"Wenn die Katze ein Pferd wäre“, wurde Heiner Geißler unlängst zitiert, „könnte man die Bäume hochreiten.“ Es bleibt dem Stuttgart-21-Mediator dieser Tage nicht viel mehr übrig, als die rhetorische Flucht ins Ungefähre anzutreten. Die Schlichtung begann mit Missverständnissen. Wer wann unter welchen Bedingungen mit wem redet, ist zum großen Zankapfel geworden. Die „Schlichtung“ steht auf dem Spiel. Und wohin die Gespräche führen sollen, bleibt ungewiss.
Die Verweigerung des Baustopps durch Bahnchef Rüdiger Grube ist nicht nur Ausdruck betonköpfigen Denkens. Sie ist Strategie, ein Mittel zum Zeitgewinn. Und sie zeigt, was die Freunde des milliardenschweren Bahnhofsprojektes von jenen halten, denen
en, denen sie das demonstrative Angebot zum Gespräch erst machten. Die Abneigung gegenüber den Protestierenden dringt nicht nur in der Klage durch, das hartnäckige Anrennen gegen den Bahnhofsneubau könne zur technologischen Fortschrittsbremse des ganzen Landes werden. Gern wird auch einmal die rote Karte gezogen, etwa wenn CDU-Ministerpräsident Stefan Mappus gegen den „nicht unerheblichen Teil von Berufsdemonstranten“ ätzt. Oder sein Generalsekretär Thomas Strobl von „linksextremistischen Kräften“ spricht, „die hier ihr Süppchen kochen“.Gemünzt ist das nicht zuletzt auf zwei Männer, die der Bewegung gegen Stuttgart 21 eine Stimme gegeben haben: als Sprecher des Aktionsbündnisses und der Parkschützer. Gangolf Stocker und Matthias von Herrmann sind dabei nicht nur Gesichter des Stuttgarter Bürger-Aufstandes. Der 66-Jährige Kunstmaler und der 37-jährige PR-Mensch – sie sind Prototypen zweier Protestkulturen. Der aus der Linken kommende Stocker, der seit 15 Jahren gegen das Milliardenprojekt kämpft. Und der Esslinger Bürgersohn, der bei Greenpeace das Handwerk des Spektakels gelernt hat.Nein sagen, dranbleibenAls Stocker 1994 die Initiative „Leben in Stuttgart“ gründete, war das Bauprojekt noch kein bundespolitisches Symbol. Das hat sich inzwischen geändert – nicht zuletzt dank Stockers Hartnäckigkeit. Der gelernte Vermessungstechniker hätte aufgeben können, als der Stuttgarter Gemeinderat vor ein paar Jahren das erfolgreichste Bürgerbegehren in der Geschichte der Stadt ablehnte, bei dem binnen sechs Wochen fast 62.000 Menschen gegen den Bau unterschrieben hatten. Stocker machte weiter. Und heute ist wieder von einem möglichen Volksentscheid die Rede.Nein sagen, dranbleiben – das hat sich in Stockers Biografie eingeschrieben. Aus einer Offenburger Arbeiterfamilie stammend, verweigerte er den Kriegsdienst. Weil die Kunst zum Leben nicht reichte, suchte er eine Anstellung, fand sie in der Verlagsbranche und wurde Betriebsrat. Jahrelang habe die Firma versucht, ihn wegen seiner Unbequemlichkeit loszuwerden, erzählt Stocker, der zunächst der SPD angehörte, später zur DKP ging und 1995 der PDS beitrat. Für CDU-Generalsekretär Strobl war das der Anlass, von den „Linksextremisten“ zu sprechen, die den Widerstand gegen Stuttgart 21 beeinflussten. Dabei zählt sich Stocker längst zu jenen, die von Parteien nicht mehr viel erwarten. Seit 2009 sitzt er als Parteiloser für die linke Wählergemeinschaft SÖS im Gemeinderat.Als Stocker für das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 zu Jahresbeginn Trainer suchte, die mit den Gegnern des Bahnhofs deeskalierendes Verhalten bei Sitzblockaden einüben, meldete sich auch Matthias von Herrmann. Mit Anzug, Krawatte und randloser Brille sieht der 37-Jährige ein wenig wie der Gegenentwurf zu Stocker aus. Der Spross einer bildungsbürgerlichen Familie arbeitet in der Öffentlichkeitsabteilung einer Firma und betreibt nebenher eine Agentur für Webdesign. Während des Studiums – Politik, Volkswirtschaft und Chemie – engagierte er sich bei Greenpeace und lernte das Handwerk des auf die Medien zugeschnittenen Protests. Repräsentatives Anketten, großgliedrige Ketten aus dem Baumarkt, Wegtragenlassen vor Fernsehkameras: Jeder Zuschauer merke dann sofort, zitiert ihn eine Zeitung, was Sache ist. Als von Herrmann unlängst selbst in den Abendnachrichten auftrat, fand das allerdings nicht bei allen Stuttgart-21-Gegnern Beifall.Kleine KonflikteStocker und von Herrmann haben das gleiche Ziel: Der Bahnhofsbau soll verhindert werden. Doch längst sind auch bei den Projektgegnern kleine Konflikte unübersehbar. Es geht um politische Mandate, um das Maß des Protestes, die Grenzen der Kompromissbereitschaft. Vielleicht auch um Eitelkeiten.Schon einmal hatte Stocker erklärt, dass von Herrmann nicht für alle „Parkschützer“ sprechen könne, da er nur einen kleinen Teil von ihnen repräsentiere, während er, Stocker, für die Gesamtheit spreche. Später unterstellte der Altlinke dem Neubewegten „unverfrorene Hochstapelei“. Von Herrmann, den die Presse schon mal als „Scharfmacher“ bezeichnet, zeigte sich unbeeindruckt. An der Basis der Proteste wurden Sorgen laut. „Sehr schade“, sei „das Gerangel“, heißt es in einem Internetforum. „Bitte keine Spaltungsversuche.“Schon vor der „Schlichtung“ sind so Fragen aufgeworfen, die durch Wortklaubereien (Baustopp oder Bauunterbrechung?) nicht beantwortet werden: Wer darf was in wessen Namen sagen? Oder gar aushandeln? Der größte Vorteil der Bahnhofsgegner, der Bündnischarakter, könnte sich als Nachteil erweisen, wenn Landesregierung und Bahn im Konflikt auf einen eigentlich unmöglichen Kompromiss drängen, die politische Vielfalt der Kritiker so zur Vereinheitlichung zwingen.Im Kampf um Stuttgart 21 wird, wenn es darauf ankommt, die Katze eine Katze sein und das Pferd ein Pferd. Und ob am Ende im Stuttgarter Schlossgarten noch Bäume übrig sein werden, auf denen man hochreiten kann? Ein bisschen hängt das auch von Gangolf Stocker und Matthias von Herrmann ab.