Merkels Betroffenheit

Insolvenz Wenn die Regierung sich nun um die Arcandor-Mitarbeiter sorgt, so ist dies heuchlerisch. Der Staat wollte eine Rettung nicht

Wenn ein Großkonzern mit fast 90.000 Mitarbeitern in die Insolvenz geht, so ist dies ein Politikum – nicht nur in Zeiten des Wahlkampfs. Die Bundesregierung hatte es stets abgelehnt, Steuergelder für Stabilisierungs- und Restrukturierungsmaßnahmen des Essener Handels- und Touristikkonzerns zur Verfügung zu stellen. Auch eine Planinsolvenz, bei der das Unternehmen sich selbst in Eigenregie hätte abwickeln können, war niemals eine ernsthafte Handlungsoption. Die Gläubiger entschieden sich lieber für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens.

Arcandor wird nun als Resterampe ausgeschlachtet. Den Zuschlag für die Vermögenswerte in der Insolvenzmasse erhält jeweils der Meistbietende. Bieter sind dabei nicht verpflichtet, weniger rentable Sparten zu erhalten, Arbeitsverträge weiterzuführen oder gar ein gesamtwirtschaftlich sinnvolles Konzept vorzulegen. Wenn Politiker sich nun vor Mikrofonen und Kameras mit vollendeter Betroffenheitsmiene Sorgen um die Mitarbeiter des Konzerns machen, so ist dies geheuchelt. Wenn die Kanzlerin höchstpersönlich bekundet, dass sie „kein Verständnis“ für die 15 Millionen Euro Abfindung des Interimsvorstandes Eick habe und nun „überlegen [wolle], was man da machen kann“, so ist dies scheinheilig. Die Politik hatte die Stellschrauben in der Hand – sie hat sich allerdings im Namen der Ordnungspolitik entschieden, nichts für die Mitarbeiter, und auch nichts gegen „unanständige“ Abfindungen zu unternehmen.

Der Staat als Gläubiger

Die tonangebenden Gläubigerbanken der Arcandor AG sind die Royal Bank of Scotland, die Commerzbank und die BayernLB. Die Commerzbank ist teilverstaatlicht und die BayernLB eine lupenreine Staatsbank. Wenn es also heißt, dass die Gläubiger sich auf kein Konzept einigen konnten, um Arcandor unter Berücksichtigung der Interessen der Allgemeinheit abzuwickeln, so heißt dies auch, dass der Staat in seiner Rolle als Gläubiger dies nicht wollte.

Großaktionär und Gläubiger der Arcandor AG ist die Privatbank Sal. Oppenheim. Es war nie ein großes Geheimnis, dass die relativ kleine Privatbank eine Insolvenz des Handelsriesen nicht wird überleben können. Als Arcandor fiel, zog der Konzern Sal. Oppenheim mit sich ins Verderben. Heute gilt es als beschlossene Sache, dass Sal. Oppenheim eine luxuriöse Außenstelle der Deutschen Bank wird. Merkels Freund Josef Ackermann gehört damit zu den Gewinnern der Arcandor-Pleite. Vielleicht hätte Karl-Gerhard Eick auch einmal seinen Geburtstag im Kanzleramt feiern sollen – mit staatlichen Interventionen hätte nicht nur Arcandor, sondern auch Sal. Oppenheim saniert werden können.

Buhmann Eick

Karl-Gerhard Eick ist nun der große Buhmann. 15 Millionen Euro Abfindung für ein halbes Jahr Arbeit – den Arcandor-Beschäftigten, die nun fürchten, Lohnkürzungen schlucken zu müssen oder gar ohne Abfindung entlassen zu werden, muss dies die Zornesröte ins Gesicht treiben. Eicks großzügiges Angebot, ein Drittel seiner Abfindung zur Abfederung sozialer Härtefälle im Konzern zu spenden, ändert daran nichts. Entrüstungsstürme sind hier jedoch fehl am Platz – Eicks Abfindung wird vertragsgemäß nicht aus der Insolvenzmasse, sondern vom Großaktionär Sal. Oppenheim gezahlt. Offensichtlich kaufte man sich den ehemaligen Telekom-Manager aufgrund seiner guten Netzwerke in die Politik ein. Eick sollte dafür sorgen, dass Arcandor – und somit indirekt auch Sal. Oppenheim – Staatshilfen bekommen. Dabei ist er jedoch kläglich gescheitert, offensichtlich hatten andere bessere Netzwerke zu den Spitzen der Politik.

Der Umstand, dass Kanzlerin Merkel nun – vier Wochen vor der Wahl – damit anfangen will, sich zu überlegen, was man gegen Managerabfindungen im achtstelligen Bereich machen kann, entbehrt freilich nicht der Komik. In ihrer vierjährigen Amtszeit hat die Regentin nahezu alles in ihrer Macht stehende getan, um genau dies zu verhindern. Immer wieder torpedierte Merkel Pläne, Managergehälter und -abfindungen schärfer zu regulieren. Wenn sie nun Krokodilstränen vergießt, so ist dies wohl eher dem Wahlkampf geschuldet.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden