Schrott nicht noch vergolden

AKW-Störfälle Nach dem neuerlichen Störfall in Krümmel will Umweltminister Gabriel die Restlaufzeiten der Altmeiler auf jüngere AKWs übertragen – und zieht damit die falsche Konsequenz

Nur zwei Wochen ist es her, dass "Krümmel" wieder ans Netz gegangen ist. Zwei Jahre, nachdem das AKW wegen eines Brandes, der sich bis ins Reaktorzentrum hinein auswirkte, hatte abgeschaltet werden müssen. Es ist nützlich, sich an die näheren Umstände zu erinnern. Ein Druck- und Füllstandsabfall beim Kühlwasser war eingetreten, der zur Kernschmelze führen kann, wenn nachsorgende Sicherheitssysteme versagen. 37 Personen kamen damals im Reaktorzentrum zusammen, weil sie offenbar eine ernste Gefahr befürchteten. Aber das Personal erwies sich als überfordert: Einer ausdrücklichen Anweisung entgegen wurde der Meiler fahrlässig schnell heruntergefahren.

Diese Umstände waren ein Beleg für das unlösbare Grundproblem der AKW-Technik, auf das Wissenschaftler immer wieder hingewiesen haben: Sie ist so komplex, dass es keine absolute Sicherheit ihrer Beherrschung geben kann. Wenn es dann Missverständnisse beim Personal gibt, zeigt sich, dass die der AKW-Technik beigegebene Sicherheitstechnik die Komplexität erst einmal noch steigert. Und gegen menschliches Versagen ist kein Kraut gewachsen.

Dies muss man vor Augen haben, wenn man hört, wie damals schon und jetzt wieder auf Störfälle reagiert wird. Schon vor zwei Jahren warf sich Bundesumweltminister Gabriel in die Brust und forderte das Aus für "ältere Kraftwerke", wie "Krümmel" in der Tat eines ist. Aber was hat das Komplexitätsproblem mit dem Alter der Anlage zu tun? Und haben neuere Anlagen ein weniger versagensanfälliges Personal als ältere? Jetzt, wo es "Probleme mit einem Maschinentransformator" gegeben haben soll, ist Gabriel mit derselben Forderung zur Stelle. Und er spitzt sie noch zu, nämlich in der verkehrten Richtung: Damit man, sagt er, die acht ältesten Kraftwerke sofort abschalten kann, soll die Übertragung ihrer Laufzeit auf jüngere Anlagen gesetzlich vorgeschrieben werden.

Die Forderung klingt entschieden, in Wahrheit weicht aber Gabriel noch mehr vor der Atomindustrie zurück als bisher. Bisher ist im Gesetz nur von der Möglichkeit einer Übertragung auf jüngere Anlagen die Rede. Aus ihr eine Vorschrift zu machen, bedeutet, dass die Konzerne für die Existenz der älteren Anlagen noch belohnt werden: Deren Wert soll trotz der Schrottreife der Anlagen auf jeden Fall erhalten bleiben. Dabei müsste man das Gesetz dahingehend verschärfen, dass die Wertübertragungsmöglichkeit definitiv ausgeschlossen wird, damit neuere Anlagen nicht noch eine Zusatzlaufzeit erhalten, sondern so schnell wie möglich vom Netz gehen. Wegen erwiesener Unbeherrschbarkeit der AKW-Technik. Welches Verdienst haben denn die Konzerne, dass man ihnen so entgegenkommt? Kein Verdienst, siehe "Krümmel". Nur Macht.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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