Ein Häftling als Wahljoker

KOMMENTAR Philippinisches Senatsvotum in aufgeheizter Atmosphäre

Ausgerechnet dem Ex-Schauspieler Joseph Estrada widerfuhr, was vor ihm keinem philippinischen Präsidenten geschah: Auf einer Woge ungeheurer Popularität war er Ende Juni 1998 in den Präsidentenpalast gezogen, um nach nur zweieinhalbjähriger (einer insgesamt sechsjährigen) Amtszeit Mitte Januar 2001 durch dessen Hintertür fliehen zu müssen. Massendemonstrationen und die Abkehr hochrangiger Sicherheitskräfte von ihrem Oberkommandierenden besiegelten das vorzeitige politische Aus. Der Ex-Präsident hatte sich hoffnungslos im Gestrüpp traditioneller Vetternwirtschaft verfangen und sitzt nun wegen "wirtschaftlicher Plünderung" in Untersuchungshaft.

Für viele Filipinos ein schockierender Vorgang, den kürzlich noch obersten Repräsentanten des Staates, ihr einstiges Idol, zum Sicherheitsrisiko der Regierung degradiert zu wissen. Denn mit Estrada steht das Überleben der neuen Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo auf dem Spiel - herausgefordert von den in den philippinischen Medien zum Unheil bringenden Mob hochstilisierten "masa" (Massen), die mit Machete und Knüppel Estradas Comeback erzwingen wollen. Doch die kaum abreißenden gewaltigen und gewalttätigen Demonstrationen in Manila speisen sich nicht nur aus der Wut archaischer subproletarischer Elemente. Dahinter stehen auch die noch immer zahlreichen inner- wie außerparlamentarischen Paladine Estradas und seines einstigen Mentors Ferdinand Marcos, des 1986 entmachteten Diktators. Sie sehen in Arroyo ein illegitimes, weil schwaches Staatsoberhaupt. Sie wittern - wie die jetzt als Drahtzieher der Unruhen inkriminierten Senatoren Juan Ponce Enrile (unter Marcos Verteidigungsminister), Gregorio Honasan, Ex-Polizeichef Panfilo Lacson und Ernesto Maceda (frühere Botschafter Manilas in den USA) - Morgenluft und spekulieren als verschworene Sachwalter des ancien régime auf ein unerwartet gutes Abschneiden ihrer Günstlinge der Puwersang Masa (Stärke der Massen)-Koalition bei den Senats- und Kommunalwahlen am 14. Mai. Ein Votum, das sich Arroyo ursprünglich als überzeugende Legitimation ihrer neuen Administration erhofft hatte.

Jetzt allerdings hat sie mit der Festnahme ihres Vorgängers und der Ausrufung des Notstands die Büchse der Pandora öffnen müssen. Und so sehr ihr nationaler Sicherheitsberater Roilo Golez auch beteuert, Arroyo-Gegner hätten Generälen für einen Wechsel der Fronten bis zu 50 Millionen Pesos (etwa 2,4 Millionen Mark) geboten, sie steckten außerdem hinter dem geplanten Sturm auf den Präsidentenpalast am 1. Mai - die der Präsidentin nahestehende People Power Coalition-Wahlallianz muss um den ersehnten Sieg bangen. Eine am 14. Mai erstmals durch Wahlen legitimierte Regierung hätte mit Estrada ein Exempel statuieren und dessen leidige Verstrickung mit der Marcos-Ära endlich aufarbeiten können. Diese Intention ist inzwischen in Frage gestellt, so dass die Lage in Manila auf Dauer höchst instabil, innerer Frieden eine Schimäre bleibt.

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