Von raren Eiern und vagabundierendem Samen

Grundsatzurteil Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof bestätigt das Verbot von Eizellen- und Samenspende bei künstlicher Befruchtung in Österreich

Dass mit dem Onanieren eine „unnöthige Verschwendung des Samen verbunden sey“, war für die Anhänger der Psychopathia sexualis keine Frage. Die Sex-Alarmisten des 19. Jahrhunderts wollten den „theuren Saft“ lieber in natürliche Kanäle geleitet sehen. Dennoch wussten sie, dass das Substrat, im Gegensatz zu den raren, sich Monat für Monat neu herstellenden weiblichen Eizellen, im Überfluss verfügbar ist und die Neigung zeigt, unbegrenzt zu vagabundieren. Möglicherweise folgen auch heutige Bewertungen der menschlichen Keimzellen noch dieser biologischen Ökonomie. In Deutschland beispielsweise ist die Samenspende – sowohl in vivo als auch in der Petrischale – eine übliche Reproduktionstechnik. Die Eizellenspende dagegen ist verboten.

Im Nachbarland Österreich sind – unabhängig davon, ob Ei oder Samen – Keimzellspenden bei der künstlichen Befruchtung generell untersagt. Zwei Ehepaare, die aus medizinischen Gründen keine Möglichkeit hatten, auf anderem Wege ein verwandtes Kind zu bekommen, klagten 1998 deshalb vor dem österreichischen Verwaltungsgerichtshof – und unterlagen. Weil sie sich gegenüber Paaren, die die „normale“ künstliche Befruchtung mit eigenen Reproduktionszellen in Anspruch nahmen, diskriminiert sahen, legten sie Beschwerde beim Europäischen Menschengerichtshof (EGMR) ein. Verletzt sahen die Kläger das in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschriebene Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art 8) in Zusammenhang mit dem Diskriminierungsverbot (Art 16).

Nachdem die kleine Beschwerdekammer des EMGR zehn (!) Jahre später, im April 2010, zunächst in ihrem Sinne entschieden hatte, wurde der Fall auf Antrag der österreichischen Regierung an die Große Kammer verwiesen. Dieses aus 17 Richterinnen und Richtern bestehende Gremium bestätigte nun ziemlich unerwartet und mit überwiegender Mehrheit das österreichische Verbot von Eizellen- und Samenspende (EGMR Beschwerde-Nummer 57813/00).

Großer Spielraum

Zwar räumen die Richter ein, dass das Recht, mittels künstlicher Befruchtung ein Kind zu zeugen in den Geltungsbereich von Artikel 8 fällt und der österreichische Staat dieses Recht einschränkt. Gleichzeitig hält das Urteil fest, dass die EU den Mitgliedstaaten die Regelung reproduktiver Rechte weitgehend überlässt und einen großen Spielraum einräumt, den die Gesetzgeber ausschöpfen können, je nachdem, wie die ethische Diskussion in den jeweiligen Ländern verläuft. Interessant an der Begründung ist, dass der EGMR nicht von „gefestigten Grundsätzen“ ausgeht. Vielmehr stellen die Richter fest, dass sich das Feld „dynamisch“ entwickle und die Gesetzgebung nur ein vorläufiges Bild des gesellschaftlichen Konsenses widerspiegele. Ändert er sich, sei der Gesetzgeber aufgefordert zu reagieren.

Indessen sehen die Straßburger Richter die Gründe, die Österreich zu den inkriminierten Einschränkungen veranlasst haben, als gewichtig an. Die mit der Eizellenspende verbundenen Risiken sind gravierender als bei der Samenspende, weil Eizellen im Reproduktionsgeschäft lukrativer sind. So könnten wirtschaftlich bedrängte Frauen zur Eizellenspende genötigt werden. Nicht von der Hand zu weisen sei auch das Problem der „gespaltenen Mutterschaft“ und die Gefahr, dass zwei Frauen ihren leiblichen Anspruch auf das Kind anmelden könnten. Das widerspreche dem zivilrechtlichen Prinzip, dass ein Mensch nur eine biologische Mutter haben kann. Straßburg bestätigt dem österreichischen Gesetzgeber im Rahmen des weiten Beurteilungsspielraums eine „sorgsame Abwägung“.

Ob die Richter vermeiden wollten, zusätzliches Öl auf die ohnehin brennende Europalandschaft zu gießen, wie Kommentatoren vermuten, sei dahingestellt – es würde nicht unbedingt für die „Weisheit“ und schon gar nicht für die Unabhängigkeit des Gremiums sprechen. Es ist aber auffällig, dass sich defensive EU-Urteile in Sachen Lebensschutz und Reproduktionsmedizin häufen; es ist noch keinen Monat her, dass der Europäische Gerichtshof die besondere Schutzwürdigkeit von embryonalen Stammzellen bekräftigt und ihre Patentierbarkeit verworfen hat. Es könnte schon sein, dass die insgesamt aus dem Ruder laufenden Märkte, die nicht nur Geld und Waren, sondern auch Körperteile und –substanzen subsumieren, einen gewissen, Grenzen ziehenden Beharrungswillen aufrufen. Auch wenn das manchen Reproduktionsmediziner auf die Palme bringen mag und für einzelne Betroffene schmerzhaft ist, muss es für die Gesellschaft nicht unbedingt von Nachteil sein.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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