Die richtigen Rückschlüsse

Dresden Vernünftige politische Debatten statt eines Generalverdachtes gegen die antifaschistischen Demonstranten fordert Sascha Vogt nach seinen Erlebnissen in Dresden

Verworren ist die Nachrichtenlage. Und sie passt nicht zu meinen Erfahrungen. Es ist Samstagnachmittag und ich stehe gerade mitten in einer der zahlreichen Blockadepunkte, die den größten Naziaufmarsch Europas in Dresden verhindern soll. Hier wird sich warmgetanzt, es wird heißer Tee ausgeschenkt. Die Polizei beobachtet das bunte Treiben hinter ihren Absperrungen. Dann lese ich die Agenturmeldung: „Heftige Krawalle in Dresden, Beamte werden von ‚Linken‘ mit Steinen beworfen.“ Auch die Berichterstattung am nächsten Tag schlägt einen ähnlichen Ton an. Das was ich mitbekommen habe, ist aber ein ganz anderes Bild: Versagen und Überreaktionen der Polizei und eine Pauschalisierung vereinzelter gewalttätiger Zusammenstöße.

Der Konsens im Bündnis Dresden Nazifrei, an dem wir Jusos beteiligt waren, war von Anfang an klar: Von uns wird keine Gewalt ausgehen. Wir wollen die Nazis friedlich blockieren. Den ganzen Tag war ich an vielen Stellen der Stadt unterwegs. Und nirgends habe ich eine Eskalation durch AntifaschistInnen miterlebt. Wohl aber ein hartes und chaotisches Vorgehen der Polizei. Ein paar Beispiele:


• Ganz zu Beginn beteiligen wir uns an einer angemeldeten Kundgebung an der Marienbrücke. Schnell aber baut die Polizei einen Kessel auf und will offiziell niemanden mehr raus lassen. Begründung: Null. Die meisten Beamten halten sich daran. Aber einige auch nicht und so können wir den Platz wieder verlassen.

• Einige Minuten später versuchen wir, auf die andere Seite des Bahndamms zu kommen. Dort wollen die Nazis aufmarschieren. Der Beamte möchte uns nicht durchlassen. Andere Leute aber lässt er durch. Wir fragen nach einer Begründung. Er erwidert im militärischen Ton: „Polizeiliche Maßnahme!“ Aha. Wir gehen ein paar Meter zurück und nehmen die Straßenbahn. Unbehelligt können wir durchfahren.

• Später berichten andere Jusos vom Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray der Polizei gegen einen friedlichen Protestzug. Der Grund: Sie wollen zu einer angemeldeten Kundgebung. Wer ohne Verletzungen davon kommt, hatte Glück.

• Uns stürmen beim Weg zu einer der Blockaden auf einmal rund 50 PolizistInnen mit Schlagstöcken entgegen. Passiert ist vorher nichts. Sie weichen aber angesichts der Masse von Menschen zurück.

• In Plauen, wohin einige Nazis ausgewichen sind, gibt die Polizei irgendwann selbst zu, die Lage nicht mehr im Griff zu haben. Dafür aber wird ein Protestzug, der gerade auf dem Rückweg zu den Bussen ist von der Polizei aufgehalten. Begründung? Keine.

• Spätabends wird das Büro des Bündnisses von der Polizei gestürmt – mit widersprüchlicher Begründung. Gefahr im Verzug kann es da auch nicht mehr sein, denn die Demos sind vorbei.


Das alles sind subjektive Eindrücke. Aber sie verfestigen sich, wenn man mit vielen anderen spricht, die als DemokratInnen den öffentlichen Raum gegen den braunen Mob verteidigen wollten. Insgesamt ist die Strategie der Polizei gescheitert und sie musste auch scheitern. Wenn am Tag vor den Protesten Kundgebungen sogar des DGB verboten werden und das einzige Ziel ist, Nazis und GegendemonstrantInnen auf unterschiedlichen Seiten des Bahndamms zu halten, dann kann diese Strategie nicht aufgehen. Denn natürlich werden sich aufrechte DemokratInnen nicht verscheuchen lassen und ihr Recht auf Meinungsäußerung einfordern. Und natürlich kann man eine Stadt nicht so kontrollieren, um alles hermetisch abzuriegeln. Wenn man dann aber die fehlende Strategie mit übergroßer Härte kompensiert werden soll, geht der Schuss nach hinten los. Da hilft auch keine unausgewogene Berichterstattung, die alle AntifaschistInnen unter Generalverdacht stellt. Einige JournalistInnen hätten sich besser selbst ein Bild über die Lage vor Ort gemacht.

Doch jetzt muss auch eine politische Debatte über die Ereignisse in Dresden folgen. Es kann nicht sein, dass DemokratInnen Angst haben müssen, sich Nazis in den Weg zu stellen. Nicht die AntifaschistInnen sind das Problem, sondern die Nazis. Das müssen endlich alle demokratischen Parteien verstehen – auch die Union. Und sie müssen die richtigen Rückschlüsse daraus ziehen. Denn auch im nächsten Jahr wird es – für den Fall, dass die Nazis es immer noch nicht verstanden haben – wieder heißen: Dresden Nazifrei!

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