Nach dem Ende des mühsamen und langwierigen Gezerres um die Gesundheitsreform, dem wichtigsten innenpolitischen Vorhaben von Barack Obama, versucht der US-Präsident jetzt, auf dem schwierigen Terrain der Atomwaffen-abrüstung außenpolitische Erfolge zu erzielen. Der Veröffentlichung einer „defensiveren” neuen US-Nukleardoktrin Anfang des Monats folgten die Unterzeichnung des START-Nachfolgevertrages mit Russland und schließlich in dieser Woche der Washingtoner Gipfel zur Nuklearsicherheit. Obama will die Hoffnungen und Erwartungen erfüllen, die er mit seiner umjubelten Prager Rede vor einem Jahr geweckt hat. Als erster US-Präsident bekannte er sich am 5. April 2009 zur Vision einer atomwaffenfreien Welt und benannte zugleich konkrete Schri
Politik : Die Bomben-Idee
Obama kann sich die Vision einer atomwaffenfreien Welt billig leisten. Bald werden konventionelle US-Raketen jeden Punkt der Erde erreichen können
Von
Andreas Zumach
hritte, um dieses Ziel zu erreichen. Er ließ keinen Zweifel, dass er den politischen Zusammenhang zwischen den unerfüllten Abrüstungsverpflichtungen der fünf offiziellen Atomwaffenmächte (USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien) und den mutmaßlichen oder tatsächlichen Nuklearambitionen Irans, Nordkoreas und anderer Staaten verstanden habe.Doch die Mühen der Ebene waren noch größer, als sich Obama das vorgestellt haben mag. Schon der erste Schritt seines Fahrplans, das START-Nachfolgeabkommen mit Russland, gelang nur mit großer Verzögerung. Und um den Preis einer Zweideutigkeit beim Streitpunkt Raketenabwehr, an der die Ratifizierung des Abkommens im US-Kongress scheitern könnte. Zudem ist der Umfang der mit Moskau vereinbarten Reduzierung strategischer Waffensysteme zu gering, um beim Rest der Welt als überzeugendes Signal für Abrüstungsbereitschaft ohne Wenn und Aber aufgenommen zu werden.Ein solches Signal – besonders an die Adresse Irans, Nordkoreas und anderer Staaten mit eigenen Atomprogrammen – wollte Obama mit der neuen Nukleardoktrin der USA senden. Doch hier bremsten ihn die Hardliner in der eigenen Administration aus. Die offensive Präventivschlag-Drohung der Bush-Ära kommt in der neuen Doktrin zwar nicht mehr vor. Doch der Präsident konnte sein Ziel nicht durchsetzen, die Funktion des eigenen Kernwaffen-Arsenals künftig „ausschließlich“ auf die Abschreckung atomarer Angriffe anderer Staaten zu begrenzen. Mit der stattdessen in der neuen Doktrin enthalten Formulierung „vorrangige Rolle” halten sich die USA weiterhin alle anderen Optionen offen.Das Gleiche gilt für den erstmals seit 1945 von einer US-Regierung ausgesprochen Verzicht auf den Ersteinsatz atomarer Waffen. Leider gilt diese so genannte „negative Sicherheitsgarantie” ausdrücklich nicht gegenüber Staaten, die den Atomwaffensperrvertrag (NPT) nicht ratifiziert haben oder die sich – obwohl Vertragsstaaten – nicht an dessen Bestimmungen halten. Doch gerade gegenüber diesen Ländern – derzeit Nordkorea und Iran, künftig vielleicht auch Ägypten, Syrien oder andere – wären atomare Nichtangriffsgarantien der USA von größter Bedeutung. Nur so ließen sich die Befürworter eigener Atomwaffen in diesen Ländern schwächen. Aus demselben Grund war es auch ein Fehler der Obama-Administration, ausgerechnet Iran, Nordkorea und andere Problemstaaten nicht zum Washingtoner Gipfel über Nuklearsicherheit einzuladen.So ist zu befürchten, dass die Signale, die Obama mit den ersten drei Schritten auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt aussenden wollte, zu schwach und zu widersprüchlich sind, um in Hauptstädten wie Teheran oder Pjöngjang positive Reaktionen auszulösen oder gar eine veränderte Politik zu bewirken. Zumal der Präsident einen wichtigen vierten Schritt, den er in Aussicht gestallt hatte, sang-und klanglos unterließ. Bei seiner Prager Rede hatte Obama die Zusage gemacht, dass die USA während seines ersten Amtsjahres endlich das Abkommen für einen umfassenden atomaren Teststop ratifizieren würden. Davon ist inzwischen keine Rede mehr. Die Republikaner im US-Senat verweigern Obama die zur Ratifikation erforderlichen Stimmen.Erschwerend kommt hinzu, dass die zumindest rhetorische Deeskalation bei der US-Atomwaffendoktrin von der Obama-Administration kompensiert wurde durch die Ankündigung einer, mit massiver Aufrüstung verbundenen, neuen konventionellen Kriegsführungstrategie – des global prompt strike. In wenigen Jahren wollen die Vereinigten Staaten in der Lage sein, von ihrem eigenen Territorium aus jedes Ziel auf der Erde innerhalb von zehn Minuten mit superschnellen, hochpräzisen konventionellen Waffen zu treffen und zu zerstören. Auf diese Weise will Washington künftige Konflikte „unterhalb der atomaren Schwelle" halten. Das ist eine neue Strategie der globalen konventionellen Kriegsführung mit unabsehbaren Folgen. Sie wird das Gefühl der Bedrohung bei Amerikas Gegnern stärken. Und damit auch den Wunsch, sich durch den Besitz von Atomwaffen unangreifbar zu machen.Nicht nur für die Obama-Administration und andere Regierungen, auch für alle Friedensorganisationen, die sich seit Jahren für eine atomwaffenfreie Welt engagieren, ist nun ein Erfolg bei der New Yorker Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag im Mai der nächste wichtige Zwischenschritt. Allerdings: Vor allem die Entscheidungen, die der US-Präsident bisher getroffen hat, reichen nicht, sich darauf schon jetzt viel Hoffnungen zu machen.