In der Atempause

Attac Das Netzwerk hat vor zehn Jahren die Globalisierungskritik in Deutschland ­institutionalisiert. Jetzt steckt es in Schwierigkeiten

Wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass Attac einmal so sehr zu den Rechthabern gehören würde. In der Finanzkrise bekam das Netzwerk indirekt von höchster Regierungsstelle bescheinigt, dass es immer schon für das Richtige war. Auf allen politischen Ebenen wurde plötzlich eine strenge Kontrolle der Finanzmärkte gefordert, für die Attac bereits seit vielen Jahren plädiert hatte. Doch hat es dem Bündnis etwas genützt? Vielleicht hat es ihm sogar geschadet. Denn wer braucht noch Attac, wenn sogar die Bundesregierung zumindest rhetorisch deren Forderungen in den Schatten stellt?

Als Attac Deutschland sich im Januar 2000 gründete, hieß es noch „Netzwerk für die demokratische Kontrolle der internationalen Finanzmärkte“ und war eine Plattform von mehreren kleinen und einigen etwas größeren Gruppierungen: kirchliche wie Pax Christi waren dabei, entwicklungspolitische wie der Dachverband „Venro“ und solche wie der BUND, die Jusos und die Stiftung Umverteilen. Es ging dem Netzwerk am Anfang in erster Linie um eine Reform des internationalen Finanzsystems, Attac Deutschland war damit ein Ableger von Attac Frankreich, das sich bereits zwei Jahre zuvor gegründet hatte – initiiert durch den Aufruf von Ignacio Ramonet in Le Monde diplomatique, eine Nichtregierungsorganisation zur Durchsetzung einer Steuer auf spekulative Börsengeschäfte, die so genannte Tobin-Steuer, zu gründen.

Initialzündung Seattle

Vor zehn Jahren wussten viele noch nicht, was mit Globalisierung genau gemeint ist, geschweige denn, dass man diese kritisieren könnte. Bald wurde Attac zu der globalisierungskritischen Bewegung, die gegen Privatisierung und neoliberale Politik auf globaler Ebene eben auch global vernetzt kämpfte. Eine Initialzündung gab der Protest gegen den G8-Gipfel in Genua 2001, der die Wachstumskurve der Mitgliederzahlen stark ansteigen ließ. Schon Ende 2002 begrüßte Attac Deutschland sein zehntausendstes Mitglied. Damals wurde heftig diskutiert, ob man sich als Anti-Globalisierungsbewegung, als Globalisierungsgegner oder eben -kritiker versteht. Man einigte sich auf das Label „Globalisierungskritiker“, auch um sich abzuheben von den „Globalisierungsgegnern“ aus dem rechtsextremen Spektrum, die man auf Abstand halten wollte.

Dass Attac zwar politisch links auftrat, sich aber offen für fast alle und jeden zeigte und rasant wuchs, machte einige Linke misstrauisch: Ihnen war Attac zu reformerisch, die Kapitalismuskritik und der gesellschaftliche Veränderungswille waren ihnen nicht radikal genug. Dann passte auch jemand wie der einstige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler ins „Personaltableau“ der Attacies und heute üben längst auch andere CDU-Mitglieder Globalisierungskritik. Ist Attac trotzdem noch irgendwie eine linke Bewegung? Nicht einmal Mitgründer Werner Rätz scheint es genau zu wissen, aber er sieht in Attac immerhin einen Mutmacher: „Attac war die erste größere Neugründung in Deutschland, die nach dem Niedergang und Verschwinden von linken Gruppen in den neunziger Jahren zeigen konnte: Man kann als mehr oder weniger linke Gruppierung erfolgreich sein.“

Das verflixte siebte Jahr

Im verflixten siebten Jahr von Attac fand der G8-Gipfel in Heiligendamm statt. Ein Höhepunkt des Protests, der der Anti-Globalisierungsbewegung in Deutschland einen großen Schub verschaffte. Doch Heiligendamm endete auch in einem Desaster für das Bündnis. Äußerungen von Peter Wahl, bis dahin eine der führenden Stimmen von Attac, der sich schon während des Protests von „gewaltbereiten Autonomen“ distanzierte und sagte, er wolle diese nicht mehr auf der Veranstaltung sehen, führten zu einer Spaltung des Netzwerks. Auch solche, die Militanz als Mittel ablehnten, kritisierten die Äußerungen. Peter Wahl hat sich inzwischen aus dem Führungskreis von Attac zurückgezogen. Seit Heiligendamm setzte eine Atempause bei Attac ein und bis heute hat das Bündnis nicht mehr so recht Fahrt aufgenommen.

