„Frau Merkel", hebt der geschätzte Kollege D. von der Frankfurter Rundschau an, „nachdem Ihr letztes Machtwort an die Unions-Kollegen wirkungslos verpuffte, hat sich Ihre Skepsis gegenüber einer Machtwort-Politik sicherlich bestätigt?“ Die Fragen des Kollegen D. sind wirklich manchmal sehr dialektisch. Merkel lächelt, was sonst: „Die Macht, oder die Gestaltungsmacht, die mir gegeben ist, spiegelt sich natürlich in jedem meiner Worte“, erwidert sie und erntet die ersten Lacher. Zur sogenannten „Sommer-Pressekonferenz“ ist die Kanzlerin im granitgrauen Würfel der Bundespressekonferenz erschienen – einerseits ein Routine-Termin. Andererseits meldeten die Nachrichtenagenturen morgens, dass Schwarz-Gelb seit Beginn de
der Forsa-Messungen für den Stern im Jahr 1986 nicht so schlechte Umfragewerte gehabt hat. 34 Prozent für CDU, CSU und FDP insgesamt.Doch spiegeln sich solche Zustimmungswerte nicht im Gesicht der Kanzlerin, die sich hell gekleidet und betont munter vor der Sommerpause den Fragen der zahlreich erschienenen Hauptstadtpresse stellt. Die Klimaanlagen arbeiten tapfer gegen die vielfache Körperwärme im voll besetzten Saal an. Kollege H. vom freien Journalistenbüro fragt, ob Merkel sich nach 20 Jahren in der Politik womöglich vom Ratschlag des zurücktretenden Hamburger Bürgermeisters Ole von Beust inspirieren lassen wolle, „auch mal was anderes zu machen“? Nun, sie habe zwölf Jahre in der Akademie der Wissenschaften gearbeitet und kenne die Arbeitswelt, sagt Merkel. „Im Augenblick können Sie ganz fest davon ausgehen, dass Sie mich nach den Ferien wiedersehen.“ Wieder Lacher.Geradezu befreite Lacher. Es klingt fast, als seien die Journalisten erleichtert, dass die Kanzlerin angesichts der wahrhaft miserablen Lage der Koalition dennoch die Gelegenheit zur Heiterkeit bietet. Gilt die Bundespressekonferenz, die Berlin-Mitte-Journaille nicht als größte Ansammlung von Zynismus auf zwei Quadratkilometern in Mitteleuropa? Schreiben dieselben Leute denn nicht tagtäglich die Gründe auf, warum diese Regierung so rasant und unerbittlich an Vertrauen verliert? Im Saal aber herrscht Verbindlichkeit, fast Harmoniebedürfnis.Gut eineinhalb Stunden bleibt Merkel. Die meisten Fragen werden so gestellt, dass die Kanzlerin darauf surfen kann wie auf einer Welle. Sie brilliert nicht, entfaltet nicht den Witz, der ihr jahrelang von Leuten zugeschrieben wurde (zur Zeit hört man diese weniger), die sie aus kleinerer Runde kennen. Aber sie rutscht auch nicht aus, ist um Erklärungen und Argumente nicht verlegen. An einer Stelle holt sie sogar aus: „Nachdem hier noch niemand zur Gesundheitsreform gefragt hat...“ – und spult die Textbausteine ab, wonach nur die von der Koalition beschlossene Reform die medizinische Versorgung der Menschen in einer alternden Gesellschaft sichere. Es hebt sich spontan kein Arm. Keiner fragt, warum die Anhebung der Kassenbeiträge plus Kopfpauschale dazu der einzige Weg sein sollte.Der Kollege von der ostdeutschen Zeitung fragt, ob denn die Streichung des Elterngeldes für Arbeitslose auf Hartz IV noch verhandelbar sei. Nein, sagt sie, das Elterngeld solle ja als reine Lohnersatzleistung ausgestaltet sein. Arbeitslose haben demnach keinen Anspruch mehr. „Da sehe ich keinen Verhandlungsspielraum.“ Die einzig logische Nachfrage steht eigentlich bereits gemeißelt im Raum: Warum bekommt die nicht-lohnarbeitende Zahnarztgattin ihr Elterngeld dann weiterhin? Doch niemand hakt nach. (Nein, auch nicht die Autorin dieses Textes. Sie bewahrt die eine ihr zustehende Frage für den Untersuchungsausschuss Kundus auf. Ob es Merkel gelungen sei, ihren von der Opposition verlangten Auftritt dort wegzuverhandeln, und ob dieser sonst öffenlich sein werde? Das war zu unsachlich. Merkel reagiert abwehrend: Sie habe noch keine Einladung erhalten, und sie werde dort natürlich unter den Bedingungen auftreten, die der Untersuchungsausschuss vorgebe.)Das Problem mit dem Elterngeld aber hat möglicherweise einfach keiner auf dem Zettel. Der Journalist Tom Schimmeck hat in seinem jüngsten Werk "Am besten nichts Neues - Medien, Macht und Meinungsmache" wortgewaltig und sehr offen darüber geschrieben, wie die der Marktdruck und die Beschleunigung des Medienbetriebs die „Vierte Gewalt“ faktisch außer Kraft setzen. Doch hat von den vielen gut ausgebildeten und oft mit sehr spitzer Feder schreibenden Leuten im Saal wirklich niemand vorher noch einmal nachgeschaut, was die großen Haken an Sparpaket und Gesundheitsreform sind, die nach der Sommerpause ins Gesetzgebungsverfahren geschickt werden?Die Kollegin fragt, ob es in dieser Legislaturperiode eine Steuersenkung geben wird. Merkel erläutert, dass sie schon mehrfach gemahnt worden sei: „Kannst du nicht mal aufhören, von der Krise zu reden“, habe man ihr gesagt, doch „natürlich werden wir in den nächsten Jahren erhebliche finanzielle Verteilungskämpfe zwischen Bund, Ländern und Kommunen bekommen“, weil zu wenig Geld da sei. „Das werden ganz ganz schwierig Jahre, weil der Mensch auf der kommunalen Ebene lebt“ – wo die Kürzungen für alle spürbar werden. Die Kollegin setzt nach. Ob das also heiße, dass es keine Steuersenkungen gebe? „Ich kann immer nur von Schritt zu Schritt denken“, sagt Merkel.Innerhalb der schwarz-gelben Logik ist die Frage mit den Steuersenkungen natürlich eine kritische und betrifft die enorme Spannung in der vermeintlichen Wunschkoalition. Der Versuch aber, Merkel mit Fragen nach Querelen in ihrem Kabinett aufs Kreuz zu legen, geht notwendigerweise auf Kosten der Debatte über Sinn und Unsinn der Kabinettsbeschlüsse, die dasselbe Kabinett immerhin schon getroffen hat.Ende Juni erst schickte der Vorstand der Bundespressekonferenz eine Mail an die Mitglieder. Es hatte offensichtlich eine sehr langweilige Sitzung mit den Sprechern der Ministerien gegeben, zu der zu wenige Kollegen erschienen waren. „Das kann auch daran gelegen haben, dass Sie mit Ihrer Frage-Expertise gefehlt haben“, bemerkte der Vorstand recht sarkastisch. „So lange sich jeder auf den anderen verlässt, laufen wir Gefahr, ein blamables Bild abzugeben“.Die Kanzlerin wird entspannt ins Kanzleramt zurückgerollt sein. Schon 45 Minuten später musste ja Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán mit militärischen Ehren in Empfang genommen werden. Ein sicherlich ebenso anspruchsvoller Termin.