Vor 15 Jahren - Ende Februar 1986 - besiegelte die damals gleichermaßen im In- wie Ausland überschwänglich gefeierte "friedliche People Power-Revolution" den Sturz der Marcos-Diktatur. Nun jagte die "People Power II-Bewegung" den erst seit Sommer 1998 amtierenden Ex-Schauspieler und einstigen Marcos-Zögling, Joseph Ejercito Estrada, aus dem Präsidentenpalast Malacanang. Ein lausiges Finale für den selbstgestylten tropischen Robin Hood-Verschnitt. Ist nun die neue Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo - in den Medien kurz GMA genannt - auch Garant eines Neubeginns jenseits allgegenwärtiger Korruption und Patronage-Politik?
Der Begriff "People Power" - das Volk als Machtfaktor - war 1985/86 im Campus der jesuitischen Ateneo de Manila University mit Bedach
a University mit Bedacht geprägt worden. Er umfasste all jene unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten und Gruppen sowie sektoralen Allianzen von Gewerkschaftern, städtischen Armen, Bauern, Intellektuellen, Ordensleuten und zu Marcos auf Distanz gegangenen Politikern, die hauptsächlich in der Metropole Manila das schillernde Spektrum der außerparlamentarischen Opposition - des "Parlaments der Straße" - bildeten. In zahlreichen Protestaktionen mobilisierten sie den Widerstand gegen die Diktatur und waren ein wichtiges, wenngleich nicht das entscheidende Element des Machtwechsels in Manila. Zwei andere Komponenten garantierten den Sieg von Präsidentin Corazon Aquino: ein gewieftes Krisenmanagement der USA, die im Lande noch strategische Interessen hegten und mit den Marine- beziehungsweise Luftwaffenstützpunkten Subic Bay und Clark Air Field die größten außerhalb des nordamerikanischen Kontinents gelegenen Basen unterhielten, sowie eine Militärrevolte - besser: die buchstäblich im letzten Moment erfolgte Abwendung bedeutsamer Teile der Streitkräfte von Marcos. Diese Konstellation - People Power plus Militärrevolte plus US- Krisenmanagement - sowie die soziale Komposition ihrer Protagonisten prägten die neue Regierung und rückten das unter Marcos diskreditierte Militär schrittweise ins Zentrum der politischen Macht. Aquino war auf die Unterstützung des vormaligen Kriegsrechtsverwalters (1972-1981) und Generalstabschefs Fidel Ramos angewiesen, wie denn im Gegenzug das durch Ramos repräsentierte bedeutsamste Segment der Streitkräfte eine Aufwertung durch Frau Aquino erfuhr. Es dauerte nicht einmal ein Jahr, bis sich die wenigen progressiven Kabinettsmitglieder zum Rückzug aus der Regierung gezwungen sahen und den Linken samt ihren Konzepten von "People's Power" der Krieg erklärt wurde. Vergessen wird vielfach, dass unter Aquino mehr Menschenrechtsanwälte und engagierte Journalisten erschossen wurden als während der Marcos-Herrschaft und die Proliferation paramilitärischer Bürgerwehren der schmutzigen Aufstandsbekämpfung diente. Derweil hatten sich Marcos und dessen Clan unbehelligt ins Exil auf Hawaii begeben.Wechsel als Staffage - Fehlurteil der LinkenDass all dies geschah und geschehen konnte, war zum Teil fatal falschen Analysen des bis Mitte der achtziger Jahre im Widerstand gegen die Diktatur ideologisch hegemonial wirkenden Untergrundbündnisses der Nationalen Demokratischen Front (NDFP) geschuldet, deren Neue Volksarmee (NPA) immerhin von US-Geheimdiensten als "weltweit am schnellsten wachsende Guerrilla" eingestuft worden war. Die NDFP überschätzte Marcos und unterschätzte die Dynamik des antidiktatorischen Kampfes sowie das US-Krisenmanagement. Die NDFP beziehungsweise die von ihr geführte Kommunistische Partei (CPP) hatten die vorgezogene Präsidentschaftswahl Anfang Februar 1986 boykottiert und sie als "lärmendes Getöse der US-Marcos-Diktatur" charakterisiert. Doch Marcos war bereits seit Frühjahr 1985 (damals gar persönlich von CIA-Chef William Casey) zu der vorgezogenen Wahl gedrängt worden, während das vereinte Krisenmanagement von State Department und Pentagon auf eine gemäßigt bürgerliche Alternative unter ausdrücklicher Einbindung von General Ramos setzte. Mit Erfolg: Strategisch war Marcos bereits vor den Wahlen erledigt und abgeschrieben, lediglich taktisch war sein Verweilen im Amt von Interesse, da sich durch die vorgezogene Wahl immerhin die Legitimation der neuen Regierung begründen ließ. Neu und erfolgreich war dieses Krisenmanagement, weil Washington zuvor im Falle Nikaraguas, Irans und Sudans die