Auch andere prominente Mitglieder verlegen mittlerweile ihre politische Arbeit in andere Bereiche – etwa in die Parlamente. Und die Parteien schmücken sich mit „Attacies“. So sitzt die ehemalige Attac-Geschäftsführerin Sabine Leidig nun für die Linke im Bundestag und Sven Giegold, Gründungsmitglied und wichtiger finanzpolitischer Kopf des Netzwerkes, für die Grünen im Europaparlament.

Und was ist nun mit der Regulierung der Finanzmärkte? Bis heute ist außer Absichtserklärungen nicht viel geschehen, spekuliert wird weiter und immer noch herrschen dieselben Methoden an der Börse wie vor der Krise. Attac dringt einfach nicht durch. Das Netzwerk sitzt immer noch in den Fängen der Umarmung durch das Regierungspersonal und wird nicht gehört. Jutta Sundermann vom Attac-Koordinierungskreis beklagt, dass es nicht immer leicht ist, die Menschen zu erreichen: „In Krisenzeiten laufen die Leute nicht sofort auf die Straße, um zu demonstrieren und sich zu engagieren, weil viele hoffen, dass es bei ihnen nicht voll einschlägt.“

Ein Identitätsproblem

Dass es durchaus viele gibt, die kein „Weiter so“ wollen, zeigte der von Attac im März 2009 veranstaltete Kongress unter dem Titel „Ende des Kapitalismus?“ mit 2.500 Besuchern. Er brachte viele linke Denker und Streiter zusammen, die sich seit eh und je Gedanken darüber machen, wie eine andere Gesellschaft aussehen könnte. Der Bedarf, angesichts der Krise Alternativen zu diskutieren, war groß. Attac hat also das Poten­zial, Menschen von Zeit zu Zeit zusammenzubringen. Doch auch die Kraft, viele neue Menschen für den politischen Protest zu mobilisieren?

Attac hat ein Identitätsproblem. Es ist mit über 22.000 Mitgliedern zu einer großen Organisation geworden, in der an vielen Fronten gekämpft wird: Grundeinkommen, Bildung, Ökologie, Klima, Migranten, überall sind sie dabei, aber überall nur als Splittergruppe. Dabei ist es Vorteil und Verhängnis zugleich, dass das Netzwerk sich keiner strengen Organisationsstruktur fügt und weder Programm noch Satzung wie eine Partei besitzt, die genauer festlegen, wohin es gehen soll.

Eigentlich müsste sich Attac offensiv mit der Politik der neuen schwarz-gelben Bundesregierung auseinandersetzen. Doch so richtig in Gang gekommen ist die Debatte bisher nicht. Die Koali­tion rede anders als sie handle, sagt Werner Rätz, der in Attac für ein bedingungsloses Grundeinkommen streitet. „Sie macht zwar eine offen neoliberale Politik, verkauft sie aber als Sozialstaatspolitik. Da müssen wir erst noch richtig Tritt fassen und in die Konfrontation kommen.“

Eine neue große Kampagne steht an, ein „Suchprozess“ habe bereits begonnen. Und auch die Wahl der Mittel muss das Netzwerk erst noch diskutieren. „Ich hielte es für richtig, dass wir in den Aktionsformen noch etwas provokanter und härter auftreten würden“, sagt Rätz. Das würden aber nicht alle bei Attac so sehen. Es gebe auch solche, die eher das Gespräch mit Verantwortlichen suchen. Rätz gehört nicht zu ihnen. „Ich persönlich bin eher gegen diese Art von Politikberatung, weil ich denke, dass die Bundesregierung nicht auf uns hört.“

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Geschrieben von

Connie Uschtrin

Redakteurin Politik

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