"Wir müssen Utopien vertreten"

Im Gespräch Die Wahlliste der Piratenpartei hat in Bremen mehr Stimmen erhalten als die FDP. Der Bremer Landesvorsitzende Erich Sturm erklärt den Erfolg

Der Freitag: Die Bremer hatten bei der Wahl am Sonntag fünf Stimmen, die sie auf verschiedene Parteilisten und Kandidaten verteilen konnten.

Die Liste der Piratenpartei hat dabei 1,65 Prozent der Stimmen erhalten, die der FDP nur 1,45. Wie erklären Sie sich das?

Erich Sturm: Nun, wir haben keinen Personenwahlkampf geführt, während die FDP auf Direktstimmen für ihre Spitzenkandidaten gesetzt hat. Außerdem denke ich, dass die FDP für ihre Politik im Bund und die Streits in der Opposition abgestraft wurde.

Das bedeutet also, nicht die Piratenpartei ist stark, sondern die FDP ist schwach?

Das habe ich nicht gesagt. Wir haben einiges erreicht, schließlich sind wir aus einer schwierigen Position heraus gestartet: Seit Fukushima tendieren junge Wähler, die am ehesten geneigt sind, die Piraten zu wählen, wieder verstärkt zu den Grünen. Aber die Zahlen zeigen eindeutig, dass unsere Ergebnisse in jenen Gebieten besser sind, in denen wir Erstwähler anschreiben konnten. Leider haben unsere Mittel nicht gerreicht, um alle zu erreichen. Doch dafür ist unser Erfolg schon beachtlich.

Hat der Wechsel Ihres Bundesvorsitzenden Ihnen eher geholfen oder geschadet?

Ach, die Neuwahl hatte in Bremen keinen großen Einfluss. Unsere größte Schwierigkeit ist ja eher, die Leute zu erreichen, die sich nicht im Internet, sondern auf klassische Weise informieren. Und die herkömmlichen Medien hat dieser Wechsel ja kaum interessiert. Viel problematischer war, dass die Polizei kurz vor der Wahl unsere Webseiten lahm gelegt hat, weil auf dem offenen Server, auf dem wir ebenfalls unsere Inhalte ablegen, angeblich Code gefunden wurde, der zu einem Cyber-Angriff auf Atomkraftwerke in Frankreich benutzt werden konnte. Durch die Razzia haben viele geglaubt, dass die Piratenpartei verdächtigt wird, rechtswidrige Inhalte zu verbreiten. Dabei wurde gegen die Partei oder eines unserer Mitglieder nie ermittelt! Unsere Seiten hat die Polizei quasi als Kolletaralschaden mit vom Netz genommen wurden - und uns so eines unseres wichtigsten Kommunikationsmittels beraubt.

Die FDP will sich jetzt stärker als Bürgerrechtspartei profilieren. Haben Sie Sorge, dass die Liberalen Ihnen wieder das Wasser abgraben?

Gar nicht. Die Verteidigung der Bürgerrechte ist ja eines unserer Kernanliegen. Wir müssen das natürlich noch besser an Menschen vermitteln, die nicht so netzaffin sind, aber da mache ich mir keine Sorgen. Viel wichtiger scheint mir zu sein, dass die Piratenpartei noch mehr Anliegen hat als digitale Bürgerrechte, dass wir gesellschaftliche Visionen haben: die bedingungslose Teilhabe aller an der Gesellschaft beispielsweise oder eine Wirtschaft, die Produkte herstellt, die zu 100 Prozent wiederverwertet werden können.

Das klingt nach einer Öffnung in Richtung der Grünen. Im Wahlkampf haben die Piraten zur Umzingelung des Atomkraftwerks Unterweser mit aufgerufen. Ist das ihr Vorschlag: Das Parteiprogramm erweitern, um auch für Leute interessant zu werden, die nicht an Computern interessiert sind?

Moment, es ist nicht neu, dass wir gegen Atomkraftwerke sind! Der Ausstieg aus der Atomenergie steht seit 2006 in unserem Grundsatzprogramm. Aber es ist wahr, dass wir uns für andere Gesellschaftsschichten öffnen und den Leuten zeigen müssen, dass wir uns nicht nur mit Computerthemen beschäftigen, sondern auch mit gesellschaftlichen Utopien.

Die nächste große Wahl in einer Metropole wird in Berlin stattfinden. Was können Ihre Berliner Kollegen von Ihrem Wahlkampf lernen?

Wichtig scheint mir zu sein, dass wirklich alle Erstwähler per Post angesprochen werden. Der Wahlkampf in Berlin wird sich stark auf das Duell zwischen Künast und Wowereit zuspitzen. Umso wichtiger ist, dass die Piraten versuchen, ihre Inhalte zu vermitteln – vor allem auch an jene Menschen, die sich über das Internet nicht so leicht erreichen lassen.

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