Zwei Straftaten pro Stunde

Rechte Gewalt Der Anstieg rechtsextremer Gewalt, den der Verfassungsschutz heute konstatierte, wird der Debatte um ein NPD-Verbot neue Nahrung geben. Doch wem nützt diese Debatte?

Es ist fast schon ein Ritual: Alljährlich erstellt der Verfassungsschutz einen Bericht, der über das Ausmaß extremistischer Gewalttaten oder die Bedrohungslage der Bundesrepublik durch extremistische Kräfte informiert. Von 2008 wird nun vermeldet, dass die Zahl der politisch motivierten Straftaten um mehr als elf Prozent auf 31.801 Delikte gestiegen ist – eine Rekordmarke. Im rechtsradikalen Spektrum wurde der stärkste Anstieg von Straftaten verzeichnet: plus 16 Prozent auf 20.422, darunter mehr als 1.000 Gewalttaten. Das ist erschreckend. Denn hinter den nüchternen Zahlen stehen Täter und Opfer. Wie auslegungswürdig solche Zahlen immer sind, beweist die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die meist zu anderen Ergebnissen kommen, die nicht selten das Ausmaß der Gewalt noch übertreffen. Anetta Kahane von der Amadeu-Antonio-Stiftung hat die heute präsentierten offiziellen Zahlen bereits korrigiert. Bei der Anzahl der Todesopfer habe der Verfassungsschutzbericht nur zwei genannt, während die Amadeu-Antonio-Stiftung fünf gezählt habe. Man dürfe solche Zahlen nicht beschönigen, erkärte Kahane. Sie rechnet übrigens vor, dass alle 26 Minuten eine rechtsextreme Straftat verübt werde.

Das politische Berlin wird erwartungsgemäß rituell auf die Zunahme rechtsextremer Gewalt reagieren: die Debatte um ein NPD-Verbot erhält neue Nahrung. Denn eines ist unbestritten: die NPD pflegt enge Verbindungen zu gewaltbereiten rechtsextremen Gruppierungen. Die Parteien versuchen sich mit diesem Thema zu profilieren, hier können sie Haltung beweisen. Die einen nehmen somit die Dramatisierung der rechtsextremistischen Gewaltdelikte zum Anlass, erneut ein NPD-Verbot zu fordern, die anderen lehnen diese Lösung ab, weil sie nicht bereit sind, die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Zunächst einmal müssten nämlich alle Verfassungsschutzämter die V-Leute aus den Leitungsfunktionen der NPD abziehen. Einige SPD-regierte Länder haben dies offenbar bereits getan, wie der Berliner Innensenator Erhard Körting (SPD) Ende Februar öffentlich ausplauderte. Körting hatte den Einsatz von V-Leuten in NPD-Vorständen grundsätzlich kritisiert: „Für einen Rechtsstaat gehört es sich nicht, auf dieser Ebene V-Leute zu bezahlen.“ Sie seien immer Diener zweier Herren.

Anfang Mai legten die Innenminister der fünf SPD-geführten Bundesländer eine Materialsammlung vor, mit der die Verfassungsfeindlichkeit der NPD belegt und ein neues Verbotsverfahren begründet werden soll. Allerdings ohne die V-Leute-Thematik zu berücksichtigen. Die unionsregierten Länder verweigern sich bislang vehement dem Schritt, V-Leute aus der NPD abzuziehen. Sie halten einen Verbleib von Spitzeln in der Partei für unerlässlich für die Arbeit des Verfassungsschutzes. Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht, als es 2003 das Verbotsverfahren abbrach, dies damit begründet, dass nicht eindeutig nachvollziehbar sei, ob verfassungsfeindliche Äußerungen nicht durch V-Leute in der Führungs- und Funktionärsebene der NPD getätigt wurden. Kann man daraus nicht schließen, dass es genügen würde, die V-Leute aus der Parteiführung abzuziehen, die Bespitzelung in den Niederungen der Partei aber fortgesetzt werden könnte?

Ein bisschen skurril ist das Bild schon: Der Präsident des Verfassungsschutzes präsentiert den dramatischen Anstieg rechtsextremer Gewalt, behindert aber in gewisser Weise mit seiner Organisation ein erneutes NPD-Verbotsverfahren. Solange das politische Berlin sich in dieser Frage nicht einig wird, bleiben die Forderungen eines NPD-Verbots eben nur dies: ein Ritual, mit dem man im Wahlkampf zeigen will, was man alles zu tun bereit wäre.

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Geschrieben von

Connie Uschtrin

Redakteurin Politik

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