Was uns nicht umbringt, macht uns stärker

Schweinegrippe Deutschland steht vor einem medizinischen Großversuch, der alle Fragen nach dem Sinn verdrängt. Derweil streiten Bund und Länder um die Kostenaufteilung

Der Begriff „Schweinegrippe“ fiel auf der Sitzung des Deutschen Ethikrates am Donnerstag dieser Woche kein einziges Mal. Möglich, dass das die Räte angesichts ihres Themas, die gerechte Verteilung knapper Ressourcen im Gesundheitssystem, selbst ein bisschen paradox gefunden hätten. Denn während auf der einen Seite akzeptable Kriterien gesucht werden, um das kostbare Basisgut Gesundheit möglichst sinnvoll zu verteilen, bereitet das Land sich auf der anderen Seite auf die gigantischste, teuerste und umstrittenste Impfaktion der Nachkriegsgeschichte vor.

Für 30 Prozent aller Deutschen haben die Länder inzwischen ein Impfserum geordert, das noch gar nicht endgültig ausgetestet ist und erst Ende September zur Verfügung steht. Damit sollen Gruppen, deren Ansteckungsrisiko besonders groß ist – wie medizinisches Personal – oder für die eine Erkrankung dramatische Folgen haben könnte – wie Schwangere oder chronisch Kranke – vorrangig versorgt werden. Per Verordnung wurden die Krankenkassen dazu verdonnert, hierfür die Kosten von mindestens 600 Millionen Euro zu übernehmen, worauf die Kassen ihrerseits sofort mit Beitragserhöhungen gedroht haben.

Da aber jeder Versicherte Anspruch auf die Impfung hat, könnte der Vorrat bald aufgebraucht ein. Deshalb haben sich die Bundesländer darauf verständigt, noch einmal nachzubestellen. Über die Aufteilung dieser Kosten ist zwischen Bund und den Ländern ein veritabler Streit entbrannt. Der kommt kurz vor den Länderwahlen so ungelegen, dass ihn die Gesundheitsminister der Länder erst einmal auf die lange Politikbank geschoben haben.


Der Zwist um die Kostenübernahme lenkt ab von der Frage, wie sinnvoll die Impfung überhaupt ist und wer davon profitiert. Die Ärzteschaft, gibt deren Präsident Wolf-Dietrich Hoppe zu Protokoll, sei immer mehr der Ansicht, dass das Gefahrenpotenzial der Grippe übertrieben werde. Der bisherige Verlauf sei von einer saisonalen Grippewelle nicht zu unterscheiden, dagegen fürchten die Ärzte die unwägbaren Nebenwirkungen der Impfung, die unstreitbar positive Effekte nur für die Pharmaindustrie hat. Auch Gesundheitsministerin Ulla Schmidt scheint nicht sonderlich beunruhigt. Im Gegensatz etwa zu ihrer Kollegin in Spanien rät sie derzeit davon ab, Kinder impfen zu lassen. Dennoch hält sie an der Massenimpfung fest, weil die Experten für den Winter eine neue Epidemiewelle mit schwererer Krankheitsausprägung vorhersagen.

Gute Nachrichten gibt es dagegen für die viel geprügelte, weil angeblich kostentreibende Generation 60+: Die scheint nämlich resistent gegen den Schweinegrippeerreger zu sein und erkrankt nur äußerst selten. Von einer Impfung wird deshalb abgeraten. Wie heißt es doch so schön: Was uns nicht umbringt, macht uns stärker.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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