bedingungslose Unterstützung willfähriger Despoten bis zum bitteren Ende ebenso bitter mit Machteinbuße in solchen Staaten bezahlen musste.1986 bildete "People Power" letztlich die Staffage eines Machtwechsels, nach dem strukturell alles beim Alten blieb, der aber die vor dem Kriegsrecht geltenden Spielregeln einer "Elitendemokratie" - so der damalige Senatspräsident Jovito Salonga selbstkritisch - reaktivierte. Aquino schied 1992 nach einer blassen Performance aus ihrem Amt, ihr Nachfolger wurde Ex-General Ramos, der sowohl ihr als auch Marcos als Korsettstange gedient hatte. Ausgerechnet Ramos gelangen Erfolge an vielen Fronten: Seine innermilitärischen Kritiker verstummten, seine außermilitärischen Gegner befehdeten sich gegenseitig, eine gewisse politische Stabilität wurde von bescheidenen Wirtschaftserfolgen begleitet. Schließlich fanden unter seiner Ägide wenigstens Friedensverhandlungen mit den Moros und der NDFP-Exilführung in Utrecht statt. "Philippines 2000" war sein Masterplan, dem die Mitte 1997 in der Region ausgebrochene Finanzkrise heftig zusetzte.Agenda des Volkes - Spagat der PräsidentinIm Januar 2001 wiederholt sich vieles, was im Februar 1986 für einen Machtwechsel gesorgt hatte. Zahlreiche NGO, sektorale Bündnisse aus Gewerkschaftern, Bauern, städtischen Armen, Ordensleute, Unternehmer aus dem Geschäfts- und Finanzdistrikt Makati, die Ex-Präsidenten Aquino und Ramos nebst der einflussreichen katholischen Kirchenhierarchie - repräsentiert durch den agilen Erzbischof von Manila, Jaime Kardinal Sin - hatten seit Herbst die schillernde "People Power II-Bewegung" begründet. In ihr gewann im Zuge steter Proteste gegen Estrada die Position des "Oust Erap" (Verjagt Erap) die Oberhand, während die Stimmen, die im Amtsenthebungsverfahren den geeigneten verfassungsmäßigen Prozess als Ausdruck gereifter demokratischer Spielregeln sahen, zusehends ins Hintertreffen gerieten.Auffällig an People Power II war dennoch viererlei: diese Bewegung erlebte im Vergleich zu 1986 eine größere, tiefere Teilnahme der unterschiedlichsten Gruppen und blieb nicht vorrangig auf die Metropole Manila beschränkt. Landesweit, vor allem auf der krisengeschüttelten und von Bürgerkrieg gezeichneten südlichen Insel Mindanao, formierte sich seit vergangenen Sommer ein Widerstandspotenzial, das seitdem auf vielfältige Weise - mittels Dauerprotest, Streik, Mahnwache - kritisches Bewusstsein schärfte. Auch konnten nach aufreibenden, teils selbstzerfleischenden internen Debatten unter den Linken Mitte der neunziger Jahre alte Berührungsängste abgebaut werden. Letztlich spielte ausländische Kriseninterventionen keine nennenswerte Rolle."Unsere nächsten Schritte", so Rafael Mariano, zugleich Vorsitzender des militanten Bauernverbandes KMP und der nationalistischen Bündnisorganisation BAYAN, "zielen nach dem Sieg über Estrada auf Reformen im Interesse der Bevölkerung ...". Eine 20 Punkte umfassende Volksagenda - bereits Mitte November Gloria Macapagal-Arroyo überreicht - soll gewährleisten, dass Estrada und seinen Kohorten keine Straffreiheit erhalten; die Friedensverhandlungen mit der NDFP und der Moro Islamischen Befreiungsfront (MILF) im Süden des Archipels wieder aufgenommen, die politischen Gefangenen freigelassen werden; Arbeiter pro Tag einen Mindestlohn von 125 Pesos (etwa fünf Mark) erhalten und die Landreform zügiger vorankommt.Die bisherige Kabinettsliste der neuen Präsidentin bietet dafür auf den ersten Blick wenig Garantien - sie liest sich wie ein Who is Who der Ramos-Administration, wobei Ramos selbst als Sonderemissär im Gespräch ist, der im Ausland für Investitionen werben soll. Auch die theatralischen Wendehälse, die buchstäblich "Fünf vor Zwölf" Estrada die Gefolgschaft aufkündigten, sind wieder im Kabinett. Schlüsselpositionen behalten Verteidigungsminister Orlando Mercado und die Militärspitze um Generalstabschef Angelo T. Reyes sowie Geheimdienstchef, Generalleutnant José Calimlim. Sie hatten im Juli 2000 den verheerenden Krieg in Mindanao und auf Jolo angezettelt. GMAs Spagat verheißt da wenig Gutes. Die wirkliche Herausforderung von People Power II läge nun darin, diesen Spagat nicht als andauernde Regierungsform hinzunehmen. Jedenfalls hat das unzeremonielle Ende Estradas gezeigt, dass sich die Amtszeiten von Präsidenten und die Intervalle, in denen Volkswiderstand wächst, verkürzen - ein ermutigendes Signal.