Die Kapelle spielt wieder auf

Arbeit Die Zeiten der neoliberalen Mietmäuler sind keineswegs vorbei: Arbeitgeber und so genannte Experten empfehlen Lohnkürzungen als Krisenmedizin

Als Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt dieser Tage ganz unverbindlich, dafür aber umso lauter über Lohnkürzungen zur Rettung der krisengeschüttelten Wirtschaft nachdachte, war der Geist aus der Flasche. Lange Zeit hatten sich die "Experten" in den arbeitgebernahen Wirtschaftsforschungsinstituten in der öffentlichen Diskussion rar gemacht. Die Krise hat Deutschland erreicht und selbst ihre alten Fahrensleute nahmen plötzlich so seltsame Worte wie "Konjunkturpaket" in den Mund, ohne dabei das Mantra der selbstregulierenden Märkte zu beten. Wer aber dachte, dass sich die neoliberalen Mietmäuler bis zu den Bundestagswahlen in die innere Emigration begeben hätten, muss sich nun eines Besseren belehren lassen. Angestachelt durch Hundts Steilvorlage ließen nun die "Experten" dreier arbeitgebernaher Institute verkünden, mit welchen Mitteln die deutsche Wirtschaft in Zeiten der Krise zu retten sei – Lohnkürzungen und längere Arbeitszeiten.

Man darf Dieter Hundt eigentlich keinen Vorwurf machen. Er ist Funktionär und vertritt die Interessen der in seinem Verband vertretenen Unternehmer. Es wäre ungewöhnlich, wenn er die Krise nicht nutzen würde, um an den Stellschrauben zu drehen, die den Profit der Unternehmer – auch auf Kosten der Allgemeinheit – mehren. In seiner Funktion als Arbeitgebervertreter denkt und argumentiert er nun einmal betriebs- und nicht gesamtwirtschaftlich.

Wer die Kapelle zahlt ...

Gesamtwirtschaftliches Denken ist jedoch auch sehr vielen deutschen Ökonomen fremd. Auch Hundts Sekundanten in der neu aufgelegten Lohnkostendiskussion, die aus den Wirtschaftsforschungsinstituten IW, RWI und IZA kommen, gehören zu diesem Schlag. Das wundert nicht, schließlich werden IW und IZA von der deutschen Wirtschaft finanziert, und auch das staatlich finanzierte RWI gilt als besonders arbeitgebernah. Wer die Kapelle zahlt, bestimmt auch, welche Musik gespielt wird.

Die "Experten" dieser Institute argumentieren nun, dass in der Krise nur ein Lohnverzicht vor Entlassungen schütze, da billigere Arbeit die Gewinnsituation in den Unternehmen verbessere. Auch als die Unternehmen monatlich neue Rekordergebnisse verkündeten, propagierten diese Institute bereits den Lohnverzicht als Königsweg zur Glückseligkeit. Eigentlich kann passieren, was will – die Standardantwort dieser "Experten" lautet stets, mit Lohnverzicht und flexibleren Arbeitszeiten ginge es der Wirtschaft, und somit der Allgemeinheit besser.

Volkswirtschaftlich grotesk

Ist diese Argumentation schon in normalen Zeiten volkswirtschaftlich unsinnig, so klingt sie in der Krise geradezu grotesk. In der Industrie herrscht vieler Ort Kurzarbeit vor – längere Arbeitszeiten sind sicher keine sinnvolle Antwort auf zu wenig Arbeit. Kurzarbeit bedeutet aber auch, dass letztendlich der Staat den Arbeitgebern einen Teil der Lohnkosten abnimmt. Die Arbeitnehmer müssen dadurch schon jetzt mit sinkenden Löhnen fertig werden. Wer soll nun aber die schönen Produkte deutscher Hersteller kaufen, wenn weltweit die Nachfrage zurückgeht?

Es mag betriebswirtschaftlich ja erstrebenswert sein, in einem Land mit höchsten Produktivitätskennzahlen zu Kosten fertigen zu können, die ansonsten nur in Schwellenländern realisierbar wären. Volkswirtschaftlich ist dies jedoch kontraproduktiv. Die deutsche Volkswirtschaft besteht nicht nur aus Maschinenbauern. Handwerker, Einzelhändler, und Gastronomen setzen nicht nur wesentlich mehr um, als die Exportweltmeister der Industrie. Sie beschäftigen auch wesentlich mehr Menschen. Wenn deren potentielle Kunden aber immer weniger Geld in der Tasche haben, setzt sich letztlich nur eine Abwärtsspirale in Gang, die verheerende Folgen hat.

Das Land krankt nicht an zu hohen Lohnkosten, es krankt an zu niedrigen Löhnen und einer falschen Wirtschafts- und Sozialpolitik. Es krankt vor allem auch an den Einflüsterungen vermeintlich neutraler "Experten", denen die Politik nur allzu gerne Glauben schenkt. Noch klingen die Stimmen derer, die dem gemeinen Volk wieder einmal empfehlen, den Gürtel doch enger zu schnallen, schrill. Nach der Bundestagswahl wird man sich wohl wieder an sie gewöhnen müssen.

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