Galeriewänden und Museumsräumen mit entsprechender Größe beizukommen und überträgt die an der bildenden Kunst entwickelten Mechanismen des Kunstmarkts auf ihre Werke.


Die Fotobuchkünstlerin Rinko Kawauchi ist in jeder Hinsicht die Antithese zur teutonisch-unterkühlten, großformatigen Fotografie von Gursky und Co., was ihr nominiertes Buch Illuminance erneut demonstriert. Sie zieht sich in der Sujetwahl ins Kleine zurück und kommt dabei ihren Motiven nah.

Spezifisch für Kawauchi ist nicht allein der Präsentationsrahmen, sondern vor allem die Art – eine unverwechselbare Form des Editierens von Fotografien – die mit dem Begriff Bildband nur unzutreffend bezeichnet ist. Statt heterogenes Material bloß mit Buchdeckel zu klammern, montiert Kawauchi auf jeder Doppelseite Aufnahmen, die sich formal, farblich, und thematisch kommentieren: Links springt ein Junge in den Pool, Wasser spritzt beim Eintauchen, die rechte Seite zeigt ein zwischen jungen Trieben gespanntes Spinnennetz, in dem sich Tautropfen sammeln. Mit dieser Kontrastierung verliert die Schwimmbadszene an Dynamik, die Tropfen spritzen nicht mehr, sie hängen in unsichtbaren Netzen. Resultat der Montagetechnik ist ein überbordendes Referenzgeflecht klug verbundener Aufnahmen, die den Analyseprozess nie zum Erliegen kommen lassen – wobei der Künstlerin die abgeschlossene, komprimierende Buchform zupass kommt.

Ihre Reputation als heimlicher Star der zeitgenössischen Fotografieszene verdankt Kawauchi fast ausschließlich ihren zwölf Buchprojekten. Damit ist ihre Karriere paradigmatisch für den Aufschwung des Fotobuches, das den Status als Beiwerk zur Ausstellung verloren hat und längst als gleichwertiges Präsentationsformat gilt. Neben Kawauchi experimentieren Fotografen wie Martin Parr, Stephen Gill und andere mit dem Ausdrucksmittel Buch, das eine relative Unabhängigkeit von den Kunstmarktkartellen schafft sowie die Möglichkeit bietet, narrative Bögen zu spannen. Und selbst da, wo das Buch als bloßer Präsentationsrahmen fungiert, geht mit dem Medium eine gewisse Demokratisierung der Kunst einher: Statt nur in London oder New York machen die großen Shows plötzlich auch in den eigenen vier Wänden Station. Und das zu Preisen im mittleren zweistelligen Segment. Dass die Verlage die Zeichen der Zeit erkannt haben und mit Editionen oder Kleinstauf­lagen den Kunstmarkt in den Buchsektor verlängern, tut dem keinen Abbruch.

Zudem erleichtert das Buchformat die Fotografie um den kühlen Überbau von Kunstinstitutionen und -theorie, deren museale Auratisierung von Einzelaufnahmen zu Unikaten Blödsinn ist – eine Erfindung aus marktpolitischem Kalkül, die sich anders als bei Skulptur und Malerei nicht zwangsläufig ergibt. Denn das fotografische Bild ist ein Reproduktionsmedium, das sich dank digitaler Druckverfahren ohne Qualitätsverlust beliebig oft vervielfältigen lässt.

Was besonders schön die teuerste Fotografie der Welt illustriert, Gurskys 2,7 Millionen schweres Bild Rhein II, das 2002 als Wahlplakat für Rot-Grün tausendfach in Nordrhein-Westfalen „ausgestellt“ war.

Das für den Deutsche Börse Photgraphy Prize 2012 nominierte Buch von Rinko Kawauchi Illuminance ist bei Kehrer erschienen (48 )

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